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Keine Buchhandlung - aber warum nicht auch einmal eine Lesung veranstalten?

© picture alliance/dpa

Buchmarkt: Überwachtes Lesen

Lesungen in Schaufenstern: Der Galiani Verlag hat sich für Alain Claude Sulzers Roman "Unhaltbare Zustände" eine Aktion einfallen lassen.

Die Literaturwelt hat im Moment kein anderes Thema als Peter Handke, klar. Doch dreht auch sie sich immer weiter, muss sie Bücher verkaufen, nicht nur die von Handke, die sich schon lange nicht mehr gut verkaufen, sondern vieler, vieler anderer Autorinnen und Autoren. Und dabei verfährt die Literaturwelt inzwischen nach einer Devise, die man mit einem abgewandelten Handke-Bonmot so auf den Punkt bringen könnte: fragmentarisch veröffentlichen, ganzheitlich vermarkten.

So hat sich der Berliner Galiani Verlag eine, na ja, originelle „Aktion“ ausgedacht, um dem neuen, „Unhaltbare Zustände“ betitelten Roman des Schweizer Schriftstellers Alain Claude Sulzer noch einmal einen Verkaufsschub zu geben. Bis zum Wochenende sollen Buchhandlungen ihre Schaufenster von Büchern befreien und stattdessen darin irgendjemanden aus Sulzers Roman vorlesen lassen, „von draußen sichtbar, wie eine lebendige Schaufensterpuppe“, wie sich der Verlag das vorstellt.

In der Kunstwelt sind Performances wie diese gang und gäbe

Die Hauptfigur von Alain Claude Sulzers Roman, ein gewisser Stettler, ist von Beruf Schaufensterdekorateur, einer der alten, biederen Schule. Stettler kämpft gegen einen jungen Kollegen, der die Dekoration eines Kaufhausschaufensters als Event versteht, als Kunstaktion, als Happening.

Man könnte nun auf den Gedanken kommen, dass der Verlag mit seiner Aktion Sulzers um sein Lebenswerk kämpfendem Helden doch arg in den Rücken fällt und dessen jungen Konkurrenten nur bestärkt. Denn diese Art von Performance, wie sie seit einigen Tagen in deutschen Buchläden stattfindet, am Freitag ab 14 Uhr zum Beispiel in der Buchhandlung Kladow, ist in der Kunstwelt tatsächlich gang und gäbe.

Man denke, im Großen, an Marina Abramovics „The Artist is present“ seinerzeit im New Yorker Museum of Modern Art, als das Publikum des Museums der serbischen Großkünstlerin beim Sitzen und Schweigen zusehen konnte.

Oder, im Kleinen, Berlinerischen, an den leider schon verstorbenen, ursprünglich aus dem norddeutschen Eckernförde stammenden Aktions- und Lebenskünstler Käthe B., der in den Neunzigern in einer Ladenwohnung am Hackeschen Markt sein Leben ausstellte und überwachen ließ: „Käthe Be at home“ hieß die wochenlange Performance, Käthe B. zusehen beim Duschen, Essen, Schlafen und Plattenauflegen.

Nichts Neues also unter der Literaturweltsonne. Zu schweigen von den Prostituierten, die in Amsterdam hinter Fenstern sitzen und sich ausstellen. Wirklichkeitskunst? Oder doch eher: unhaltbare Zustände?

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