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Liebt das Laufen abseits des Stadtrummels: Tagesspiegel Online-Redakteur und Laufenthusiast Kai Portmann.

© Kitty Kleist-Heinrich

Brandenburg-Magazin 2019: Ohne Samba um den See

Wer in Ruhe joggen will, sollte ans "Märkische Meer". Selbst auf 27 Kilometern Scharmützelsee-Lauf begleiten einen nur Wind, Wellen und große Geschichte.

Die erste Aufmunterung vom Streckenrand kommt nach gut drei Kilometern. Hinter dem Gitterzaun eines Vorgartens kläfft ein Hund uns Läufern hinterher. Wir nehmen das als Anfeuerung, denn mehr ist nicht zu kriegen am Sonntagmorgen in Bad Saarow.

Um neun Uhr sind wir los auf die 27-Kilometer-Runde beim Scharmützelsee-Lauf, die Temperatur liegt schon bei 25 Grad an diesem zweiten Juni-Wochenende. Es geht einmal rum um das "Märkische Meer", wie Theodor Fontane den See einmal genannt hat. "Oft hielt ich an, um zu horchen, aber die Stille blieb, und ich hörte nichts als den Windzug in den Binsen und das leise Klatschen der Wellen", schrieb der Dichter über eine Fahrt in die Gegend im Jahr 1881.

Wir knapp 100 Läuferinnen und Läufer halten nicht an. Aber abgesehen vom Aufsetzen unserer Schuhe auf dem Weg, dem Rauschen des Windes in Bäumen und Sträuchern, dem Plätschern des Wassers ist tatsächlich nichts zu hören. "Du kannst hier keinen Spalier wie beim Berlin-Marathon erwarten", sagt Lauforganisator Ralf König. Genau deshalb komme ich jedes Jahr an den Scharmützelsee.

Gestartet sind wir südlich des Ortskerns von Bad Saarow im Stadion an der Maxim-Gorki-Schule auf der Ostseite des Sees. Erst einmal geht es die Karl-Marx-Allee entlang, das Ufer immer etwa 100 Meter seitlich von uns. Nach gut zwei Kilometern biegen wir rechts ab und laufen auf ein paar schmucke Villen am See zu, wo einst das Kurhaus Schloss Pieskow stand. Im Dorf kommen wir vorbei an der Jugendherberge und "Klein Sanssouci", einer prächtigen Wohnanlage, errichtet vom Bauunternehmer Felix Bergmann nach dem Vorbild des Potsdamer Schlosses Sanssouci zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Ein Gebäude mit wechselvoller Geschichte: in der Nazi-Zeit eine Wehrsportschule der SA, in der DDR ein Gästehaus des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes, nach der Wende eine Akademie für Führungskräfte der Telekom, nun in Privatbesitz. Wer um den Scharmützelsee läuft, macht eben auch eine Zeitreise durch mehr als ein Jahrhundert deutscher Historie.

Die Spitze macht Tempo

Zu DDR-Zeiten war Pieskow ein "Bad der Werktätigen" für die "Helden der Arbeit". Jetzt wird der Ort dominiert von einer Siedlung Ferienhäuser. Für die musste vor zehn Jahren - zum Unwillen vieler Einheimischer - der traditionsreiche "Theresienhof" weichen, seit Mitte des 19. Jahrhunderts ein Erholungsrefugium für illustre Besitzer wie die Sängerin Ernestine Wegner oder die Zirkusfamilie Renz. Geblieben vom Theresienhof ist allein das "Schwedenhaus", das der Porzellanfabrikant Carl Schomburg aus Moabit 1911 für seine schwedische Gattin bauen ließ und das wir Läufer bei Kilometer 4 passieren.

Der Blick über den See reicht runter bis Wendisch-Rietz, wo die Hälfte der Strecke erreicht sein wird. Doch bis dahin sind es noch einige Kilometer. Die 10-Kilometer-Läufer kommen uns jetzt entgegen, denn wir erreichen deren Wendemarke. Wer die große Runde macht, läuft vorbei an einem kleinen Stellplatz für Wohnmobile, bevor es runter geht zum "Diensdorfer Strandidyll" mit Steg, Spielpatz und Gastronomie.

Jetzt wird es noch ruhiger, längst hat sich das Läuferfeld auseinandergezogen. Vor den wenigen Häusern stehen vereinzelt Schaulustige. "Die sehen den Ersten durchrennen und denken: Da war doch was! Und wenn der Zwanzigste durch ist, sieht man auch mal jemanden hier", sagt Ralf König. Doch frenetische Aufmunterung ist nicht zu erwarten. Eine Sambatrommel schlägt hier niemand.

Einer der schönsten Seen in ganz Brandenburg: der Scharmützelsee bei Bad Saarow.
Einer der schönsten Seen in ganz Brandenburg: der Scharmützelsee bei Bad Saarow.

© Kitty Kleist-Heinrich

Die Spitze macht jetzt Tempo. Denn nun geht es einige hundert Meter vom Seeufer entfernt über eine wellige Straße Richtung Süden. Hier kann man schnell laufen. Doch Vorsicht, die zweite Streckenhälfte, hat es in sich! Ich habe es ohnehin nicht so eilig und lasse es einfach rollen, laufe ein angenehm hartes Tempo. Links ein paar alte Villen im Wald, verfallen und zugewachsen, "Eigentumsverhältnisse ungeklärt". Rechts an der Straße vergammelt eine Siedlung von Betriebsbungalows aus DDR-Zeiten. "Die Dinger sind so voller Asbest, da will der Eigentümer die teure Entsorgung nicht bezahlen", sagt Ralf König. Die Natur holt sich das Gelände zurück.

Kurz nach Kilometer 12 kreuze ich den Bahnübergang am Ortseingang von Wendisch-Rietz, wechsele die Straßenseite und laufe über den Radweg auf den Ort zu. Noch einmal quere ich die B 246, passiere den Bahnhof Wendisch-Rietz, kreuze etwa bei Kilometer 13,5 - der Hälfte der Strecke - die Gleise und laufe entlang der Hauptstraße durch den Ort, vorbei an der Marina und über die Brücke, auf deren linker Seite die Storkower Gewässer liegen. Wer wollte, könnte sich hier ein Boot leihen, um vom Scharmützelsee aus weiter gen Süden zu paddeln. Ich aber biege ab zum Campingplatz Schwarzhorn, an dessen Zaun ich entlanglaufe, um in den Wald abzubiegen. Jetzt geht es ein Stück am Südufer entlang.

Wer sich auf der ersten Streckenhälfte zu viel zugemutet hat, wird nun leiden. Denn die nächsten fast zweieinhalb Kilometer fordern Kraft und Konzentration. Über sandigen Waldboden geht es, immer wieder gibt es schöne Blicke auf den See, doch wer nicht auf den Boden achtet, stolpert über das Geflecht von Baumwurzeln.

Um diese Zeit, so halb elf, sind auch schon andere unterwegs, Wanderer kommen mir entgegen. Dann schallen stampfende Beats durch den Wald. Der Streckenposten oben an der steilen Treppe, die ich jetzt runter muss, hat seine Anlage lauter gedreht, um Stadtmarathon-Atmosphäre zu schaffen. Doch schon auf dem schmalen Wanderweg danach höre ich nichts mehr als Blätterrauschen und Wellenspiel.

Es war einmal ein Strandbad

Runter geht's zum Privatstrand des A-Rosa Resorts, wo Kinder toben und Erwachsene auf Liegestühlen Prosecco schlürfen. Die lange Steigung hoch zur Straße mache ich nach fast 18 Kilometern Lauf im schnellen Gang, Körner sparen für den Rest der Strecke. Über den Friedrich-Engels-Damm geht es nach Norden. Teure Villen säumen das Ufer, viele wehrhaft umzäunt. Bald laufe ich vorbei an der Einfahrt zum Café Dorsch. Fotos mit Widmung hunderter prominenter Gäste aus Politik, Kultur oder Sport zieren hier die Wände, vielleicht schaue ich am Nachmittag zum Kaffee mal rein.

Doch jetzt renne ich vorbei und erreiche bei Kilometer 20 das verfallene Strandbad Neptun. Ralf König ist da früher mit seinen Kumpels in die Disko gegangen. Heute stehen nur noch Ruinen der einstigen Attraktion von Bad Saarows Strand. Gerippe von Bootsstegen ragen aus dem See. Der große Campingplatz beim Neptun ist auch seit ein paar Jahren dicht, Bäume, Büsche und Gras wuchern über Stellplätze und Stromkästen. Der Betreiber hat in die eigene Tasche gewirtschaftet und die Pacht irgendwann nicht mehr bezahlt. Auch am Scharmützelsee sind viele hochfliegende Geschäftsträume aus der Wendezeit schnell geplatzt. Auf einem Teil des einstigen Campingplatzes entstehen nun Wohnungen. Die Strecke führt weiter am Westufer entlang, es wechseln prächtige alte und weniger schmucke neue Villen. Auch einfache Holzhäuser sind dazwischen - glücklich, wer allein ein Stück Grund am See besitzt.

Das Laufen wird anstrengender, der Weg ist oft sandig, voller Wurzeln und wellig. Ich nehme die Füße ordentlich hoch, um nicht zu stolpern. Schon blicke ich auf die beiden Inseln "Kleiner Werl" und "Großer Werl", bevor der Weg scharf links hochführt. Ich laufe hinein in "Alte Eichen", einen der schönsten Plätze am See, und dann nach links am Regattaplatz vorbei. Bei Kilometer 24 erreiche ich die Marina von Bad Saarow und laufe die Ludwig-Lesser-Promenade entlang, benannt nach dem Gartenarchitekten, der Anfang des 20. Jahrhunderts am Nordufer elegante Sommerdomizile baute. Alle kamen sie nach Bad Saarow, die Reichen und die Schönen. Boxweltmeister Max Schmeling heiratete 1933 die Schauspielerin Anny Ondra in der Saarower Kirche. Ein paar Jahre wohnten sie am See.

Und jetzt ein Bier

Ich habe nur einen flüchtigen Blick für die geschichtsträchtigen Villen, denn die Promenade zieht sich, noch knapp drei Kilometer habe ich vor mir. Ich schließe auf zu einer Läuferin, die lange weit vor mir war, der jetzt aber die Kraft ausgeht. "Häng Dich dran", ermuntere ich sie. Gemeinsam rennen wir Richtung Kurpark und gehen auf den letzten Kilometer, vorbei an den Thermen, Richtung Stadion. Nochmal um das Fußballfeld, dann laufen wir zusammen über die Ziellinie. 2 : 44 : 10 Stunden - für sie ihre beste Zeit auf der Strecke. Ich freue mich über den Dank per "High five". 89 Läuferinnen und Läufer sind ins Ziel gekommen und belohnen sich jetzt mit Kuchen, Grillwürstchen, Tee oder Bier.

"Solche Veranstaltungen wie den Berlin-Marathon macht von uns keiner mehr mit", sagt Ralf König über seine Lauftruppe von der BSG Pneumant Fürstenwalde. Auch ich renne lieber in Brandenburgs Natur um den Scharmützelsee oder auch, nicht weit entfernt vom See, zweimal die 15-Kilometer-Runde durch die Rauener Berge im Frühjahr beim Fontane-Lauf.

Dessen Namensgeber konnte der Landschaft dort auch viel abgewinnen. Fontane genoss von der Höhe den Rundblick auf "ein weitgespanntes Panorama". Er schrieb: "Die Dürftigkeiten verschwanden, alles Hübsche drängte sich zusammen." Recht hat er.

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