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Bundestrainer Joachim Löw greift nun durch.

© dpa

Verzicht auf Boateng, Hummels und Müller: Joachim Löw tritt die Flucht nach vorn an

Joachim Löw verzichtet auf Jerome Boateng, Mats Hummels und Thomas Müller. Das ist radikal, kommt aber ziemlich spät.

Joachim Löw hat die Sonnenbrille abgesetzt. Wie am Dienstag durchsickerte, wird der Bundestrainer in den Spielen der anstehenden Qualifikation zur Europameisterschaft 2020 auf die Dienste der drei Weltmeister von 2014, Jérôme Boateng, 30, Mats Hummels, 30, und Thomas Müller, 29, verzichten. Nach Angaben des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) haben Löw und Nationalmannschafts-Manager Oliver Bierhoff am selben Tag in München den drei Spielern ihre Entscheidung mitgeteilt. „Ich danke Mats, Jérôme und Thomas für die vielen erfolgreichen, außergewöhnlichen und einmaligen gemeinsamen Jahre“, sagte Löw.

Gut ein halbes Jahr nach dem WM-Vorrundenaus in Russland und ein Vierteljahr nach dem Abstieg aus der Nations League will Löw den Umbruch des gefallenen Weltmeisters von 2014 rigoros vorantreiben. Der 59-Jährige legt dabei nun eine Konsequenz an den Tag, die er nach dem desaströsen WM-Aus für sich ausgeschlossen hatte. Löw war nicht zurückgetreten, sondern wollte den Neuaufbau gestalten. Ein halbes Jahr später geht er nun mit einer Radikalität vor, die sich viele nach der WM, einige sogar schon davor, gewünscht hätten.

Bis tief in den vergangenen Herbst hinein hatte Löw weitergemacht wie immer. Er hielt stur an seinen geschlauchten Weltmeistern von 2014 fest. Auf „tiefgreifende“ und „klare“ Veränderungen, die Löw noch direkt nach dem WM-Aus angekündigt hatte, warteten die Fußballfans vergebens. Spät, sehr spät, und letztlich auf Druck der Öffentlichkeit setzte Löw in den abschließenden Novemberspielen vereinzelnd frische Spieler ein. Für die Spiele gegen Russland und Holland hatte er ein erstes Mal auf die Nominierung Boatengs verzichtet. Gleich nach der WM hatte er in Absprache mit dem Spieler lediglich auf Sami Khedira verzichtet.

Der Umbruch nach dem peinlichen WM-Sommer fiel inhaltlich und personell weit geringer aus als erwartet. Löw legte seine Hand über seine in die Jahre gekommenen Stars. Nur mit jungen Spielern werde es nicht gehen, hatte Löw noch im Dezember gesagt.

Deutliches Signal der Erneuerung

Das soll sich mit Beginn des neuen Länderspieljahres ändern. Am 20. März trifft die deutsche Nationalmannschaft in Wolfsburg in einem Testspiel auf Serbien, vier Tage später startet die EM-Qualifikation mit dem Spiel gegen Holland in Amsterdam. Die Ausmusterung von Boateng, Hummels und Müller sei „ein deutliches Signal der Erneuerung: Die jungen Nationalspieler erhalten den nötigen Raum zur vollen Entfaltung. Sie müssen nun die Verantwortung übernehmen“, sagte Löw.

In gewisser Weise tritt der Bundestrainer die Flucht nach vorn an. Lange hat Löw sich vor einer personellen Verjüngung der wichtigsten deutschen Mannschaft gedrückt. Auffallend oft war er dabei Fehleinschätzungen aufgesessen, was beispielsweise die Taktik und seine Personalauswahl für die WM anbelangte. Aufstrebende Spieler wie etwa Leroy Sané hatte er vor der WM schlichtweg für nicht gut genug befunden, begabte Spieler wie Serge Gnabry und Kai Havertz gehörten nicht mal dem vorläufigen WM-Kader an.

Kein großes Risiko

Ob Löws Gedankenumschwung als mutig zu bezeichnen ist, als Folge eines tiefen Erkenntnisgewinns oder die einer Annäherung an die Realität – Geschmackssache. Es ist ein bisschen von allem. Ein großes Risiko geht der Bundestrainer nicht ein. Nicht aber, weil die drei aussortierten Spieler nicht mehr in der Lage sind, punktuell große Leistungen zu zeigen. Es liegt vielmehr an den bevorstehenden Aufgaben. Die EM-Qualifikation sollte für das deutsche Team zu schaffen sein. Bis auf Holland trifft Löws Mannschaft auf keinen wirklich großen Gegner.

Mitte November war Thomas Müller, der WM-Torschützenkönig von 2010, noch zu seinem 100. Länderspiel gekommen. Beim Stande von 2:0 war er in der Schalker Arena in der zweiten Halbzeit für Serge Gnabry eingewechselt worden. In den restlichen 30 Minuten schossen die Holländer noch die beide Tore zum 2:2, was für die Deutschen den Abstieg aus der Nations League nach sich zog.

Es sei ihm ein wichtiges Anliegen gewesen, „den Spielern und Verantwortlichen des FC Bayern meine Überlegungen und Planungen heute persönlich zu erläutern“, sagte Löw am Dienstag nach einem Treffen in München, bei dem auch Manager Bierhoff und Assistenztrainer Marcus Sorg dabei waren. „Sie sind alle weiterhin Spieler auf Weltniveau, die in ihrem Verein ganz vorne mitspielen und Erfolge garantieren.“ Es seien große Spieler, die für eine große Zeit der Nationalmannschaft stünden. Sie hätten über Jahre hinweg unendlich viel für Deutschland und die Nationalmannschaft geleistet. „Wir wollen der Mannschaft ein neues Gesicht geben. Ich bin überzeugt, dass das nun der richtige Schritt ist“, sagte Löw.

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