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Der Kammermusiksaal von innen.

© Reinhard Friedrich / Berliner Philharmoniker

Blog zum Musikfest Berlin (7): Mehr Kammermusik!

Unsere Konzertprogramme verarmen: Allzu oft hören wir die stereotype Folge Ouvertüre, Solokonzert und Symphonie. Beim Musikfest ist das erfreulich anders – ein Plädoyer für mehr Vielfalt und insbesondere mehr Kammermusik.

Am Sonntag und Montag in der Philharmonie war es wieder einmal zu erleben – wie dicht doch ein Konzertabend sein kann, wenn er nicht nur große Orchesterwerke enthält, sondern auch ganz intime Werke in kleiner Besetzung. Viel zu selten werden solche Kombinationen programmiert, die doch aus vielen Gründen dem Konzertleben nur gut tun können.

Noch im 19. Jahrhundert sahen Konzertprogramme nicht so aus, wie wir das heute gewohnt sind. Nicht die stereotype Folge aus Ouvertüre, Solokonzert und nach der Pause eine Symphonie entsprach den Hörgewohnheiten, sondern eine oft wilde Mischung aus Orchestermusik, Opernarien als auch Kammermusik und Sololiteratur – je nachdem, was ein Komponist oder Interpret gerade präsentieren wollte. Heute ist jede Gattung in eigene Reihen verbannt und es gehen Zusammenhänge verloren, die doch evident wären. Und ganz merkwürdig erscheint dann die Argumentation von so manchem Träger von Orchestern, Kammermusik würde nicht zu den Kernaufgaben eines Symphonieorchester gehören.

Gerade ein Programm, wie es Winrich Hopp zum Musikfest plant, kommt ohne Überschreitung von Grenzen kaum aus, weil sich das Repertoire so ungemein erweitern lässt. Viele spannende musikalische Verbindungen und Kontraste sind möglich, schon weil natürlich nicht alle Komponisten in jeder Schaffensphase alle Gattungen gleichermaßen bedient haben. Und es macht Sinn, die besonderen kammermusikalischen Qualitäten und Erfahrungen der beiden Orchester zu nutzen, die das Wort „Chamber“ im Namen führen. So glänzten sowohl das Chamber Orchestra of Europe im Trio der Konzertmeisterin und des Soloklarinettisten mit Pierre-Laurent Aimard wie auch die acht Solostreicher des Mahler Chamber Orchestras in den Eingangsstücken ihrer Programme und fügten dem Musikfest damit eine besondere Note hinzu.

Ein ganz anderer vorteilhafter Aspekt der Pflege von Kammermusik ist freilich auch der des gemeinsamen Musizierens: Man kann ein Orchester als eine große Masse an Musikern, aber eben auch als eine großdimensionierte Kammermusik verstehen. Zweites führt dazu - und darin ist beispielsweise Claudio Abbado ein Meister -, dass man im Idealfall das Gefühl bekommt, jeder Musiker hört jedem zu, jede musikalische Linie ist eingebettet und begleitet, wie ein vielstimmiges und gleichzeitiges Gespräch aller. Die Basis dafür ist oft im Orchestersatz das Quartett der Solobläser und das Quintett der Solostreicher, so liegt es nur nahe, dass diese Musiker auch in eigener Kammermusik lernen, sich optimal musikalisch zu verstehen. Und generell schult Kammermusik die Ohren für Musiker und Hörer gleichermaßen, die Konzentration auf feinste Nuancen in Lautstärke, und Phrasierung, im gemeinsamen Atmen der Musik kommt eben auch den großen Formaten immens zugute.

So war es aus vielen Gründen eine gute Idee der Deutsche Oper Berlin, ganz zu Beginn der Saison am letzten Sonntagnachmittag zu einem Orchestertag einzuladen, bei dem das Orchester nicht als Ganzes, sondern in vielen kleinen Gruppen Kammermusik von Klassik bis Jazz zum Besten gab. Auch Nachwuchsmusiker bekamen ein Podium und selbst Donald Runnicles beteiligte sich im Duo mit seiner Gattin Adelle Eslinger-Runnicles am Klavier mit Ravels „La Valse“. Und wenn das Musikfest auch Anregung und Maßstab für die folgende Konzertsaison sein soll, wünsche ich mir mehr Kammermusik aller Orchestermusiker, sowohl in kleineren Sälen wie auch im Kontext großer Sinfonik.

Andreas Richter

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