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Chamber Orchestra of Europe

© Photowerk

Blog zum Musikfest (3): Orchester ist nicht gleich Orchester

Auf dem Podium sehen sich alle Orchester sehr ähnlich. Aber sie klingen und funktionieren ganz verschieden. Über die hörbaren und die unhörbaren Unterschiede zwischen verschiedenen Klangkörpern.

Ein Orchester ist ein Orchester ist ein Orchester? In der Tat sehen sich alle Orchester aus der Ferne ähnlich, vor allem weil sie immer noch zumeist in Schwarz-Weiß wenn nicht gar im Frack auftreten. Aber dem sensiblen Hörer entgeht nicht, dass es doch kleine und große Unterschiede im Klang, in mit Worten schwer zu fassenden Kategorien wie Energie, Lebendigkeit oder Brillanz gibt. Noch weniger sieht oder hört man einem Orchester an, welche Struktur sich hinter dem Klangkörper verbirgt, obwohl es gerade hier fundamentale Differenzen gibt.

Orchester können getragen und finanziert werden von staatlichen Einrichtungen – so entstanden die ersten Orchester ja bekanntlich an den Höfen des Adels. Im Lauf der Geschichte gingen diese Trägerschaften auf Städte oder Länder über, so wurden aus den Hofkappelen die Staatskapellen. Sie können verantwortet sein von Rundfunkanstalten wie die Radioorchester, die es ja in jedem deutschen Bundesland und auch in vielen anderen Staaten gibt. Oder sie gehören zu Opernhäusern, meist auch in städtischer Trägerschaft, und pflegen ein gewisses Konzertrepertoire aus vielerlei guten Gründen zusätzlich.

Seit circa 30 Jahren gibt einen neuen Typus Orchester, zunächst im Bereich von Spezialensembles für Neue oder Alte Musik aber dann auch im Repertoire der Klassik und Romantik beheimatet. Dies sind Orchester, die oft von Musikern selbst gegründet wurden und die diese auch am wirtschaftlichen Risiko und an wichtigen künstlerischen Entscheidungen sehr viel mehr beteiligen, als das in einem staatlich geförderten Orchester mit Tarifvertrag der Fall sein kann. Mit der größeren Freiheit und Verantwortung sind dann eben eine geringe soziale Absicherung und Einkommen verbunden.

Gleich zwei dieser Orchester treten in diesem Jahr beim Musikfest auf, das Chamber Orchestra of Europe und das Mahler Chamber Orchestra. Beide wurden mit Unterstützung von Claudio Abbado gegründet, der insgesamt ja bis heute bei mindestens sieben Orchestern Geburtshelfer war. Beide sind bis heute quasi demokratisch geführt und spielen fast ohne Subventionen an der Weltspitze mit. Da kann man schon anfangen darüber nachzudenken, ob Qualität auch etwas mit Motivation und dem Kampf ums Überleben zu tun haben könnte.

Prototyp solcher Orchesterstrukturen sind freilich die Berliner und Wiener Philharmoniker – die  beiden weltbekanntesten Orchester, in denen die Orchestervorstände eine sehr starke Machtposition haben. Wer weiß, vielleicht sind COE und MCO – falls es gelingt, sie in dauerhafte Strukturen zu überführen, auch vom Modell her die wegweisenden Orchester des 21. Jahrhunderts?

In den letzten neun Jahren hatte ich das Vergnügen, je ein staatlich gefördertes (das DSO Berlin) und ein freies (das MCO) Orchester zu leiten. Nicht selten wurde ich gefragt, welche Struktur nun die bessere sei. Ich denke, die Zukunft liegt irgendwo in der Mitte: Musiker brauchen Sicherheit - und es stimmt einen schon traurig, wenn man sieht, dass die in der Künstlersozialkasse gemeldeten freien Musiker in Deutschland ein durchschnittliches Jahreseinkommen von gerade einmal 13.000 Euro haben. Aber sie brauchen auch starke Anreize, sich über Jahrzehnte immer wieder zu motivieren und jeden Abend im Konzert ihr Bestes zu geben. Also: Im Idealfall bei den sogenannten Kulturorchestern die Rechte aber auch die Mitverantwortung der Musiker stärken, und auf der anderen Seite für die freien Orchester bessere Förderinstrumente entwickeln, damit sie dauerhaft überleben können.

Wie gesagt, gleich zwei dieser freien Orchester können Sie in diesen Tagen – am 1.9. das Chamber Orchestra of Europe und am 2.9. das Mahler Chamber Orchestra -  in Berlin hören und ich hoffe, ich habe Sie ein wenig neugierig gemacht, auch auf die Zwischentöne und auf die Strukturen dahinter zu achten.

Andreas Richter

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