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Die Gewinner des Abends: Regisseur Andreas Dresen und "Gundermann"-Darsteller Alexander Scheer mit ihren Lolas. Sechs Preise räumte das DDR-Biopic ab.

© dpa/Jens Kalaene

Deutscher Filmpreis 2019: Die Sehnsucht nach Konsens

Gold für "Gundermann", der Ehrenpreis für Margarethe von Trotta und Appelle zur Solidarität: eine Bilanz der Lola-Gala 2019.

Es gibt schöne, bedenkenswerte Momente an diesem Abend im Berliner Palais am Funkturm, bei der 69. Verleihung der Deutschen Filmpreise. Wenn etwa gleich nach dem Ehrenpreis für Margarethe von Trotta als bester Kinderfilm nicht „Jim Knopf“ gewinnt, also der mit dem Jungen, sondern „Rocca – Verändert die Welt“, eine moderne Pippi-Langstrumpf-Geschichte. Oder wenn Katja Riemann in ihrer klugen, temperamentvollen Hymne auf Trotta sagt: „Sie war und ist cool, weil sie immer gemacht hat, was sie machen musste und wollte in diesem Haufen von Männern, deren Generation sich sicher fühlte in ihrer Hegemonie.“

Dass Filme, bei denen Frauen Regie führen, nicht mehr mit der absurden Genrebezeichnung „Frauenfilme“ tituliert werden, auch das haben wir ihr zu verdanken, so Riemann. „Und nicht nur MeToo.“ Margarethe von Trotta wiederum erinnert daran, dass sie als Pionierin nicht die einzige war in den siebziger Jahren, sie nennt Ula Stöckl, Helma Sanders-Brahms, Helke Sander, Jeanine Meerapfel, Dagmar Hirtz und andere als ihre Mitstreiterinnen. 50 Prozent aller Fördergelder für Frauen: Der Appell ist nicht neu, sondern 40 Jahre alt.

Die Quotenbilanz bei den Lolas 2019 sieht übrigens gut aus. Acht von 19 Preisen gehen an Frauen, sieben an Männer, vier an gemischte Teams. Wobei die Nutznießer der großen Summen bei den Lolas in Gold, Silber und Bronze sowie für den besten Dokumentar- und Kinderfilm – Gelder zwischen 200.000 und 500.000 Euro – bekanntlich die jeweiligen Produzenten sind. Zehn Männer, drei Frauen, da ist noch Luft nach oben: Wer die Mittel hat, hat die Macht.

Es wurde auch Zeit: Ehrenpreisträgerin Margarethe von Trotta hat in all den Filmpreis-Jahren zuvor nie einen Regie-Preis gewonnen.
Es wurde auch Zeit: Ehrenpreisträgerin Margarethe von Trotta hat in all den Filmpreis-Jahren zuvor nie einen Regie-Preis gewonnen.

© dpa/Britta Pedersen

Schön auch der energische Ernst immer dann, wenn es politisch wird. Susanne Wolff - Lola als beste Darstellerin - würdigt die NGOs, die im Mittelmeer Bootsflüchtlinge retten und von der Festung Europa zunehmend im Stich gelassen werden, genau wie ihre Heldin, die Alleinseglerin im vierfach prämierten Seenot-Drama „Styx“. Und Ulrich Matthes bricht als neuer Präsident der Deutschen Filmakademie schon beim Warming-up eine Lanze für das Kino als Ort, als „Schule der Empathie in einer Gesellschaft mit immer mehr empathiefreien Zonen“.

Die Verteidigung einer „liberalen, diversen, toleranten Demokratie“ angesichts des erstarkenden Rechtspopulismus ist ihm schon auf dem Roten Teppich ein Anliegen. Und Ulrich Matthes bleibt nicht der Einzige, der an diesem Abend zur Europawahl aufruft. Der überhaupt zur Einigkeit mahnt, auch als es um den selber Film geht und die zuletzt dramatisch gesunkenen Zuschauerzahlen.

Mehr Solidarität, mehr Empathie: Das wird zum Mantra der Lola-Gala

Gegen den Spaltpilz. Gegen den Riss in der Gesellschaft. Gegen die strikte Trennung der Kultur in Kunst und Unterhaltung. Neugier tut not, Solidarität und Empathie: Das wird zum Mantra der von Désirée Nosbusch und Teclos „Teddy“ Teclebrhan moderierten Lola-Gala. Die Schauspielerin und der Youtube-Comedian können als Lotsen der mit gut dreieinhalb Stunden überlangen Veranstaltung nicht recht überzeugen. Zu disparat ihre Temperamente, sie seriös, er reichlich albern, mit wenig zündenden Pointen. Die viel beschworene Union von E und U wird dann eher von Hape Kerkeling als Laudator für den besucherstärksten Film demonstriert, für Caroline Links Verfilmung seines Kindheits-Romans „Der Junge muss an die frische Luft“. Kerkeling verzichtet auf Witzeleien, wünscht sich ebenfalls mehr Respekt voreinander. Ganz schön erschreckend, dass solche Appelle derzeit selbst in einer Glamour-Veranstaltung notwendig sind. Die Zeiten, sie sind nicht spaßig.

3,6 Millionen Zuschauer sahen Caroline Links Siebziger-Jahre-Tragikomödie, die zusätzlich Bronze und eine Lola für Nebendarstellerin Luise Heyer gewinnt. Auf subtile Weise erzählt der Film davon, wie der Humor aus dem Schmerz entsteht, aus dem Verlust der geliebten Oma und der depressiven Mutter, auch aus der Verdrängung der Kriegs- und NS-Traumata. Intelligente Unterhaltung, made in Germany, eine Seltenheit im deutschen Film. Der neunjährige Julius Weckauf, eine Wucht von Kinderdarsteller, rockt den Saal mit seinem Revier-Dialekt. 

"Gundermann" als Sieger des Abends, das passt zu 30 Jahre Mauerfall

Zum Lola-Motto „Together we are strong“ – warum in diesem seltsamen Englisch? – passt der Sieger des Abends natürlich bestens. Sechs Lolas für „Gundermann“, Gold für den besten Film, für Regisseur Andreas Dresen, für Alexander Scheer als singenden Baggerfahrer, das eint auch die Ost- und Westrepublik im dreißigsten Jahr des Mauerfalls. Wir müssen uns unsere Geschichten erzählen, ruft Dresen, und er hat Recht.

Dennoch hinterlässt der Preisregen ein schales Gefühl, denn "Gundermann" und sein mitreißender Hauptdarsteller machen es einem am Ende zu leicht, den als Stasi-Mitarbeiter und Regimekritiker so widersprüchlichen DDR-Helden zu mögen. Bei aller Wertschätzung für Andreas Dresen: „Gundermann“ unterspielt die Dramatik von Charakterschwäche und Verrat, unterschlägt, dass Vergebung ein Kraftakt ist. Verzeihen können nur die Opfer, nicht die Gesellschaft als Ganzes.

Kunst kommt nicht von Konsens

Die Sehnsucht nach Konsens ist groß. Dass die ebenfalls nominierte Anna-Seghers-Verfilmung „Transit“ von Christian Petzold, das beste, weil nachhaltig irritierende Geschichtskino der Saison, von den rund 2000 wählenden Mitgliedern der Deutschen Filmakademie komplett übergangen wurde, erwähnt kaum einer der Party-Gäste nach dem Ende der Gala. Auch nicht, dass der vielfach geäußerte Wunsch nach Diversität keineswegs schon erfüllt ist, wenn neben anspruchsvolleren Filmen auch ein paar gut gemachte, aber letztlich belanglose Unterhaltungsfilme ("Das schönste Mädchen der Welt", "25 km/h") ins Rennen gehen.

Hauptsache, für jeden etwas? Nein, es gibt gute und schlechte Filmkunst, gutes und schlechtes Entertainment. Die Lola als höchstdotierter deutscher Kulturpreis ist dazu da, die Wagemutigsten in beiden Feldern zu stärken. Kunst kommt nicht von Konsens.

"Wer spricht von Siegen? Überstehn ist alles": Margarethe von Trotta zitiert Rilke bei ihrer Dankesrede, hält ihre Lola hoch und fügt hinzu: "Aber das ist ein Sieg". In all den Jahren hatte sie nie einen Regie-Preis gewonnen.

Die Gala zum Nachlesen im Live-Blog finden Sie hier.

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