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Der Mehringplatz in Berlin Kreuzberg, am Ende der Friedrichstraße bis zum Halleschen Ufer - in der Mitte des Platzes steht ein Sockel mit Engel.

© Doris Spiekermann-Klaas

Belle-Alliance, Waterloo und Berlin: Napoleons letzte Schlacht - Spurensuche in Kreuzberg

Vor 200 Jahren endete die letzte Schlacht von Napoleon. Noch heute erinnert vieles in Berlin an Waterloo. Obwohl diese Spuren eigentlicht vernichtet werden sollten.

Die Patienten Gottfried Benns hatten es nicht weit, um sich die verschriebenen Medikamente zu besorgen. Gleich im Erdgeschoss des Hauses am Mehringdamm 38, Ecke Yorckstraße, in dem der dichtende Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten von 1917 bis 1935 seine Praxis hatte, befand sich seit Anfang des vorigen Jahrhunderts eine Apotheke. Sie ist noch immer dort, dreifach wirbt der Schriftzug „Apotheke“ in großen roten Lettern um Kunden, einmal in kleineren ergänzt um den namensstiftenden Ort: „Belle-Alliance“.

Ein Gruß aus der Vergangenheit, der Zeit, als das Haus Mehringdamm 38 noch die Belle-Alliance-Straße Nr. 12 war. Seit 1864 hieß die Straße so, erst am 16. Februar 1946 verlor sie diesen Namen und wurde zur Franz-Mehring-Straße, dann zum Mehringdamm – eine politisch motivierte Umbenennung, wie sie am selben Tag auch den nahen Belle-Alliance-Platz, heute Mehringplatz, traf, der sogar seit 1815 so hieß.

Preußisches sollte eliminiert werden

Ein Jahr nach Kriegsende sollte Preußisches möglichst eliminiert werden, und sei es ein wohlklingender Name wie Belle-Alliance. Der wurde nun durch den eines „Vorkämpfers für Frieden und Völkerverständigung, Demokratie und Sozialismus“ ersetzt, wie es im Magistratsbeschluss hieß.

Früheren Generationen war die Bedeutung des alten Namens noch vertraut. Denn Belle-Alliance, das meinte Waterloo. So hieß das Gasthaus, an dem sich der britische Oberbefehlshaber Wellington und der preußische Generalfeldmarschall Blücher am Abend des 18. Juni 1815 nach ihrem Sieg über Napoleon getroffen haben sollen – eine nicht ganz verbürgte, doch in vielen Schlachtendarstellungen glorifizierte Begegnung. Sie wäre fast namensstiftend geworden, zumindest bei den Deutschen wurde sie es zeitweise sogar.

In Kreuzberg gibt es das Waterlooufer

Die „Schlacht von Waterloo“ – so nannte sie Wellington, denn in dem belgischen Städtchen 15 Kilometer südlich von Brüssel hatte er sein Hauptquartier. Für Blücher war es die Schlacht von Belle-Alliance, der Name (Schönes Bündnis) schien ihm auf die siegreiche Koalition bestens zu passen. Dass die zwei Wörter keineswegs an Heldentaten, vielmehr an eine Liebesaffäre früherer Bewohner des Hauses erinnerten, störte Blücher offenbar nicht, wenn er es überhaupt wusste. Und auf Dauer konnte er sich gegen Wellington sowieso nicht durchsetzen.

Man wird , auf der Suche nach Berliner Spuren der Erinnerung an Waterloo, auch ohne Belle-Alliance-Platz und -Straße bald fündig. Allzu gründlich ist die Preußen-Entsorgung in der frühen Nachkriegszeit dann doch nicht verlaufen. Noch immer gibt es in Kreuzberg das Waterlooufer mit der Waterloobrücke, die Blücherstraße und den Blücherplatz, auch in Zehlendorf und Lichterfelde ist der alte Haudegen in Straßennamen präsent. Und sein 1823 von Christian Daniel Rauch geschaffenes Denkmal, wie auch die seiner Mitstreiter Gneisenau und Wartenburg, wurden zu DDR-Zeiten nicht gänzlich entsorgt, sondern 1963/64 nur vom ursprünglichen Platz gegenüber der Neuen Wache in den hinteren Teil der Grünfläche zwischen Staatsoper und Opernpalais verbannt.

Von Rauch stammt auch die 1843 auf einer 19 Meter hohen Säule mitten auf dem Belle-Alliance-Platz aufgestellte Figur der Siegesgöttin Viktoria, die trotz geändertem Ortsnamen an die siegreiche Schlacht erinnert. Wegen Arbeiten am dortigen U-Bahn-Tunnel war sie vor anderthalb Jahren zerlegt und abgebaut worden, erstrahlt zwar wieder in alter Schönheit, sogar der Brunnen zu ihren Füßen plätschert schon, nur bleibt die Annäherung durch Bauzäune weiterhin verwehrt.

Der Name Belle-Alliance – das Gebäude südlich von Waterloo, heute als Diskothek genutzt, gibt es noch immer – ist in Berlin nicht auf den Namen einer Kreuzberger Apotheke beschränkt. An dem von Schinkel geschaffenen, 1821 eingeweihten Nationaldenkmal für die Befreiungskriege, oben auf dem Kreuzberg, sind die Namen der zwölf wichtigsten Schlachten gegen Napoleon verzeichnet, darunter auch die am 18. Juni 1815 bei Belle-Alliance.

Blücher bekam ein Palais am Pariser Platz

Das Denkmal ist der Mittelpunkt eines europaweiten Geflechts von ursprünglich sieben kleineren, ebenfalls von Schinkel in königlichem Auftrag geschaffenen Denkmälern. Auch bei Waterloo wurde solch ein sechs Meter hohes Tabernakel aufgestellt, es stammte wie das Kreuzbergdenkmal aus der Königlich Preußischen Eisengießerei an der Invalidenstraße, nahe Chausseestraße – eine Gegend, die bei den Berlinern wegen der damals dort ansässigen Schwerindustrie kurz „Feuerland“ genannt wurde.

Das Denkmal, 1832 von erneut in Belgien einmarschierten Franzosen beschädigt und später restauriert, befindet sich in dem Ort Plancenoit südöstlich von Waterloo, der während der Schlacht von preußischen Truppen erobert worden war.

Auch wenn Blücher als Taufpate der berühmten Schlacht auf Dauer kein Erfolg beschieden war – der Ruhm beim Volk und der Dank des Königs waren ihm doch sicher. Als Anerkennung für seine Leistungen besonders bei Belle-Alliance erhielt der Generalfeldmarschall von Friedrich Wilhelm III. ein Palais am Pariser Platz geschenkt, linker Hand des Brandenburger Tores. Das Gebäude wurde von Blüchers Erben 1869/70 in spätklassizistischer Manier umgebaut und 1922 von Blüchers 80-jährigem Enkel an einen lettisch-amerikanischen Bankier verkauft, was in konservativen Blättern wie dem „Berliner Lokal-Anzeiger“ entrüstete Kommentare auslöste.

Heute sitzt ist der Palais Sitz der US-Botschaft

1930 erwarben die USA das Palais als Botschaftsgebäude, und die „New York Times“ frohlockte schon, dass es nach dem Umbau „Gegenstand des Neides des gesamten diplomatischen Corps und zweifelsohne das eindrucksvollste und schönste Quartier eines Botschafters in der deutschen Hauptstadt“ sein werde. Daraus wurde nichts: In der Nacht auf den 15. April 1931 brannte das bereits teilweise genutzte Gebäude aus. Es blieb vorerst Ruine, auch weil die Amerikaner nach dem 30. Januar 1933 die neuen Herren von Berlin und Deutschland ärgern wollten.

Erst am 1. April 1941 zog die Botschaft wieder ein, ihr zweites Domizil in der damaligen Bendler-, der heutigen Stauffenbergstraße sollte Hitlers Germania-Plänen weichen. Im Dezember desselben Jahres wurde die Botschaft bereits wieder dichtgemacht, zwischen dem Deutschen Reich und den USA herrschte nun Krieg. Das Gebäude wurde später im Bombenhagel schwer beschädigt und 1954 von den DDR-Behörden abgetragen. Nichts erinnert an diesem Ort, heute wieder Sitz der US-Botschaft, noch an den Sieger von Belle-Alliance.

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