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Mit 1,68 Metern war Bob Hanning als Spieler zu klein. Als Manager hat er seine Berufung gefunden.

© Kitty Kleist-Heinrich

Berliner Sportfunktionär: Die Handball-WM soll Bob Hannings Meisterstück werden

Vom Nachwuchs bis zum Nationalteam: Fast überall im deutschen Handball hat Bob Hanning seine Finger im Spiel. Donnerstag wird in Berlin die WM eröffnet. Sie soll sein Meisterstück werden.

Über Höhenschönhausen ist gerade die Sonne aufgegangen, das Thermometer zeigt null Grad. In der Handball-Halle des Berliner Olympiastützpunktes sind längst alle auf Betriebstemperatur: Schuhe quietschen, Bälle prallen, Tore knallen und wackeln, wenn ein Wurf am Pfosten landet. Für die Junioren der Füchse Berlin, Kerle zwischen 16 und 18, läuft die erste Einheit 2019 in Anwesenheit ihres Trainers.

Bob Hanning ist am Abend zuvor aus dem Malediven-Urlaub zurückgekehrt. Keine zwölf Stunden nach der Landung steht er nun auf Höhe der Mittellinie, den Oberkörper nach vorn gebeugt und leicht mit den Händen auf den Oberschenkeln abgestützt. Mit seinen 1,68 Metern wirkt Hanning – blaue Jeans, roter Pullover mit Vereinslogo, Turnschuhe – auf den ersten Blick vielleicht wie ein 14-Jähriger aus der C-Jugend unter all den hochaufgeschossenen Talenten mit ihren Kleiderschrankkreuzen. An Autorität allerdings, das wird rasch klar, mangelt es ihm nicht.

Hanning klatscht zwei Mal in die Hände – und wie aus dem Nichts kehrt Stille ein, 13 junge Männer blicken in seine Richtung. „Wir sind hier nicht bei der rhythmischen Sportgymnastik“, brüllt der Trainer, „das ist Handball, wir sind die Füchse Berlin und das möchte ich jetzt verdammt nochmal auch sehen!“ Wenig später nimmt sich Hanning einen Spieler persönlich vor. „Beweg dich“, ruft er ihm zu, „sonst verkaufe ich dich nach Sibirien.“ Ein anderer Nachwuchstrainer an der Seitenlinie grinst. Ist das die normale Tonlage? „So geht es hier immer ab“, versichert der.

Lieber hohe Ziele als Understatement

Überhaupt tanzt im deutschen Handball fast alles nach Hannings Pfeife. Der 50-Jährige, geboren in Essen und seit 2005 Berliner, ist der mächtigste, am besten vernetzte, eifrigste und vielleicht umstrittenste Funktionär. Die Füchse Berlin, einst Zweitligist, sind unter seiner Verantwortung als Geschäftsführer zweifacher Europapokalsieger und Serienmeister im Nachwuchsbereich geworden. Den Deutschen Handball-Bund (DHB) hat er als Vizepräsident grundlegend reformiert.

Nebenher ist er immer ein passionierter Nachwuchstrainer geblieben. Im Grunde hat Hanning seine Finger überall im Spiel – von der Basis bis zum Nationalteam. Wenn Deutschland am Donnerstag in Berlin gegen das vereinte Team aus Nord- und Südkorea die Heim-WM 2019 eröffnet, wird er die Funktion einnehmen, die beim Fußball Oliver Bierhoff inne hat: er soll repräsentieren, das Ganze nach außen verkaufen, die Sportart pushen.

Die Weltmeisterschaft im eigenen Land, mit drei deutschen Nationalspielern der Füchse, in seiner Wahlheimat Berlin – sie kann nach 30 Jahren im Geschäft so etwas wie das Meisterstück für Hanning werden. Als er 2013 ins DHB-Präsidium gewählt wurde, machte er die „Agenda 2020“ öffentlich – einen offensiv formulierten Langzeitplan zur Rückkehr des deutschen Handballs, der damals in einer schweren Krise steckte, an die Weltspitze. Bei den Olympischen Spielen in Tokio 2020 soll das deutsche Team um die Goldmedaille mitspielen, hieß es – kurz nachdem die Mannschaft zum ersten Mal überhaupt die Olympia-Teilnahme verpasst hatte. „Ich setze mir lieber hohe Ziele und verpasse dann auch mal eins als ständig auf Understatement zu machen“, sagte Hanning.

Er hat etwas vor. Er will dezenter auftreten

Nun wird Hanning sich an seinen Zielen messen lassen müssen. Bei den letzten Turnieren war der DHB-Vize omnipräsent, bei jeder Pressekonferenz saß er neben Bundestrainer Christian Prokop, zeigte sich im Spielerkreis, gab Interviews. Diesmal, so hat es sich Hanning nach der verpatzten EM 2018 vorgenommen, will er dezenter auftreten.

Bei den Füchsen nimmt er sich auch vor jedem Heimspiel vor, das Geschehen von der Reporterreihe aus zu verfolgen. Spätestens, wenn es knapp wird, steht er aber wieder auf der anderen Seite der Halle, zwei Meter hinter der Bank.

18 Monate vor Tokio könnte die Erwartungshaltung kaum größer sein, zumal der Eindruck vom letzten Turnier kein positiver ist: Bei der Europameisterschaft 2018 in Kroatien verabschiedete sich Titelverteidiger Deutschland nach desaströsen Auftritten in der Hauptrunde. Der frisch installierte Bundestrainer Prokop bezahlte dafür beinahe mit seinem Job. Dass es nicht so kam, verdankte er auch Hanning, der seine Zukunft an das Schicksal des erklärten Wunschkandidaten koppelte. Ihm gefällt wohl, dass der seinen eigenen Kopf, bisweilen unkonventionelle Ansätze hat. Ein Jahr vor der WM in Deutschland ohne Bundestrainer dastehen? Das hätten sie beim DHB wohl irgendwie geregelt bekommen. Aber ohne Hanning? Prokop durfte bleiben.

Mit Heiner Brand spricht er kein Wort mehr

Für Hanning steht also viel auf dem Spiel. Schaffen es der Bundestrainer und seine Spieler, Begeisterung zu entfachen, sportlich erfolgreich zu sein? Können sie sich – wie es im Verbandsdeutsch heißt – als „Nummer eins der Ballsportarten hinter dem Fußball positionieren“? Den WM-Sieg 2007 verfolgten bis zu 20 Millionen Fernsehzuschauer, den letzten großen Triumph bei der EM 2016 sahen zwölf Millionen. Bis 2025 wird jede Welt- und Europameisterschaft im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gezeigt, im Oktober sind Verträge unterzeichnet worden. Bei der Vermittlung hat die Marketingagentur Lagardère Sports geholfen, ein Partner der Füchse Berlin. Nicht schwer zu erahnen, wer das mit eingefädelt hat.

An Kritikern und Gegenspielern mangelt es Bob Hanning aber auch nicht. Mit Heiner Brand, dem legendären Coach der 2007er Weltmeistermannschaft, hat er sich überworfen. Bei den Olympischen Spielen 2000 in Sydney assistierte der junge Hanning Brand noch als Co-Trainer, mittlerweile sprechen sie kein Wort mehr miteinander. Was vorgefallen ist, darüber schweigen sie. Nach öffentlichen Schlammschlachten – Brand attestierte Hanning eine „narzisstische Persönlichkeitsausprägung“ und nannte „Eigeninszenierung“ sein oberstes Motiv – haben sie im Interesse ihrer Sportart offenbar eine Art Burgfrieden vereinbart.

Einen Monat vor dem Turnierstart empfängt Hanning am Gendarmenmarkt, im historischen Zentrum der Stadt hat er sich vor ein paar Jahren seine Kommandozentrale geschaffen. Draußen funkelt Weihnachtsbeleuchtung, drinnen im ersten Stock sind die Pokale poliert. Im großen Konferenzraum steht ein Modell der Max-Schmeling-Halle auf dem Tisch, der Spielstätte der Füchse, an den Wänden hängen riesige Bilder der besten Nachwuchsspieler. Woher kommt diese Leidenschaft, ja, diese Besessenheit für den Handball? Und warum steht einer wie er, der einen Erstligisten führt und im Verband tätig ist, mit 50 Jahren noch an sechs Tagen in der Woche morgens in der Trainingshalle, um sich dem Nachwuchs zu widmen?

Er ließ sich als Napoleon ablichten

Hanning gießt sich ein Glas Wasser ein und legt los. „Eigentlich komme ich aus einer unsportlichen Familie“, sagt er, „einer sehr unsportlichen sogar“. Musik spielte eine wesentlich größere Rolle, diesem Umstand verdankt er auch seinen Spitznamen. Mama und Papa waren Bob-Dylan-Fans. Im Ausweis steht Robert.

In Essen jedenfalls, erzählt Hanning, führte kein Weg an Handball und dem örtlichen Bundesligisten vorbei, dem TUSEM Essen. In den 80ern war der heutige Zweitligist Meister, Pokalsieger, Europapokalsieger. „Vom Balkon meines Elternhauses konnte ich auf die Halle schauen, und vor allem konnte ich die Halle hören.“ Also ging er mal vorbei, meldete sich an und versuchte sich als Torhüter.

„1,68 Meter haben mir nicht gerade geholfen“, sagt Hanning. Kaum ein Porträt kommt ohne eine Anekdote aus seiner Zeit beim HSV Handball aus: Er ließ sich damals im Napoleon-Kostüm ablichten, karikierte sich selbst.

Dafür hatte er andere Stärken. Der Unternehmer Matthias Rudolf, damals Hauptsponsor des TUSEM, hat einmal die Geschichte erzählt, wie Hanning mit 15, 16 Jahren in den lokalen Geschäften nach Zuwendungen für den Verein fragte. In den vergangenen zwei Jahren hat sich der Jahresetat der Füchse Berlin von fünf auf sieben Millionen Euro vergrößert – in einer Stadt mit mehr als 50 Erstligisten, sechs großen Profi-Klubs.

Mit 19 eröffnet Hanning seinen ersten Laden in der Essener Innenstadt, die Eltern liefern das Startkapital für das Sportartikel-Geschäft. Nebenher macht er sich einen Namen als junger Handballtrainer mit einem Auge für Talente. Mit der SG Solingen gelingt der Bundesliga-Aufstieg, Leistungsträger sind unter anderem Florian Kehrmann und Torsten Jansen – zwei junge Männer, die später, 2007, zur deutschen Weltmeistermannschaft gehören. Mama Kehrmann schickt bis heute selbstgebackene Weihnachtsplätzchen an Hannings Berliner Adresse.

Kapitän Markus Baur machte sich einen Spaß

Alte Drähte sind ihm wichtig. Beim TUSEM Essen hat er in Jaron Siewert einen talentierten Trainer von 24 Jahren geparkt, der in Berlin-Reinickendorf aufgewachsen ist und nach seinen Zweitliga-Lehrjahren irgendwann die Profis der Füchse übernehmen soll. Nachwuchsspieler, die noch nicht den Sprung in den Bundesliga-Kader schaffen, werden an ambitionierte Zweit- oder Drittligisten ausgeliehen, um sich entwickeln zu können. Mittlerweile haben die Füchse mehr als 20 Handballer ausgebildet, die in Liga eins oder zwei aktiv sind. Mit Paul Drux und Fabian Wiede zählen zwei zum Stamm des Nationalteams. In der Trainingshalle in Hohenschönhausen hat ihnen Hanning eine Galerie gewidmet.

„Junge Leute auszubilden und zu formen, ist immer nachhaltiger, als fertige, teure Stars zu kaufen“, sagt er. Im Verlauf der Hinrunde fielen bei den Füchsen Berlin zuletzt von insgesamt 18 Profis zwischenzeitlich zehn mit schweren Verletzungen aus. Die Berliner fingen das mit ihrer eigenen Jugend auf. Ein paar Nachwuchsspieler drängten dermaßen in den Vordergrund, dass sie sich ihre ersten Profi-Verträge verdienten. „Wenn wir diese Philosophie nicht konsequent verfolgen, werden wir irgendwann ein beliebiger Verein sein – und das will ich nicht“, sagt Hanning. Einmal hat er ein paar Monate versucht, sich nur noch um die Profis zu kümmern. „Ging gar nicht.“

Mit diesem Eifer hat sich Hanning selbst bei seinen Kritikern Respekt verdient. Torhüterlegende Andreas Thiel, Spitzname „Der Hexer“ und ein enger Vertrauter Heiner Brands, sagte einmal: „Es ist ein offenes Geheimnis, dass wir uns nicht besonders leiden können. Aber ich ziehe meinen Hut davor, dass Bob sechs Mal die Woche um acht Uhr morgens mit dem Nachwuchs in der Trainingshalle steht.“ Andere beäugen Hanning skeptischer. Markus Baur zum Beispiel, Kapitän der Weltmeistermannschaft von 2007, machte sich einmal den Spaß, in einem Interview, das Hanning der „Süddeutschen Zeitung“ gegeben hatte, jedes „Ich“ zu unterstreichen. Es waren 45. Er schickte es unkommentiert in die Verbandszentrale.

Man hielt ihm Vetternwirtschaft vor

„Man kann von ihm halten, was man will“, sagt Ex-Nationalspieler Stefan Kretzschmar. „Fakt ist: Der DHB ist so gut und so professionell aufgestellt wie seit Jahren nicht – und das hängt vor allem mit der Person Bob Hanning zusammen.“ Fairerweise müsse man auch einräumen, dass sich Hanning trotz massiver Widerstände als Verbands-Vizepräsident behauptet habe. Als er seinen damaligen Vereinstrainer, den Isländer Dagur Sigurdsson, zum Nationaltrainer beförderte, hielt man ihm Vetternwirtschaft und Ämterhäufung vor. Im Sommer 2015 trat Präsident Bernhard Bauer nach einem Streit zurück, die Landesverbände der südlichen Bundesländer probten den Aufstand. Ihre Kritik richtete sich vor allem gegen Hanning. Beim nächsten ordentlichen Bundestag des Verbands 2017 wurde er mit großer Mehrheit wiedergewählt.

Auf dem Höhepunkt des Streits tat Hanning etwas, was ihm schwerfällt: er mied über Wochen die Öffentlichkeit. Damals, erzählt ein Vertrauter, habe Hanning gelernt, dass es hilfreich sein kann, auch mal längere Zeit den Mund zu halten. „Heute würde ich anders reagieren: Dann macht es doch selbst“, sagt Hanning. 2020 soll im Verband ohnehin Schluss sein, nach Olympia will sich Hanning beruflich nur noch um die Füchse kümmern. Seit 2016 ist er mit der ehemaligen Weltklasse-Leichtathletin Katrin Krabbe liiert.

Ganz am Ende der Halle in Hohenschönhausen liegt der Kraftraum. Ein paar Jugendliche heben Gewichte. Zwischen den Geräten hängt in großen Lettern einer von Hannings Lieblingssprüchen: „Wenn du wie ein Profi spielen willst, darfst du nicht wie ein Amateur trainieren.“ Es gibt noch ein paar andere. „Jeder muss mehr in den Topf einzahlen, als er sich selbst herausnimmt.“ Dezente Erinnerungen an die tägliche Erwartungshaltung.

Werte und Regeln

Er sei schon sehr streng, der Bob, sagt Maurice Reinert aus der A-Jugend der Füchse. Wer Gästen nicht zuerst die Hand gibt und ein gesundes neues Jahr wünscht, wird angezählt. „Ich finde es gut, dass uns hier auch Werte und Regeln vermittelt werden“, sagt der 17-Jährige. Im Gegenzug genießen die Junioren Privilegien: Mit den Profis teilen sie sich Halle und Behandlungsräume, vor jedem Auswärtsspiel schlafen sie im Hotel, selbst wenn das in Potsdam stattfindet. „Das gibt es bei keinem anderen Verein.“

Überhaupt, erzählt Reinert, können sie sich mit jedem Anliegen bei ihrem Trainer melden: ob Schmerzen im Knie oder Sorgen in der Schule. „Am Ende einer Saison trinken wir auch mal ein Bier zusammen, wenn sie denn erfolgreich war.“

Der Spieler hat den Satz gerade zu Ende gebracht, als Hanning dazwischenkommt, auf die Uhr blickt: In drei Minuten beginnt das Training. „Heute mache ich dich richtig fertig!“, sagt Hanning. Reinert lächelt milde. „Ich weiß!“

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