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Transparenz als Erfolgskonzept. Naked Cakes zeigen, was sie haben - all ihre leckeren Füllungen sind Schicht für Schicht unverdeckt zu bewundern.

© Ben und Bellchen/promo

Berliner Patisserie: Torten, die sich sehen lassen

Die klassische Festtagstorte mit Fondant und dicker Buttercreme ist aus der Mode. Leicht sollen Torten heute schmecken. Wer dem neuesten Trend folgen will, bestellt sie mehrstöckig und vor allem: entblättert – als Naked oder Half Naked Cake.

Von Susanne Leimstoll

Man mag sie gern ansehen, ihre schlanke Größe, ihre perfekten Proportionen, ihre zarten Kleidchen, meist nur ein halb transparenter Hauch. Oder sie gehen ganz ohne. Sie zeigen, was sie haben: jeden einzelnen üppigen Ring, jede leckere, fetthaltige Schicht, all ihr sämiges Innenleben. Süß sind sie, superattraktiv mit all dem Schmuck. Und, oh, sie duften verführerisch. Irgendwann sind sie dran, man muss einfach reinbeißen in ihre Fülle. Naked und Half Naked Cake heißen heute die Trendtorten für Hochzeiten und andere große Feiern. Mindestens zwei, drei Lagen Boden und dazwischen ordentlich Mousse ordert, wer Eindruck schinden will.

Um Germany’s Next Tortenmodel zu werden, müssen sie „attitude“ mitbringen: drei bis vier nach oben hin kleiner werdende Stockwerke, jedes aus filigran geschnittenen Lagen Biskuit oder Sandkuchen, ebenso vielen Schichten sahniger Mousse dazwischen und natürlich Obst- oder Blumendeko on top und auf jedem Treppenabsatz. Wer den Einblick etwas kaschiert haben will, bestellt: halb nackt. Der Tortenkörper wird erst gleichmäßig in eine leichte Creme gehüllt, die dann wieder abgeschabt wird. Unregelmäßig, manchmal mehr, manchmal weniger, bis das Schichtwerk wieder durchscheint.

Vor allem bei Hochzeitspaaren sind die nackten Torten beliebt

Die Mode der unbekleideten Torten schwappte vor zwei, drei Jahren aus den USA, Australien, England zu uns herüber. Mittlerweile findet sie immer mehr Fans – vor allem bei Hochzeitspaaren. Von Mai bis September ist Hochsaison, da heiratet man gern im Garten oder tanzt anschließend in der Scheune. Vintage-Kleider und hauchzarte Stoffe trägt, wer nicht gerade ein Schloss besitzt wie Meghan Markle. Natürlichkeit ist angesagt – beim Brautstrauß, bei der Tischdeko, beim Menü und auch beim mehrstöckigen Gebäck. Selbst wenn die Brauteltern über die Torte sagen: Die ist ja noch gar nicht ganz fertig! Die renitenten Kinder lassen den Naked Cake sogar rustikal auf der Holzscheibe statt der Porzellanplatte servieren. Und die Naked-Cake-Spezialisten unter den Berliner Konditoren sagen, sie hätten bereits Schwierigkeiten, große hölzerne Untersetzer zu bekommen, weil die Lieferanten nicht mehr genügend dicke Bäume finden.

Das Team von "Ben und Bellchen". Isabel (l.) und Benjamin Hoffmeier, die Gründer und Chefs, mit Konditorin Sabine.
Das Team von "Ben und Bellchen". Isabel (l.) und Benjamin Hoffmeier, die Gründer und Chefs, mit Konditorin Sabine.

© Ben und Bellchen/promo

Zu Benjamin und Isabel Hoffmeier und ihrer Firma Ben und Bellchen kommen die Hochzeiter meist mit klaren Vorstellungen und Fotos aus dem Internet. „Dieses Jahr sind mehr als 90 Prozent der Tortenbestellungen bei uns Naked oder Half Naked Cakes“, sagt Isabel, die zusammen mit ihrem Mann vor Jahren mit Cake Pops, also Kuchen am Stiel, ins Konditoren-Geschäft einstieg und seit 2011 mit ihrem sechsköpfigen Team inklusive Konditormeisterin nicht mehr nur die essbare Deko fürs Fest liefert, sondern auch vielstöckige Torten. Die Firma hat ihre Produktionsstätte auf 120 Quadratmeter vergrößert, arbeitet nun in zwei Backstuben plus Büro im wachsenden Quartier an der Heidestraße.

Die Beratung erfolgt im zartrosa gestalteten Entree. Optische Inspiration bieten echte, in Schönheit erstarrte Prototypen, die möglichen Kuchengrößen lassen sich an stapelbaren Styropormodellen abgucken, Bildbände liefern zusätzliches Augenfutter. Aber vor allem soll das Gebäck schmecken. Also serviert Benjamin Hoffmeier auf einer kleinen Malerpalette die Möglichkeiten: dunklen und hellen locker-leichten Biskuit und zwei Farben Sandkuchen, schwerer, aber saftiger. Mit einem Löffelchen probiert man sich durch sahnige Frischkäse-Buttercremes: fliederfarbene Heidelbeer-Zitronenmousse, sattgelbe Mango-Maracuja mit frischen und gefriergetrockneten Früchten, pinke Himbeere mit würzig-vanilliger Tonkabohne. Durch süße Vollmilchschoko / Karamell, Mandel mit Trauben und Marshmallows, Pfirsich plus Mandel oder den Renner Waldfrucht / Vanille, und man testet Toppings wie geröstete Kokosflocken, Nussplättchen, Krokant oder Chocolate Chips.

Das Team baut die Schichtorten beim Kunden zusammen

Woher rührt die plötzliche Liebe zur puren Schichttorte? „Die wenigsten mögen noch Fondant mit fetter Buttercreme drunter“, sagt Isabel Hoffmeier. „Die Nakeds sind so locker-leicht wie heute die Hochzeitsfeiern.“ Zudem wahren die halbnackten und nackten Backkunstwerke, obwohl die Kunden die Etagen immer noch höher haben wollen, auch nach stundenlangem Herumstehen die Form: Nichts kann abblättern, nichts läuft aus, schwitzt augenscheinlich oder schlägt bei Wärme Blasen wie Fondant. Dennoch kann auch ein Naked Cake nicht auf ein Korsett verzichten: Die einzelnen Böden trennen „Goldies“, beschichtete Pappteller, dem Tortenkörper verleihen Kunststoffröhrchen oder Holzstäbchen Stand. Der Turmbau zu Babel kann trotzdem nicht fertig transportiert werden: Das Team baut ihn meist vor Ort zusammen.

So viel Luxus hat seinen Preis: Ein Stockwerk für 18 Stücke inklusive üppiger Deko kostet bei Ben und Bellchen 130 Euro, bei zwei Etagen ist man mit 260 Euro dabei, drei machen dann schon 450 Euro aus. Wer vier Wochen im Voraus bestellt, ist spät dran, diese Saison ist gut gebucht, Lieblingstermine wie der 18. 8. waren bei der Manufaktur schon acht Monate zuvor weg.

Konditormeisterin Johanna Behrends, die Moderatorin Enie van de Meiklokjes für ihre TV-Sendung „Enie backt“ berät und seit knapp drei Jahren ihr Café Verzuckert betreibt, kann den Hype um die Naked Cakes bestätigen. „Die Nachfrage wird immer größer, der Trend geht eben zu mehr Natürlichkeit. Ich schlage den Half Naked Cake sogar zu Geburtstagen vor, dekoriert mit kleinen Blattgold- oder Silberelementen.“ Schicht auf Schicht: Ist der Naked Cake nicht handwerklich die einfachere Tortenvariante? „Nein, es ist die schwierigere“, sagt Johanna Behrends. „Man kann keinen Fehler kaschieren.“ So viel für den Laien. Kaum eines ihrer selbst entwickelten Rezepte ist ohne Raffinement.

Konditormeisterin Johanna Behrends in ihrem Café Verzuckert in Friedrichshain.
Konditormeisterin Johanna Behrends in ihrem Café Verzuckert in Friedrichshain.

© Doris Spiekermann-Klaas

Die 32-Jährige stammt aus einer Konditorendynastie. Wie stolz sie darauf ist, kann jeder in ihrem Friedrichshainer Café sehen: Eine Fototapete zeigt ihren bärtigen Ururgroßvater mit Familie, ein Bild von 1856, aufgenommen in seiner Konditorei in der Hansestadt Osterburg in Sachsen-Anhalt. In Johannas Café leben er und ihre Familie weiter, sein erster Backstubentisch steht mitten im Verzuckert, gegenüber an der Wand der schöne Wäscheschrank von Tante Else, davor ihr Küchentisch. Johanna Behrends ist ebenfalls Konditorin mit Leib und Seele, ihr großes Können bewegt sich zwischen Hausfrauenkuchen und feinster Patisserie, alles nach eigenen Rezepten.

Bei "Verzuckert" reichen die Anfragen für Naked Cakes bis ins Jahr 2020

Die entwickelt sie auch für Naked und Half Naked Cakes, viele besonders aufwendig. Der Teig, kein normaler Biskuit, sondern einer mit gerösteten Mandeln oder ein richtig dunkler Brownie. Ihre Saisontorte birgt in der Basis einen Cheesecake-Kern, umgeben von Vanillecreme, und schmückt sich in den Etagen darüber mit Mandelbiskuit, Maracujamousse und Himbeeren – ein Spiel mit Konsistenzen. 20 Sorten Füllungen variiert sie, alle profitieren von natürlicher Süße, Säure und Frucht. Sobald es frische Kirschen gibt, kocht sie daraus ein Kompott und schichtet es abwechselnd mit weißer und dunkler Schokomousse zum Naked Cake. Und wenn es kühler wird, ist ihr Liebling ein Mandelbrownie-Boden mit Streusel-Crunch, dazu Vanillecreme und -mousse, karamellisiertes Apfelkompott. Elf Zentimeter pro Etage sind Standard, bis auf 20 Zentimeter können sie wachsen. Eine Torte mit 16 Stück kostet um die 65 Euro, ihre teuerste etwa 120.

Begehrte Stücke. Die aufwendig gefertigten Torten von Johanna Behrends, hier eine Half-Naked-Hochzeitstorte, sind mittlerweile die Favoriten für Hochzeiten.
Begehrte Stücke. Die aufwendig gefertigten Torten von Johanna Behrends, hier eine Half-Naked-Hochzeitstorte, sind mittlerweile die Favoriten für Hochzeiten.

© Verzuckert/promo

Für Naked Cakes hat Johanna Behrends jetzt schon Anfragen für die Jahre 2019 und 2020. Und ein weiterer Trend nimmt bereits Fahrt auf: nicht mehr nur eine einzelne vielstöckige Torte, sondern mehrere, unterschiedlich hohe, separat stehende im gleichen Dessin. Hauptsache, nackig.

Ben & Bellchen – Süßes Handwerk, Heidestraße 54, Mitte, ben-und-bellchen.de

Verzuckert, Schreinerstr. 61, Friedrichshain, verzuckert-berlin.de

Dieser Beitrag ist auf den kulinarischen Seiten "Mehr Genuss" im Tagesspiegel erschienen – jeden Sonnabend in der Zeitung. Hier geht es zum E-Paper-Abo. Weitere Genuss-Themen finden Sie online auf unserer Themenseite.

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