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Bild der Frau. Wer ist da eigentlich abgebildet? Max Beckmanns zweite Frau? Oder ein ägyptisches Fotomodell? Die „Ägypterin“, so haben das Bild zunächst Freunde und Besucher des Malers genannt.

© Larissa Hofmann/VG Bild-Kunst, Bonn 2018

Berliner Kunst-Auktion: Warum Beckmanns "Ägypterin" eine Rekordsumme erzielen konnte

„Die Ägypterin“ von Max Beckmann hat viele verzaubert, verkauft wurde sie seit 1942 aber nie. Nun hat sie eine Rekordsumme erzielt. Ein Berliner Auktionshaus hat alles dafür getan.

Bevor die „Ägypterin“, die 1942 in Max Beckmanns Atelier im Amsterdamer Exil entstand, Geschichte schreibt, noch ein kleines Kräftemessen am Telefon. Nach 76 Jahren Anlauf ist der Auktionssaal der Berliner Villa Grisebach voller sommerlich gewandeter Bieter, 13 Telefonbieter hängen in der Leitung, um für Los 20 zu bieten. In Schritten von 200 000 Euro galoppieren die Gebote dem Schätzwert von bis zu zwei Millionen Euro davon. Dann fällt der Hammer, zum Ersten, Zweiten und Dritten bei 4,7 Millionen Euro. Teurer wurde nie ein Bild in Deutschland versteigert. Was ist da passiert?

Es wird geklatscht, wie nach einer schwierigen Flugzeuglandung. Die Tür zur Straße steht offen. Drinnen: Rekord. Da draußen ist alles wie immer.

Ist der Kunstmarkt überhitzt wie dieser Berliner Frühling? Wie entsteht so ein Rekord? Ließ sich voraussehen, gar planen, dass beispielsweise das Los 20 in der Frühjahrsauktion der Villa Grisebach am Donnerstagabend eine historische Spitzensumme erzielt?

Schultz musste sich auf seine Instinkte verlassen

Damals, in den 70er Jahren, als er das Bild im Schlafzimmer der Sammlerin und Max-Beckmann-Forscherin Barbara Göpel zum ersten Mal sah, konnte er das wohl nicht vorhersehen. Da gab es keinen Hype. Kein gesteigertes Begehren. Bernd Schultz musste sich ganz auf seine Instinkte verlassen, ohne dass es jemand für ihn eingeordnet hätte. Er ließ jenseits aller öffentlichen Aufregung allein die Aura der „Ägypterin“ auf sich zukommen: Stark und doch intim wirkte das Porträt auf ihn. Was an Beckmanns speziellem Licht liegen mochte: Das Gesicht mit den düster umschminkten Augen schien von unten beleuchtet, wie von einer Kerze.

Fast 50 Jahre später, am Mittwoch dieser Woche, einen Tag vor der Auktion, arbeitet Bernd Schultz im klimagekühlten, spitzgiebligen Dachgeschoss der Villa Grisebach in der Charlottenburger Fasanenstraße. Er ist Gründer des Auktionshauses und heute noch dessen Mehrheitseigentümer, umgeben von den Blättern seiner über 50 Jahre aufgebauten Kunstsammlung. Noch ein Tag, dann wird er für einen Erben der Göpels eben jenes Bild versteigert haben, das er in den 70ern zum ersten Mal sah. Es ist auf 1,5 bis 2 Millionen Euro geschätzt.

„Wir sind auf dem Höhepunkt der Erregung“

Während im Erdgeschoss der Villa Grisebach noch die angereisten Interessenten zur Vorbesichtigung vor den Werken schwirren, steht unter dem Dach links eine eckig-schwarzlederne Sitzgruppe der Moderne, darin die geballte Expertise der Villa.

Max Beckmann würde das Bild vielleicht „Sitzgruppe mit Kunsthändlern“ nennen. In der Mitte auf einem Zweisitzer ist Geschäftsführer Florian Illies ins schwarze Leder gespreizt: „Wir sind auf dem Höhepunkt der Erregung.“ Er spricht als Auktionator, nur Stunden vor dem letzten Gebot.

„Das Gemälde ist marktfrisch“, sagt Micaela Kapitzky, Geschäftsführerin, nach vorne aus ihrem Sessel gebeugt. Es wurde ja noch nie gehandelt, war noch nie auf dem Markt. Ein Max Beckmann, der noch keinen Marktpreis hat! Der muss am Donnerstag erst gefunden werden.

Und rechts, elegant hingeflossen in seinen Sessel, Bernd Schultz, bester Kenner des rekordverdächtigen Bildes. Unter dem aufgestickten Monogramm „B.S.“ auf seinem blau-weiß-gestreiften Hemd schlägt ein Herz für die Kunst: „Dieses Bild zielt ins zentrale Nervensystem eines jeden Sammlers.“ Wegen seiner besonderen Geschichte.

Zwischen Gut und Böse

Es sind nur 30 mal 60 Zentimeter Max Beckmann, euphemistisch „Weiblicher Kopf in Blau und Grau“ genannt. Es war ja nicht irgendein Sammler, der das Bild 1942 direkt aus Beckmanns Atelier im Amsterdamer Exil kaufte. Es war Erhard Göpel: Der größte Beckmann-Experte hatte es für sich selbst ausgewählt! Derjenige zwischen Gut und Böse oszillierende Kunsthändler, der jüdischen Künstlern half, ihre Werke und sich selbst zu retten und der auch mit Max Beckmann befreundet war.

Aber 1942 war eben auch das Jahr, in dem Göpel den Auftrag erhielt, auf dem niederländischen Kunstmarkt Bilder für das „Führermuseum“ in Linz zu kaufen.

Seismograf. Bernd Schultz, Gründer des Berliner Auktionshauses Villa Grisebach, entdeckte schon vor fast 50 Jahren die Magie des Bildes.
Seismograf. Bernd Schultz, Gründer des Berliner Auktionshauses Villa Grisebach, entdeckte schon vor fast 50 Jahren die Magie des Bildes.

© Thilo Rückeis

Eines seiner großen Anliegen nach dem Krieg war laut Katalog „die Wiedereinführung des 1950 in New York gestorbenen Max Beckmann in die deutsche Kunstgeschichte“. Seine Frau Barbara arbeitete nach dem Tod ihres Mannes weitere zehn Jahre an Beckmanns Werkverzeichnis, das 1976 herauskam.

Man kann sagen, die Wiedereinführung ist gelungen. Heute ist Beckmann Kanon. Und so viel Kanon gibt es gar nicht. Die Menge des Kanonischen in der Kunst ist so endlich wie etwa der deutsche Wald, in den aus diesem Grund ebenfalls viele investieren, weshalb die Preise steigen. Aber das allein erklärt es nicht. Wovon hängt es ab, ob ein Bild eine Rekordsumme erzielt? Kann man einen Rekord verursachen?

Durs Grünbein schrieb ein Gedicht

Nein, sagt Schultz. Wo keine Nachfrage sei, könne man auch keine künstlich erzeugen. Sie sehen sich eher als Seismografen dieser Nachfrage denn als ihr Antrieb. Aber natürlich gibt es, was den Auktionserlös angeht, Beckmanns Werk und Grisebachs Beitrag. Sonst wäre es ja auch kein so erfolgreiches Auktionshaus.

Das Ausmaß der Erwartungen kann man vielleicht an dem Ausmaß der Anstrengungen ablesen, die die Villa Grisebach unternommen hat, um mit diesem Bild möglichst viele Sammler zu reizen: Eine Broschüre wurde gedruckt, die mit 32000 Exemplaren in 40 Länder verschickt wurde. Florian Illies hat sich darin dem Werk schwärmerisch angenähert. Der Dichter Durs Grünbein schrieb ein Gedicht auf das Bild. Vier Strophen. Was muss passieren, damit Grünbein zu dichten beginnt?

Und einem interessierten Sammler, der leider zu keinem der fünf Vorbesichtigungstermine in Hamburg, Dortmund, Zürich, Düsseldorf und Berlin kommen konnte, stellte man eine eigens angefertigte Reproduktion in Öl zur Verfügung, damit er ein Weilchen mit der Ägypterin probewohnen konnte, worauf dieser prompt sagte: „Ja, die will ich haben.“

Ob er auch zum Zuge kommen würde, kann Schultz zu diesem Zeitpunkt natürlich noch nicht wissen.

Eine Art Kunst-Tantra

1938 schrieb Beckmann in sein Tagebuch: „Ich suche aus der gegebenen Gegenwart die Brücke zum Unsichtbaren – ähnlich wie ein berühmter Kabbalist es einmal gesagt hat: ,Willst du das Unsichtbare fassen, dringe, so tief du kannst, ein – in das Sichtbare.’ Es handelt sich für mich immer wieder darum, die Magie der Realität zu erfassen und diese Realität in Malerei zu übersetzen. – Das Unsichtbare sichtbar machen durch die Realität.“

Auch Auktionen sind Möglichkeitsräume zur Vermessung der Wirklichkeit: Erst wenn der Hammer der Realität niedergeht, fallen alle Erwartungen und Hoffnungen an ein Bild in einem Preis zusammen.

Micaela Kapitzky hat bei den Auktionen immer den Platz neben dem Auktionator und damit den besten Blick ins Publikum. Oft sieht sie den Leuten an, wenn sie gleich mitbieten wollen, manchmal schon lange bevor das von ihnen Begehrte an die Reihe kommt, so sehr übertrage sich die innere Anspannung auf den Körper. „Verdichtete Energie“, diagnostiziert Florian Illies, die auf Entladung wartet. Dann folge die Euphorie mit der gleichen Intensität wie die Enttäuschung, wenn einer nicht zum Zuge kam.

Es ist ja eine Art Kunst-Tantra, das sie hier betreiben: Sie schüren Erwartungen und lassen dann die über Monate aufgebaute Spannung zweimal im Jahr sich entladen. Das nennen sie Frühjahrs- und Herbstauktionen. Sie bemerken den steigenden Adrenalinpegel auch an sich selbst, obwohl sie sich nur als Vermittler zwischen Einlieferer und Käufer sehen.

Stille im Saal, kein Gebot

Es kann bei einer Auktion alles passieren, sagt Bernd Schultz. Sie haben schon die absurdesten Sachen erlebt. Der größte Schlag ins Kontor von Micaela Kapitzky ging wie folgt: eine ähnliche Ausgangssituation wie jetzt mit Beckmann, ein Bild mit hohen Erwartungen. Kapitzky hatte drei leidenschaftliche Bieter, von denen sie sicher war, dass sie sich ein gutes Rennen liefern würden. Aber dann: Der erste schläft während der Versteigerung ein, das hat er nachher zugegeben, Kunstsammler sind ja oft älter. Der zweite verwechselt die Losnummern – er wartet noch auf den Aufruf, als sein Bild längst durch ist. Und der dritte denkt: Moment mal, wenn hier niemand bietet, dann ist irgendetwas faul.

Stille im Saal, kein Gebot.

Sie haben eine Weile gebraucht, bis sie darüber lachen konnten.

Bernd Schultz liebt die persönlichen Verknüpfungen in diesem Geschäft. Vielleicht liegt der Erfolg eines Händlers auch darin, wie man diese Beziehungen pflegt, wie vertrauenswürdig und ausdauernd, und ob man um halb eins nachts noch ans Telefon geht. Er habe über die Jahre 6000 Adressen in seinem Telefon gesammelt, sagt Schultz. Oder nein – er kann Ungenauigkeit nicht leiden – kurzer Anruf bei der IT: Es sind genau 7852 Adressen. Er kennt diese Menschen alle, zum Teil ihre Kinder und Enkel. Es sind Vertrauensverhältnisse, die sich über Jahre aufgebaut haben.

Eine Schlossherrin, quasi mittellos

Schultz ist schon eine Schlossauffahrt bei Genf heraufgefahren, nur um zu erfahren, dass die Schlossherrin soeben quasi mittellos dasteht nach der Trennung von ihrem Mann. Das kleine Franz-Marc-Bild ist das einzige, das sie schnell zu Geld machen kann, damit sie fortan rechtlich gegen ihren Mann vorgehen kann. Eine andere Dame riss sich einen Emil Nolde aus dem Herzen, um für ihre Tochter die Studiengebühren in Harvard zu bezahlen. Wenn Schultz Geschichten dieses Kalibers hört, spürt er die Verpflichtung, ein besonders gutes Ergebnis zu erzielen.

Wie aber macht er das?

Kunst mit Bedeutung aufladen heißt Bezüge herstellen, bis die Werke allen relevant erscheinen. Florian Illies, der Journalist, Herausgeber, Kunstexperte des 19. Jahrhunderts kennt diese Mechanismen. Als Autor des Epochenbeschreibungs-Bestsellers „1913“ hat er nichts anderes gemacht: Er hat Bezüge aufgezeigt, die vorher einer Mehrheit nicht sichtbar waren. Verbindungen zwischen Künstlern, zwischen Künstlern und Sammlern, Sammlern und ihrer Zeit, der Zeit und ihren Protagonisten. Im Lichte der neuen Erkenntnis erschien das dann plötzlich mehr als einer Million Lesern relevant.

Wer ist da eigentlich abgebildet?

Man kann das auch mit einem einzelnen Werk so lange machen, bis es irgendwie zwingend in der Geschichte festgezurrt scheint von der Summe seiner Bezüge, fest vertäut am Grunde der Geschichte. Dann ist irgendwann das Werk durch die Zeit zu erklären und manchmal auch die Zeit durch das Werk.

Für die Bewertung der „Ägypterin“ müsse man wissen, dass sie in einer für den Maler harten Zeit gekauft wurde, als jeder Käufer die Auswahl zwischen vielen neuen Werken hatte, sagt Schultz. Dass sich der Kenner Göpel ausgerechnet für dieses entschied und es zeitlebens nie verkaufte, spreche für sich selbst.

Und dann natürlich die Uneindeutigkeit des Bildes selbst: Das Rätsel, wer ist da eigentlich abgebildet? „Quappi“, Beckmanns zweite Frau, der es etwas ähnlich sieht? Oder das damals berühmte ägyptische Fotomodell Nimet Eloui Bey, das auch von Man Ray porträtiert wurde? Die „Ägypterin“, so haben das Bild zunächst Besucher von Beckmanns Atelier genannt. Ihm selbst sei die Frau im Traum erschienen, beteuerte der Maler.

„Das Bild war nie ein Objekt der Spekulation“, sagt Schultz am Mittwoch. „Immer Herzblut.“ Sie haben bis Donnerstagabend, 18 Uhr, alles getan, um an die Instinkte der Herzenssammler zu appellieren. Alle Geschichten sind erzählt. Kurz vor der Auktion hat Schultz es nicht mehr in der Hand, wer am Ende den Zuschlag für die „Ägypterin“ erhalten wird.

Trockenes Bieten, Hämmerchen, Applaus

Die Käufer, hat Schultz beobachtet, sind jünger geworden in den vergangenen Jahren. Investmentbanker oder Start-up-Unternehmer können oft schon früh Kunst kaufen. Sie haben die Logik der Start-ups in den Kunstmarkt übertragen, worin man nicht in einen Wert, sondern in ein Entwicklungspotenzial investiert: Viele kaufen Werke junger Künstler in der Hoffnung, dass mindestens einer davon durch die Decke geht. Gegenwartskunst, die Schultz „ungeprüft“ nennt, weil noch niemand sagen kann, welcher Name bleiben wird.

Für Beckmann wünscht er sich kenntnisreiche Sammler mit Leidenschaft. Drei Persönlichkeiten seien interessiert, deren Sammlungen er lange kennt. Schultz sagt: „Die größte Gefahr ist, dass es jetzt zum Spielball von Spekulanten wird.“

Um zwanzig nach sechs am Donnerstagabend tragen zwei Helferinnen in weißen Handschuhen Los Nr. 20 hinein. Als würde „Die Ägypterin“ vor Schreck umfallen, weil sie jetzt doch noch auf dem Markt gelandet ist, halten sie sie die ganze Zeit fest. Trockenes Bieten gegen das Telefon, Hämmerchen, Applaus. Dann biegt Schultz um die Ecke: Ja! Ein Sammler in der Schweiz ist es geworden. „Eine ganz wunderbare Sammlung.“ Er kennt sie gut. Schultz wirkt erlöst.

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