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Ein Neustart - wie kann er aussehen?

© Jens Büttner/dpa-Zentralbild/dpa

Berliner Ehepaar umsegelt die Welt: Eine Geschichte darüber, was Krisen aus uns machen können

In der aktuellen Krise überprüfen viele, was sie haben und was fehlt. Noch einmal von vorne anfangen – das ist Kerstin Foell und Robert Stolle gelungen.

Wie eine Krise beginnt, lässt sich im Rückblick meistens deutlich erkennen. Bei Robert Stolle war es der Moment, als der Arzt ihm seine Optionen eröffnete. Und es waren nicht viele. Schwieriger dagegen ist zu sagen, wann eine Krise überwunden ist, wann sie zu etwas Anderem geführt hat.

Wenn man Robert Stolle heute fragt, wie lange er sein altes Leben, von dem er sich lösen wollte, noch mitgeschleppt hat, dann überlegt er eine Weile, bevor er sagt: Bis zur Begegnung mit dem Wal.

Gibt es ein größeres Tier auf Erden als einen Wal? Er zieht seine Bahnen durch die Weltmeere. Ihn zu sehen, lässt einen nicht kalt. Ihn nicht zu sehen, erwischt einen mitunter kalt.

Als dieser eine Wal, den Stolle meint, den Weg von ihm und seiner Frau und Gefährtin Kerstin Foell kreuzt, da haben die beiden bereits 30.000 Meilen auf ihrem Segelboot zurückgelegt, einer 16-Meter-Yacht, die ihnen nur Probleme bereitet hat. Sie fahren durch den Nordatlantik Richtung Europa, nach Hause, das Wetter ist rau und sie wissen, dass sie es beinahe hinter sich haben.

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Ihr Trip, den viele einen Selbstfindungstrip nennen würden, neigt sich nach fünf Jahren seinem Ende. Da prallt ihre Yacht auf das Hindernis, den Wal. Er hat vielleicht geschlafen, als sich 20 Tonnen Metall in seine Flanke bohren. Die Yacht kommt abrupt zum Stehen. Mit Entsetzen sieht der Skipper das riesige Tier an der Bordwand vorbeiziehen.

Warum der Wal? „Weil er noch gefehlt hat.“ Ein Wal hatte es noch nicht auf die endlos lange Liste an Heimsuchungen geschafft, mit denen es Stolle und Foell bis dahin zu tun bekommen hatten.

Ein Neuanfang? Dem Paar ist er gelungen

Weshalb hier niemand die Geschichte eines Aussteigerpaars erwarten kann, das sich seinen Traum von einer Reise ins Paradies erfüllt. Wenn es anfangs so etwas wie einen Traum gab, dann hat er sich jedenfalls bald in etwas sehr Anstrengendes, Nervenaufreibendes verkehrt. „Wir haben an Bord so viel über uns gelernt“, sagt Kerstin Foell, eine blonde Rheinländerin, 49 Jahre alt, stolzes Kinn, Typ Managerin, „dass sich daraus unser jetziges Leben entwickelte.“

Ein neues Leben. Viele Menschen überprüfen derzeit, was sie haben und was ihnen fehlt. Die Unsicherheit als Anstoß zu nutzen, um noch einmal von vorne anzufangen – das ist Kerstin Foell und Robert Stolle gelungen.

Foell, 49 Jahre alt, und Stolle, 56, haben in ihrer kleinen Hamburger Wohnung nebeneinander am Bildschirm Platz genommen. Er mit ergrautem, kurzem, struppigem Haar, kerniger Stimme, die Ellbogen auf dem Tisch wie eine Kaimauer. Beide tragen maritime Fleece-Cardigans, in blau (sie) und grau (er), und sagen, dass sie heute mit viel weniger Lebenszeug auskommen, als das früher in Berlin der Fall war, wo sie Karriere machten.

Ein neues T-Shirt muss ein altes ersetzen. Ein Loch wäre noch kein Grund, es wegzuschmeißen. Drei Löcher vielleicht schon. Als würden sie immer noch auf einem Schiff leben, auf dem Stauraum knapp ist.

Auszeit auf Zeit. Robert Stolle und Kerstin Foell auf ihrer Reise in die Karibik.
Auszeit auf Zeit. Robert Stolle und Kerstin Foell auf ihrer Reise in die Karibik.

© privat

Sie hätten ihre Ansprüche an materielle Güter „runterskaliert“, so nennen sie das. Weil sie heute keinen Kostenapparat von einer knappen Million Euro pro Monat mehr absichern müssen, trifft sie die Coronakrise zwar ebenfalls „ganz und gar“, weil ihnen als freiberufliche Coaches die Beratungsaufträge fehlen.

Gleichzeitig zehren sie davon, dass sie das, was derzeit viele Menschen während der Coronakrise durchmachen, bereits verinnerlicht haben – mit Veränderungen und Ängsten klarzukommen, Kontrollverluste zu akzeptieren, auf engstem Raum zu leben und positiv mit einer Notsituation umzugehen. Etwa als mitten auf dem Atlantik die Bordelektronik versagte und sie in Vierstunden-Schichten abwechselnd alles an Energie aufbieten mussten, was in ihnen steckte, um das Schiff auf Kurs zu halten.

Die Aktualität dieser Erkenntnisse lässt den gefragten früheren Werbeprofi Stolle und die Markenstrategin Foell nun auf ihre alten Talente zurückgreifen und mit ihrem im vergangenen Jahr im kleinen Hermann Schmidt Verlag erschienenen Erfahrungsbericht „Pur“ noch einmal die Öffentlichkeit suchen. „Seelenstriptease“ sagt Stolle dazu.

Wie über Gefühle reden, ohne die es keinen Wandel gibt? Wie die Härte begreiflich machen, die es bedeutet, dass ein Plan nicht aufgeht? Die Fang-doch-ein-neues-Leben-an-Literatur füllt meterweise Regale in Buchhandlungen. Aber untertreibt sie es nicht meistens mit den Mühen, die eine solche Umstellung in Wirklichkeit kostet?

Die beste Agentur der Welt

Fünf Prozent des Gehirns, die man Bewusstsein nennt, stehen 95 Prozent gegenüber, die Entscheidungen unbewusst beeinflussen. Wie können diese Gefühlsregionen erreicht werden?, fragt sich Stolle. Bei ihm selbst war der Wal ausschlaggebend. Der Koloss, der Stolles Ende hätte sein können, schwamm gewissermaßen direkt in sein Unbewusstes, wo er den letzten Rest an Erfolgshunger auslöschte, der ihn stets angetrieben und, wie er meinte, ausgezeichnet hatte.

In der Werbebranche hat der Name Stolle einen glanzvollen Klang. 1998 bauten er und zwei Kompagnons in Berlin eine Agentur auf, die bald schon zu den besten des Landes zählen sollte. Aimaq Rapp Stolle überschritt Grenzen, war frecher und unberechenbarer als die etablierte Konkurrenz aus Frankfurt und Hamburg. Ein Porträt im „Manager Magazin“ fasste das Credo der Gründer so zusammen: „Hauptsache, es knallt“.

Als sie 2004 auch den Etat der SPD und ihres Cohiba-Kanzlers gewannen, war das der Ritterschlag für die jungen „Wilden“, die sich bewusst für Berlin als Standort entschieden hatten, und doch „geschockt“ waren von dem , was sie vorfanden. Kuriere erschienen nicht, Druckereien nahmen nachmittags keine Aufträge mehr für denselben Tag entgegen, und qualifizierte Mitarbeiter gab es in Berlin zunächst auch keine.

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Der Wechsel an die Spree fiel in eine Zeit, da Powerpoint-Präsentationen noch die Anwesenheit eines IT-Technikers nötig machten und Vorstände sich weigerten, ihre E-Mail-Adresse auf der Visitenkarte anzugeben. Dass jeder Mensch direkt erreichbar sein würde, veränderte die Werbung. Aimaq Rapp Stolle reagiete darauf mit Kampagnen, die nicht wie Werbung aussehen sollten. Bald hatten sie über 80 Mitarbeiter, und ständig stand einer von denen vor Stolles Schreibtisch, weil er mehr Geld haben oder wechseln wollte. Er selbst konnte nur von Projekt zu Projekt denken, nie sei klar gewesen, was als nächstes passieren würde.

Das Wappentier der bald mit Preisen überhäuften Agentur war ein Dreihorn. Doch ideal sei die Konstellation der Gründer nicht gewesen, gibt Stolle heute zu. Als erster verabschiedete sich 2007 Andreas Rapp, der lieber mehr über Kampagnen nachdenken, Ideen entwickeln wollte, statt einen großen Agenturapparat durch schwierige Zeiten zu steuern. Denn die zeichneten sich für die Werbebranche längst ab.

„Schwächen, die mich umbringen können“

Aimaq Stolle war immer noch hoch gehandelt. Und womöglich wäre alles weitergegangen, wenn nicht bei einer Blinddarmoperation zufällig ein merkwürdiges Geschwür in Stolles Unterleib entdeckt worden wäre. Ein neuroendokriner Tumor. Ursache: unbekannt. Behandlung: unmöglich. Die Ärzte wussten nur, dass er bereits gestreut und die Lymphknoten befallen hatte. Wochenlang lebte Stolle in der Ungewissheit, ob es sich um eine bösartige Version dieses äußerst seltenen Krebs’ handelte. Da reifte der Entschluss.

Es ist vielleicht ein seelischer Reflex, auf ein im Körper heranwachsendes Krebsgeschwür mit einem Schnitt zu antworten, der das mitwachsende Unbehagen am eigenen Dasein herausschneiden soll. „Früher dachte ich, dass ich unkaputtbar wäre. Ich wurde nie krank, keine Grippe, keine Erkältung. Ich bin nie zu Ärzten gelaufen. Es war eine Herausforderung, mir zuzugestehen, dass ich Schwächen habe, die mich umbringen können.“

Eins war klar: Falls er es überleben sollte, würde er segeln. Und: „noch mal etwas wirklich Sinnvolles machen“. Er hatte genug davon, den Konsum anzukurbeln.

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Mehrere Operationen sind nötig, bevor Stolle Gewissheit bekommt. Der Tumor ist unter Kontrolle. Dennoch sind die Ärzte nicht begeistert, sagt er, dass er aufs Meer will.

2011 ist auch kein guter Zeitpunkt, Anteile einer Werbeagentur zu verkaufen. Nach der Lehman-Brothers-Pleite gerät auch diese Branche unter Druck, der Umsatz mit Werbung bricht 2009 um knapp zehn Prozent ein. Außerdem verlagert sich das Geschäft zunehmend auf Onlinemedien, was den Erlös weiter schmälert. 2010 haben Unternehmen erstmals mehr Geld in Onlinewerbung investiert denn in Printprodukte. Als der Deal zustande kommt, ist es nicht so, dass Stolle nie wieder arbeiten muss. „Für ein Schiff und ein bisschen Taschengeld reichte es.“

Unter den Bodenbrettern lauert ein Monster

Seine Partnerin Kerstin Foell kann sich sofort für den Gedanken einer Auszeit begeistern. Auch sie sinnt auf eine Veränderung. Das Segeln haben beide ein paar Jahre zuvor bei einem Mallorca-Urlaub kennengelernt, auf dem Wannsee erste Segelscheine erworben und sich bald in den Klassikern der Segelliteratur verloren. Eine Zeit lang steuerten sie ein erstes eigenes Schiff über die Ostsee, aber das nasskalte, wechselhafte Klima ließ sie von ferneren Gestaden träumen.

Für den Trip dorthin brauchen sie nun nur noch das richtige Gefährt. Sie halten über Gebrauchtboot-Portale in ganz Europa Ausschau. Stabil und komfortabel soll die Wunschyacht sein, schnell und einfach zu handhaben, von einem bekannten Konstrukteur, um einen höheren Wiederverkaufswert zu haben. In Spanien werden sie fündig.

Eine Van De Stadt 49 steht zum Verkauf, ein Unikat, konstruiert von einem berühmten niederländischen Schiffsdesigner und im Besitz eines Mannes, der das Bausatzmodell 1995 in einer eigens dafür errichteten Werkhalle fertigstellen ließ. Als Foell und Stolle den älteren Herrn in seinem spanischen Domizil besuchen, merken sie, dass er eigentlich gar nicht verkaufen will. Zwar liegt die Aluminiumyacht nur unbenutzt vor seinem Appartement im Hafenbecken, aber da er es ganz nach seinen Vorstellungen hatte anfertigen lassen, würde mit dem Schiff nun auch ein Stück seines verwelkenden Lebens verlorengehen.

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Stolle greift zu. Er hat seine ideale Fahrtenyacht gefunden. Und er will gar nicht so genau wissen, dass der Vorbesitzer Ingenieur gewesen war und das Schiff mit Technik vollgestopft hatte, die nur er vollauf versteht.

Unter den Bodenbrettern und hinter den Verkleidungen schlummern drei Hydraulikanlagen, drei voneinander getrennte Stromkreisläufe, ein Generator, ein Dieselbrennofen und der überdimensionierte Motor eines Traktors. Sämtliche Segel können über elektrische Winchen gehisst und eingestellt werden, die Selbststeueranlage wird elektrisch betrieben, sogar der Lokus funktioniert elektrisch. Und all diese Wunderdinge des maritimen Luxus’ sind jahrelang der glühenden Mittelmeersonne ausgesetzt gewesen, als die angehenden Weltenbummler und Erfolgsmenschen aus Berlin „um die Ecke kommen“.

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Aber ja, Foell muss lachen, wenn sie daran zurückdenkt, wie sie nach Spanien fliegen, um sich das Schiff in Augenschein zu nehmen. „Es hat uns total den Kopf verdreht.“

Stolle ergänzt, er habe schon als junger Unternehmer „sehr schnell alles zum Erfolg geführt“. Jetzt steht er da, knapp 50 Jahre alt, an Deck eines Schiffes, das er nicht durchschaut, und ignoriert eine Regel, die auch in der Werbung gilt: keep it simple.

Sie wollten es wissen, Herr Stolle? „Eigentlich immer.“

Die Reaktion der anderen: Unverständnis.

Fünf lange Jahre wird Stolle mit seiner Entscheidung für das Boot hadern. Die technischen Probleme werden nie abreißen, die komplizierte Antriebsmaschine ein ewiges Ärgernis bleiben, die Hydraulik versagen, das Energiesystem zusammenbrechen und der Aluminiumrumpf das Seglerpaar immer wieder vor schwierige Aufgaben stellen. Obwohl ihnen in vielen Häfen fachliche Hilfe angeboten wird, lernen sie durch die Versäumnisse anderer schmerzhaft, dass es nur einen Weg gibt, sein Schiff in Schuss zu bringen: Man muss es selbst erledigen.

Foell hat in ihrem Vorleben nicht mal eine Schraube in die Wand gedreht, wie sie sagt. Nun sieht sie sich verzweifelt in enge, lichtlose Kammern kriechen, um irgendein defektes Gerät abzumontieren oder die Ursache für irgendein weiteres Versagen der komplexen Apparatur ausfindig zu machen, die ihr Schiff als Ganzes darstellt. Die „Trinity“, so haben sie es getauft, wird monatelange Aufenthalte in Werften notwendig machen. Viele Leute, die Foell und Stolle unterwegs treffen, hätten nicht verstanden, sagt sie, dass sie das Schiff nicht gleich wieder abgestoßen hätten.

Über die Liebe eines Seemanns zu seinem Schiff hat der Schriftsteller Joseph Conrad einmal gesagt, dass sie frei sei „vom Stolz des Besitzens“. Denn Schiffe gehören einem nie ganz. Man liebe sie auch nicht um des Nutzens willen, den sie einem einbringen. Die Bindung kommt durch etwas anderes zustande: Da das Meer allen Träumen gegenüber so gleichgültig sei, könne man es nur gemeinsam mit dem Schiff überleben. Und dafür, so Konrad, brauche es vor allem „Kraft, Kraft“.

Ein Höhepunkt ist die Ankunft in New York. Die Stadt, die Kerstin Foell und Robert Stolle durch frühere Besuche kennen, sei eine völlig andere von einem Boot aus, sagen sie.
Ein Höhepunkt ist die Ankunft in New York. Die Stadt, die Kerstin Foell und Robert Stolle durch frühere Besuche kennen, sei eine völlig andere von einem Boot aus, sagen sie.

© privat

Foell und Stolle reparieren und fahren, reparieren und fahren weiter. „Wir sind beide extrem hartnäckig“, sagt Foell. Vom Mittelmeer geht es in die Karibik, nach New York und Trinidad. Es wird zum Running Gag, dass sie sich sagen, „und nun zum Panamakanal“, denn dahinter läge der Pazifik, das wäre noch einmal eine ganz andere Nummer, und jedes Mal kommt etwas dazwischen.

Im fünften Jahr müssen sie einsehen: „Mit dem Schiff macht es keinen Sinn, in den Pazifik zu reisen“, so Stolle. „Die Marquesas-Inseln werden einmal im halben Jahr von einem Postschiff angesteuert. Wenn Sie dort ein Ersatzteil im Wert von zwei Dollar benötigen, sitzen sie sechs Monate fest und warten bloß auf die Plastikkappe für den Vergaser oder so.“

Es ist genug. Sie kehren nach Europa zurück, verkaufen ihr Schiff 2016 ohne Groll und schaffen sich auch kein neues mehr an. Hat die Reise ihren Zweck erfüllt? „Ich könnte jetzt nicht mehr Schokoriegel verkaufen“, sagt Stolle. „Wir haben eine Mission“, sagt Foell, „Menschen dabei zu helfen, selbstbestimmter und erfüllter zu leben.“

Was ist Glück?

Muss man erst zur See fahren, um zu diesem Entschluss zu kommen? Und wie aus dem Ehrgeiz, den man selbst überwunden hat, auf die Sehnsüchte anderer schließen?

Als erstes habe er in seiner Fortbildung zum Coach lernen müssen, sagt Stolle, dass es nicht um seine eigenen Erfahrungen gehe. Sondern darum, sich auf Andere einzulassen. Aber für diese Menschen war nun Platz in seinem Leben. Entstanden in den langen Phasen der Isolation, freigespült.

Das Problem mit Veränderungen ist allerdings, dass sich Menschen in den von Stolle und Foell beratenen Unternehmen oft gar nicht an neue Entwicklungen anpassen wollen. Und dass diejenigen, die es am meisten nötig hätten, am wenigsten offen sind für gute Ratschläge.

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Weiterhelfen kann da eine Geschichte wie die von dem Paar, das sich das falsche Boot kauft und ohne diesen Missgriff nicht irgendwann soweit gewesen wäre, die Definition von Erfolg zu verwerfen, „die wir im Westen haben“, wie Foell meint. „Wir bekommen ja in der Coronakrise vor Augen geführt, dass es nicht immer höher, weiter, schneller geht.“

Längst bemühen sich einzelne Regierungen wie in Neuseeland, die Zufriedenheit der Menschen in ihrem Land durch staatlicher Initiativen zu erhöhen. Glück wird zunehmend als Indikator wirtschaftlichen Fortschritts betrachtet.

Manchmal ist Glück allerdings wirklich nichts anderes als Glück. Das wurde Stolle durch den Wal klar. Einerseits war das Schiff nicht zerschmettert worden, und genau deshalb hatte er es ursprünglich ausgewählt. Andererseits spielte es gar keine Rolle, was er sich gedacht haben mochte. Man kann noch so viel richtig oder falsch machen, wenn am Ende ein Wal im Weg liegt, ist alles eine Frage des Zufalls. Und mit diesem Gefühl wusste er, dass etwas sehr Hartnäckiges in seinem Leben von ihm abgefallen war.

Erst an diesem Morgen, die Füße im Elbsand, hat Robert Stolle wieder gedacht: Ich brauche ein Schiff.

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