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Einen Raum für sich, aber auch für alle anderen: Dana Haddad und ihre Mitgründer (hinten links).

© Doris Spiekermann-Klaas

Zwischen Klassik und Moderne: „Baynatna“ ist die erste arabische Bibliothek in Berlin

Die Macher wollten einen Raum schaffen, in dem frei gesprochen werden kann. In ihren arabischen Heimaten sei das aus politischen Gründen nicht möglich.

Wenige Gehminuten von der Fischerinsel entfernt liegt die Zentral- und Landesbibliothek Berlin, kurz ZLB, ein Gebäudekomplex aus verschiedenen Jahrzehnten und Jahrhunderten. Aus dem sogenannten Ribbeck-Haus, das Mitte des 17. Jahrhunderts gebaut wurde, schaut ein Kopf mit dunkelbraunen Locken und Maske hervor. „Hier rein“, ruft Dana Haddad, eine der Gründerinnen von „Baynatna.The Arabic library“. Kurz darauf tritt sie in einen gewölbeartigen Raum mit hohen Fenstern im Erdgeschoss. „Wir haben in diesem Teil unser eigenes Reich“, erzählt sie.

Baynatna bedeutet auf Deutsch „Unter Uns“. „Wir wollten einen Ort schaffen, den es so in unseren arabischen Heimaten aus politischen Gründen nicht gibt, den wir uns aber gewünscht hätten: Ein Ort, in dem frei über alles gesprochen werden kann. In Berlin ist das möglich, das wollten wir nutzen“, erzählt die 27-jährige Architekturstudentin. Und fügt hinzu, dass auch das Angebot an arabischsprachiger und aus dem Arabischen Arabisch übersetzter Literatur in Berlin überschaubar ist.

Mit „Wir“ meint Dana Haddad auch ihre Mitstreitenden Ali Hasan, Ines Kappert, Maher Khwis und Muhannad Qaiconie, die Gründungsmitglieder der arabischen Bibliothek. Zunächst trafen sie sich in privaten Räumen, unterhielten und diskutierten viel über Gelesenes. Das war Ende 2016.

Als Teil des Programms „Zusammenkunft“ des Zentrum für Kunst und Urbanistik – einem Modellprojekt für das gemeinschaftliche Zusammenleben von Kulturschaffenden, geflüchteten Neu-Berliner_innen sowie Alt-Berliner_innen, wie es auf der Homepage heißt – zogen sie 2017 in das ehemalige Hotel Bel Ahr in die Stresemannstraße in Kreuzberg. Dort konnte die Initiative die Räume ein Jahr lang umsonst nutzen, parallel bauten sie mit Studierenden das Mobiliar für die Bibliothek.

Nach dem Jahr am Anhalter Bahnhof bot ihnen die ZLB 2018 eigene Räumlichkeiten an und gab ihnen auch Workshops zum Bibliothekarwesen, „Da hatten wir wirklich doppeltes Glück: Wir müssen keine Miete zahlen und von uns hat ja eigentlich niemand eine Ahnung gehabt wie eine Bibliothek funktioniert“, erzählt Dana Haddad.

Wegen Corona darf nur in Teilen aufgebaut werden

Die hohen hellen Holzregale sind jetzt an den Wänden des lichtdurchfluteten Raums verteilt. Bücher in allen Größen und Farben stehen in den Fächern. In der Mitte sind niedrige Holztische und Bänke auf bunten schmalen Teppichen aufgebaut. „Es ist ein großes multifunktionales System, an sich könnte man auch die ganze Bibliothek zu einem Modul zusammenschieben“, erzählt der 30-jährige Nauras Agha, der seit 2019 bei Baynatna mit dabei ist.

Wegen der Corona-Reglungen darf die Bibliothek nur in Teilen aufgebaut werden. Sie hat aktuell freitags und samstags geöffnet, die Besuchenden dürfen – wie in allen Bibliotheken – nur zum Ausleihen und Zurückbringen kommen. „Davor haben es sich unsere Besucher hier gemütlich gemacht. Es wird sich viel unterhalten und ausgetauscht“, erzählen die beiden.

Das arabische Wort „baynatna“ bedeutet auf Deutsch „unter uns“.
Das arabische Wort „baynatna“ bedeutet auf Deutsch „unter uns“.

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

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Nicht nur ein arabischsprechendes Publikum zieht Baynatna an: „Hier kommen Menschen zusammen, die sich für arabische Literatur und Kultur interessieren, ganz egal, ob sie nun Arabisch sprechen oder nicht.“ In Berlin haben sie sich ein Zuhause geschaffen, das sie mit anderen teilen möchten. „Deshalb haben wir auch ins Deutsche oder Englische übersetzte Bücher aus dem arabischen Raum“, sagt Dana Haddad.

Mittlerweile umfasst das Team von Baynatna zehn Personen, die meisten von ihnen kommen aus einem arabischsprachigen Land, sind zum Studieren nach Deutschland gekommen oder mussten fliehen. Ganz neu im Team ist die 27-jährige Borouje Nassar. Die Zahnärztin lebt erst seit wenigen Monaten in Berlin. „Ich liebe vor allem arabische Lyrik und war immer traurig, dass ich bei meinem Studium in Münster nichts hatte, wo ich mich hinwenden konnte. Dass ich dann hier auch gleich Freunde gefunden habe, ist umso schöner“, sagt sie.

Über Bücherspenden entsteht der Bestand

Über Bücherspenden generiert das Bibliothekskollektiv seinen Bestand, mittlerweile sind über 3500 Bücher für alle Altersgruppen zusammengekommen. Eine Jahresmitgliedschaft kostet 20 Euro, davon bezahlt das Team Unkosten, die unter anderem bei Veranstaltungen anfallen. „Leider können wir wegen Corona momentan keine Lesungen, Konzerte oder Filmabende machen“, sagt Nauras Agha. Auch größere Veranstaltungen fanden in Baynatna schon statt, wie die Arabisch-deutschen Literaturtage 2018 und 2019.

Die Bibliothek bietet Bücher in arabischer Schrift, soll aber auch ein Treffpunkt sein.
Die Bibliothek bietet Bücher in arabischer Schrift, soll aber auch ein Treffpunkt sein.

© Doris Spiekermann-Klaas

[Breite Straße 36, Fr / Sa 15-20 Uhr, mehr Infos unter baynatna.de und unter instagram.com/baynatna.berlin]

Das Literaturfestival organisiert der syrisch-palästinensische Autor und Chefredakteur des deutsch-arabischen Kulturmagazins „Fann Mag“, Ramy Al-Asheq. Über 2000 Besuchende kamen im vergangenen Jahr zum Festival. „Das war ganz besonders für uns, Wir haben normalerweise nicht das Geld, um Autoren und Autorinnen einfliegen zu lassen“, erzählt Dana Haddad.

Seit 2020 ist Baynatna zusammen mit dem „Fann Mag“ Teil der Organisation „Wir Machen Das“. Die NGO erleichtert Menschen aus Krisengebieten den Einstieg in den deutschen Kulturbetrieb. „Die unterstützen uns wo es nur geht, was uns gerade bei Anträgen sehr hilft. Viel Zeit uns um alles zu kümmern, bleibt da nicht“, sagt Dana Haddad.

Vor wenigen Wochen wurden Baynatna und das „Fann Mag“ mit dem Power of Arts-Award – ein Förderpreis für Kulturprojekte, die sich für soziale und kulturelle Gleichberechtigung einsetzen – und gewannen kurz darauf auch den Wettbewerb „Aktiv für Demokratie und Toleranz“ vom Bündnis für Demokratie und Toleranz. Das Preisgeld will das Team in den Ausbau der Infrastruktur stecken. Das Kollektiv plant, im neuen Jahr auch digital präsenter zu werden. Denn auch mit eingeschränktem Bibliotheksbetrieb steht für sie fest: Baynatna soll eine feste Größe in der Berliner Kulturlandschaft werden. Als Teil der wachsenden arabischen Literaturszene der Stadt zeigt Baynatna aber auch bereits jetzt, wie vielsprachig die Berliner Literaturlandschaft sein kann, die viel mehr ist als deutschsprachige Gegenwartsliteratur.

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