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Der Potsdamer Platz und seine Skyline.

© Doris Spiekermann-Klaas

Zwischen Wolkenkratzern und Touristen: So lebt es sich im "Ganzberliner Kiez" Potsdamer Platz

Erneut stehen große Teile des Potsdamer Platzes vor dem Verkauf. Höchste Zeit für einen Besuch bei den Bewohnern.

Wenn sie ein Fax verschicken will, geht Ursula Will runter zum Reisebüro. Die machen das schon, unter Nachbarn. Danach geht’s einkaufen zu Rewe. Die Kassiererin kennt sie beim Namen, da erfährt sie das Neueste aus dem Kiez. Und wenn alles getan ist, schlendert sie mit Andreas, ihrem Mann, rüber ins Tizian, ins Vox oder ins Mesa. „Am Potsdamer Platz“ steht auf ihrer Visitenkarte, und auf ihrem Balkon wächst der Wein, verwöhnt von der Sonne, im siebten Geschoss der Hochhauszeile. „Wir haben hier alles, außer ’nem Autoverkäufer, aber den brauchen wir nicht“, flachst Andreas Will und ruckelt den Rollator zurecht.

Was wurde nicht alles über den Potsdamer Platz gesagt: Retortenstadt ohne Zukunft, Businessviertel ohne Seele, Touristensammelstelle, Berlin ohne Berliner. Milliarden wurden hier in Stahl und Beton gegossen mit Sandstein verkleidet oder Glas. Und ab und zu gibt es einen Knall und große Aufregung, weil Sony sein Center verkauft, Daimler seine City an die skandinavische SEB und deren Fonds nun die 18 Blöcke für 1,5 Milliarden Euro an einen anderen Fonds aus Kanada weiterreichen will. Aber was sagt das schon aus über Mittes Mitte, wenn in diesen Steinen bald das Geld anderer Pensionäre, Versicherter oder Vermögender aus anderen Breitengraden geparkt wird?

Traumhaft ist vor allem die Lage

Die Menschen, die hier wohnen, arbeiten oder verweilen, sind es, die diesen Platz besitzen, und wer mit ihnen spricht, kann was erleben. Und Vorurteile abbauen: Die Wills sind nämlich echte Berliner. West-Berliner, um genau zu sein. In „Luft- und Klimatechnik“ haben sie mal gemacht und das Geschäft lief so gut, dass sie eine Stadtvilla am Lützowufer kauften; eines der Häuser, die Berlin zur Internationalen Bauausstellung 1987 errichten ließ und die für das neue Wohnen auf dem historischen Stadtgrundriss standen.

Das Lützowufer lag damals mitten in Berlin, ganz am Rand, weil nicht weit davon entfernt die „Hauptstadt der DDR“ begann, kurz hinter Mauer und Brache, die der Potsdamer Platz mal waren. Dann kamen die 1990er, die drei Kinder der Wills waren aus dem Haus, die Firma abgegeben, die Oma verstorben – „was sollten wir da noch mit 280 Quadratmetern“, fragt Ursula Will. Gut, dass gegenüber die Mauer gefallen, die Türme gebaut waren: Stadtvilla verkauft, umgezogen, rein „in die Traumwohnung, in der wir seit zehn Jahren leben“.

Traumhaft ist vor allem die Lage – und diese lässt die Wills schwärmen. Alles da, was man so braucht: „Handwerkerservice rund um die Uhr, WMF, Hussl und der Fitnessclub Olympia im Hyatt“, wo Ursula Will trimmen und schwimmen geht. Wo auch immer sie hinmüssen im „Kiez“, sie kommen auch bei Wind und Wetter trockenen Fußes hin: durch die Tiefgarage. Die kennen die Wills, sie hatten da selbst mal einen Stellplatz. Die 250 Euro im Monat haben sie sich gespart. Das Auto ist abgeschafft. Fuhren ja fast nie damit. Wozu auch, ist doch alles da, im Kiez – außer ’nem Autoverkäufer. „Aber jetzt müssen wir los“, sagt Andreas Will. Zum Ärztehaus um die Ecke.

Man kommt schnell hin und wieder weg

Eine, die aus ihrem Fenster die Wills schon mal beobachtet, wie sie da auf’m Balkon unterm Wein bei einem Gläschen desselben zusammensitzen, arbeitet schräg gegenüber, ein Stockwerk höher. Genau genommen hat Claudia Steens Arbeitgeber Toll Collect einen ganzen Block am Potsdamer Platz in Besitz genommen: Gut 500 Menschen beschäftigt die „Gebühreneinzugszentrale für Lastwagen“ und sammelt von dort aus die Maut für den Bund ein.

„Neben dem Weinhaus Huth gibt es den besten Kaffee Berlins, es gibt Bars, Restaurants, und es ist immer was los“, sagt Steen. Auch sie ist Berlinerin, genauer: aus Ost-Berlin. Fast wäre sie auch privat an den Potsdamer Platz gezogen. Vor fünf Jahren hatte sie genug von Zehlendorf und wollte zurück in die City.

Aber der Zuschnitt der Wohnung gegenüber, in den Parkkolonnaden aus rotem Backstein, passte dann doch nicht. Nun wohnt sie in einem Altbau am Schiffbauerdamm. Reizen würde sie der Potsdamer Platz schon, sie liebt die vielen Menschen, das Leben und die vielen Läden im Quartier. Dass sich U-, S- und Regionalbahnen hier kreuzen, habe wohl auch zur Entscheidung ihrer Firma für diesen Standort beigetragen: Man kommt schnell hin und wieder weg – „Luxus“ nennt Steen das, weil man dadurch Zeit gewinne für andere Dinge.

Steen und die Wills arbeiten und leben gleichsam über dem Dach der PotsdamerPlatz-Arkaden. Die Einkaufsmeile mit mehr als 120 Läden hat zwar Konkurrenz bekommen durch die Mall of Berlin am Leipziger Platz. Aber wer über den Potsdamer Platz an der historischen Ampel herumschlendert, wird bald schon nach dem Weg zu den Arkaden gefragt.

Der Potsdamer Platz ist wie ein Smoothie

Die sind gut besucht, die „Fressmeile“ im Untergeschoss etwa, in der Mittagszeit. Tausende arbeiten in den 18 Gebäuden des früheren Daimler-Ensembles, dazu kommen Touristen mit Treckingrucksack oder buntem Freizeithemd, die auf ein Häppchen reinschauen.

Es ist schon eine spezielle Melange am Potsdamer Platz, einmalig. Am Breitscheidplatz in der West-City sind Touristen und Powershopper in der Mehrheit, an der Friedrichstraße die arrivierten Kreativen, Societysternchen sowie die Politprofis und ihre Lobbyentourage. Am Alex prallt die Basis auf Berlinbesucher aus dem Umland und aller Welt. Der Potsdamer Platz dagegen ist wie ein Smoothie: erfrischend und etwas entrückt. Es ist der missverstandene, ureigene Berliner Platz: ein Babylon mit vollendeten Türmen, aus denen Weißer-Kragen-Träger strömen und sich unter Kameraträger mischen. Gemeinsam einsam, aber allzeit bereit, radebrechend miteinander ins Gespräch zu kommen.

20.000 Menschen wohnen hier

100.000 Menschen laufen täglich über den Platz, 20.000 sollen hier wohnen, mindestens noch mal so viele arbeiten wohl hier. Aber was sagen schon diese ungesicherten Zahlen: Wenn die Sonne scheint, sitzt Joe mit Lederhut und Gitarre im Tilla-Durieux-Park und greift in die Seiten. Fünf junge Männer in weißen Hemden tragen Stäbchen und chinesisches Essen auf den Rasen. Ein Pärchen liegt auf dem Rücken dicht nebeneinander, die Augen in den blauen Himmel gerichtet. Der Platz macht Pause

Aber geht es nicht immer nur ums Geld am Potsdamer Platz? Klar doch, manchmal regnet es auch Bares. „Aus der Linkstraße ist mir mal ein 50-Euro-Schein entgegengeflogen“, sagt Heiko Ortner. Seit fünf Jahren kehrt er den Platz und die Straßen. Woher die Kohle kam, weiß er nicht. „Aber die Elstern sind hier unterwegs.“ Taschendiebe, die ihre Opfer ums Bare erleichtern und in den Seitenstraßen deren Brieftaschen in den Müll werfen. Ist einem von ihnen der „Fuffi“ entflogen? Behalten hat er ihn nicht.

Ortner ist 45, kommt aus „Randberlin“ und liebt seinen Arbeitsplatz. Vielleicht, weil er vorher im Wedding an der Müllerstraße kehren musste und die „Klientel“ am Potsdamer Platz doch „interessanter“ ist, wie er sagt. Am Marlene-Dietrich-Platz kam er mit Udo Lindenberg ins Gespräch und beim „Abreinigen“ fragen ihn Berlinbesucher ständig nach dem Weg. „Liegt wohl an der Signalfarbe“, sagt er und deutet auf sein orangefarbenes Hemd. Was den Platz so besonders macht? „In Kreuzberg versuchst Du nur durchzukommen“, sagt er, am Potsdamer Platz sei schon mehr Feinschliff möglich.

Das wahre "Ganzberliner" Quartier

Das liegt an den Restaurants, Hotels und Lokalen, die auch mal selbst vor der eigenen Tür kehren. Der Potsdamer Platz ist die Schweiz von Berlin. Ortner hat „Landmaschinen- und Traktorenschlosser“ gelernt, „aber jetzt muss man mindestens Mechatroniker sein“, um in dieser Branche zu landen. Also sah er sich um. Und landete am Potsdamer Platz.

Das erste Mal verlegte er als Polier 2000 Quadratmeter Pflaster auf der Brache, Sammelpunkt für die Politprominenz, als der letzte Altbau am Platz gesprengt wurde. Beim zweiten Mal zog er die Wand zwischen Parkkolonnaden und der Charleston-Wohnanlage hoch, an der im Sommer Wasser entlangrinnt. Der Potsdamer Platz, sagt Ortner, ist das wahre „Ganzberliner“ Quartier: Einst West-Berliner Niemandsland, geht es wieder nahtlos in den Ost-Berliner Leipziger Platz über – „und wo die Mauer mal war, weiß niemand mehr“.

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