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Im kommenden Jahr könnte es neue Mehrfachfahrkarten im VBB geben.

© Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa

Zwischen Gelegenheitsverkehr und Monatsticket: Senat und Verkehrsverbund diskutieren Homeoffice-Ticket für Berlin

In Stuttgart wird es im April eingeführt, Berlin diskutiert noch darüber. Da immer öfter von zu Hause aus gearbeitet wird, werden Zeitkarten unattraktiver.

Zwischen Bett und Schreibtisch fahren weder Bus noch Bahn. Immer mehr Menschen legen ihren Arbeitsweg innerhalb der eigenen vier Wände zurück, anstatt ins Büro zu fahren. Der öffentliche Nahverkehr in Berlin hat sich in seiner rund 100-jährigen Geschichte anhand gesellschaftlicher Veränderungen entwickelt, die Folgen der Corona-Pandemie für die Arbeitswelt könnten nun neue Anpassungen nötig machen.

Der Arbeitsplatz im Homeoffice führt dazu, dass ÖPNV-Abonnements wie Monats- und Jahreskarten immer weniger Fahrgäste locken. Die SPD Marzahn-Hellersdorf ergriff deshalb schon im Herbst die Initiative, ein Homeoffice-Ticket einzuführen, wie der Tagesspiegel-Leute-Bezirksnewsletter Anfang September berichtete. Nun hat die Idee die entscheidenden Akteure erreicht: Die „Berliner Morgenpost“ berichtete über den Vorstoß der Geschäftsführerin des Verkehrsverbunds Berlin-Brandenburg (VBB), Susanne Henckel, neue Mehrfachfahrkarten mit flexiblen Geltungsbereichen anzubieten.

Der verkehrspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Tino Schöpf, bringt zusätzlich die Idee einer Grundkarte ins Spiel - angelehnt an die Bahnkarte der Deutschen Bahn – mit der Fahrausweise im Nahverkehr vergünstigt gekauft werden könnten.

Diskutiert wird vor allem ein 10-Tagesticket, das innerhalb eines Monats flexibel genutzt werden könnte. Verkehrspolitiker aus SPD, Linke, Grüne und FDP äußerten sich dazu positiv. Auch die Berliner CDU-Fraktion ist offen gegenüber neuen Tarifmodellen. Darüber hinaus sei es „fair und überfällig“, auch die Abonnenten zu entschädigen, die in diesem Jahr mit Einschränkungen des Nahverkehrs aufgrund der Corona-Pandemie zurechtkommen mussten, sagt der verkehrspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Oliver Friederici.

Auch die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz ist „neuen Tarifmodellen gegenüber aufgeschlossen“, teilt eine Sprecherin mit. Es sei wichtig, den ÖPNV so leicht zugänglich wie möglich zu gestalten und der Lebenssituation der Berlinerinnen und Berliner anzupassen. Zurzeit stimme man sich dazu mit dem Verkehrsverbund Berlin Brandenburg (VBB) ab.

„Das neue Angebot darf die Abozahlen nicht zurückdrehen“

Wer mehr zu Hause arbeitet, spaziert auch öfter durch den eigenen Kiez. Daher müsse man grundsätzlich überlegen, wie der Verkehr sich verändern wird, findet BVG-Pressesprecherin Petra Nelken. „Beim Gang um den Block entdeckt man vielleicht den Vietnamesen drei Straßen weiter oder geht zur Wäscherei um die Ecke, statt am anderen Ende der Stadt.“ Dadurch fielen Fahranlässe weg, daran müsse sich der öffentliche Nahverkehr anpassen.

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„Es ist wichtig, dieses neue Angebot zu schaffen“, sagt Kristian Ronneburg, für die Linken-Fraktion zuständig für Verkehr. „Es darf nicht dazu kommen, dass Leute ihre Zeitkarte kündigen und – weil sie keine finanziell passende Alternative bei Bus und Bahn finden – ihre übrigen Wege mit dem Auto fahren. Die neuen Angebote dürften die Abozahlen im ÖPNV nicht zurückdrehen, sondern müssten ein zusätzliches Angebot schaffen.

Derzeit ist der Berliner ÖPNV zu 60 bis 70 Prozent im Vergleich zu der Zeit vor Corona ausgelastet. Bei S-Bahn GmbH und BVG kündigten zwischen März und Oktober dieses Jahres rund 35.000 Fahrgäste mehr ihr Abonnement als im Vorjahreszeitraum.

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Und während beide gemeinsam zwischen Oktober 2018 und Oktober 2019 die Zahl ihrer Abonnenten um 43 Prozent steigern konnten, stieg diese zwischen Oktober 2019 und Oktober 2020 nur um fünf Prozent. Die Zahlen, die dieser Berechnung zugrunde liegen, entstammen einer Anfrage von Tino Schopf.

Stuttgart und die Deutsche Bahn machen es vor

In Stuttgart wird es ab April ein 10er-Tagesticket geben. Als einer der ersten Verkehrsverbünde in Deutschland hat der VVS somit sein Angebot an die neuen Arbeitsgewohnheiten der Bevölkerung angepasst. Mit dem Ticket können Kunden an zehn Tagen im Monat beliebig viel mit dem ÖPNV fahren.

Laut einer Sprecherin des VVS sei das eine „attraktive Alternative für Kunden, für die sich ein klassisches Abo nicht mehr lohnt.“ Das Angebot sei wichtig, um Stammfahrgäste zu behalten und neue Kunden „in der Lücke zwischen Gelegenheitsverkehr und Monatsticket“ zu gewinnen. Das 10er-Tagesticket sei ideal für eine Zwei- bis Drei-Tage-Woche im Büro. Mit dem Ticket sollen Kunden bis zu ein Viertel des Preises gegenüber normalen Tagestickets sparen können.

Auch die Deutsche Bahn bietet bereits eine Art „Homeoffice-Ticket“ an. Seit Juni gibt es ein 20-Fahrten-Ticket, für Hin- und Rückfahrten an zehn beliebigen Tagen in einem Monat. Seit der ersten Pandemiewelle im Frühjahr gebe es laut einer Bahnsprecherin ein „großes und zunehmendes Interesse“ an dem Ticket. Man werde die weiteren Entwicklungen analysieren, um sicherzugehen, dass die Größenordnung von 20 Fahrten passend sei.

Die Bereitschaft, einen neuen ÖPNV-Tarif anzubieten, ist hoch, der Bedarf wird von allen Seiten gesehen. „Aber irgendwann haben auch Restaurants, Clubs und Theater wieder auf“, sagt BVG-Sprecherin Nelken. „Da muss man sich fragen, wie oft fahre ich wirklich?“ Denn selbst wenn Fahrtwege zur Arbeit künftig kürzer werden – nach Corona gibt es wieder andere Anlässe als den Arbeitsplatz, um den ÖPNV zu nutzen.

Marian Schuth

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