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Andreas Geisel (SPD), Berlins Innensenator.

© Ronny Hartmann/dpa

Zweiter Jahrestag des Breitscheidplatz-Anschlags: "Nachhaltig in Erinnerung ist die Stille auf dem Breitscheidplatz"

Am 19. Dezember jährt sich der Breitscheidplatz-Anschlag zum zweiten Mal. Innensenator Geisel spricht im Interview über den Umgang mit Extremsituationen.

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Herr Geisel, was waren Ihre ersten Gedanken, nachdem Sie von dem Anschlag in Straßburg gehört hatten?

Betroffenheit und Mitgefühl. Sorge und das Bewusstsein, dass es richtig war, entsprechende Sicherheitsvorkehrungen für die Weihnachtsmärkte in Berlin getroffen zu haben.

Hatten Sie da nicht sofort an den Anschlag auf dem Breitscheidplatz gedacht?

Ja, natürlich. Wie bei vielen Menschen in Berlin ist dieser Anschlag auch bei mir dauerhaft präsent. Das hat natürlich auch mit meinem Amt zu tun. Ich bin politisch verantwortlich für die Sicherheit in der Stadt. Seit dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz liegt mein Handy auch nachts immer in meiner Nähe.

Vor zwei Jahren waren Sie bei dem Attentat am 19. Dezember gerade mal elf Tage im Amt. Wie sind Ihre Erinnerungen an diesen Abend?

Ich saß mit Abgeordneten in einem Restaurant, der „Letzten Instanz“. Wir sprachen über die Schwerpunkte in der Legislaturperiode und haben politische Initiativen geplant. Während des Gesprächs erhielt ich einen Anruf von Torsten Akmann. Während der Fahrt zum Breitscheidplatz habe ich den Regierenden Bürgermeister angerufen. Wir haben uns dort getroffen. Auch Vertreter der anderen Parteien und Bezirksbürgermeister Reinhard Naumann trafen dort ein. Ich war dann im Einsatzleitwagen der Feuerwehr, das war das mobile Lagezentrum, in dem alle Informationen zusammenliefen.

Ich trage zwar die politische Verantwortung, habe aber am unmittelbaren Tatort nichts zu suchen, um die Einsatzkräfte nicht zu stören. Was mir noch nachhaltig in Erinnerung ist, war die Stille auf dem Breitscheidplatz. Blaulicht und Stille. An diesem Abend mussten alle funktionieren, Einsatzkräfte, Ärzte, Helferinnen und Helfer, Politiker. Ich habe das furchtbare Ereignis emotional erst einmal nicht an mich herangelassen.

Warum wurde erst ein paar Stunden später die Terrorlage ausgerufen?

Wir wussten ja am Anfang nicht sicher, ob es ein Unfall oder ein Anschlag war. Ich habe gegen 22 Uhr erfahren, dass man von einem Terroranschlag ausgehen musste. Mit einem flüchtigen Täter. Es ging an diesem Abend also auch darum, Ruhe zu vermitteln. Ich hatte die Bilder aus München nach dem Amoklauf im Juli 2016 im Kopf. Ganz München wurde in Panik versetzt. Wir wollten und mussten an diesem Abend zeigen, dass wir kontrolliert und gefasst arbeiten. Ohne Panik zu verbreiten. Ich habe mit dem damaligen Bundesinnenminister Thomas de Maizière telefoniert und der Regierende Bürgermeister mit der Bundeskanzlerin.

Die Zusammenarbeit mit dem Bund war hervorragend. In einer solchen Ausnahmesituation steht man zusammen. Man kann sich nicht auf diesen Moment vorbereiten. Vieles macht und sagt man dann intuitiv. Wenn man überhaupt etwas Positives über diesen Tag sagen könnte, dann über die Arbeit der Sicherheitsbehörden, Polizei, Feuerwehr und die Krankenhäuser, die alle unglaublich professionell gearbeitet haben. Der damalige Landesbranddirektor Gräfling hatte den Einsatz geführt. Ich war noch am Nachmittag des 19. Dezembers bei ihm, hatte mich vorgestellt und mich über die Feuerwehr informiert.

Sie sind nun seit zwei Jahren Innensenator. Wie gehen Sie mit der Last um in diesen Zeiten für die Sicherheit politisch verantwortlich zu sein?

Politiker werden dafür gewählt, Verantwortung zu übernehmen. Da geht es nicht um die eigenen Befindlichkeiten. Sicherheit ist aber ein besonders sensibler Politikbereich, weil es hier am Ende immer auch um Menschenleben geht. Ich neige aber nicht zur Nervosität und schlafe nach wie vor gut. Und ganz wichtig: Ich übe dieses Amt mit großer Leidenschaft aus.

Wann hatten Sie das erste Mal mit Angehörigen oder Opfern des Attentats gesprochen?

Ich habe in den Wochen und Monaten danach mit mehreren Angehörigen gesprochen. Wir haben in den Gesprächen festgestellt, dass wir bei der Opferbetreuung nicht gut aufgestellt waren. Da bestand bundesweit Nachholbedarf. Deshalb haben wir schnell einen Leitfaden erarbeitet, der bei der Innenministerkonferenz verabschiedet wurde: Er regelt die Versorgung und Betreuung der Opfer. Es darf nach solch furchtbaren Ereignissen keine bürokratischen Reflexe mehr geben. Leider sind nach dem Anschlag Briefe herausgegangen, die so nicht hätten verschickt werden dürfen. Das sollte es jetzt nicht mehr geben. Staatssekretär Akmann war zum Beispiel in Israel und hat sich dort über die Opferbetreuung informiert. Und auf Bundesebene wurde das Opferentschädigungsgesetz reformiert. Auch manche Versicherungen handelten übrigens empathielos. Das erzählten mir Hinterbliebene.

Angehörige kritisierten, dass sich die Politik am 20. Dezember in der Gedächtniskirche getroffen habe. Und Angehörige hätten zu diesem Zeitpunkt nicht einmal gewusst, dass Verwandte umgekommen seien. War das richtig?

Am Abend des Anschlags wussten wir ja noch nicht abschließend, wer die Angehörigen der Opfer waren. Die Identifizierung der Toten war noch nicht abgeschlossen.

Warum hat es danach so lange gedauert, bis der Regierende Bürgermeister ein Kondolenzschreiben verschicken konnte?

Diese Antwort mag banal klingen, aber es war leider so: Wir haben die Adressen aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht so schnell erhalten. Da ging es nicht um fehlende Empathie, sondern um die bestehende Rechtslage. Das wurde jetzt bundesweit geändert.

Drei Tage nach dem Anschlag stellten Sie das erste Antiterrorpaket in Berlin vor.

Das erste Paket umfasste 45 Millionen Euro für 2017. Am 9. Januar 2017 hatten wir es auf der Senatsklausur beschlossen. Es ging um Ausrüstungen für die Feuerwehr und die Polizei. Sie kennen die Waffenmisere der Berliner Polizei. Wir mussten schnell handeln, damit die Ausrüstung der Polizei solchen Situationen angemessen ist. Der Nachholbedarf bei der Berliner Polizei ist enorm. Inzwischen hat jeder Polizist moderne Schutzwesten. Das gab es damals noch nicht.

Was denken Sie, wenn bei Ihnen das Handy klingelt und die Sicherheitsbehörden dran sind?

Das wird jetzt mein Staatssekretär Akmann nicht gerne hören. Aber immer dann, wenn er zu außergewöhnlichen Zeiten anruft, rechne ich zunächst mit dem Schlimmsten.

Hatten Sie von ihm auch von dem Anschlag in Straßburg erfahren?

Ich war auf Dienstreise in Washington und habe davon per SMS von der Polizei aus dem Lagezentrum erfahren. In Berlin haben wir danach die Sicherheitsvorkehrungen noch einmal sichtbar auf den stark frequentierten Weihnachtsmärkten erhöht. Dort werden Sie Polizeibeamte mit Maschinenpistolen sehen. Wir sind auch auf andere Anschlagsszenarien vorbereitet, ohne ins Detail gehen zu können. Es gibt keinen hundertprozentigen Schutz. Aber das, was wir tun können, haben wir getan und tun wir weiter.

Gehen Sie selbst gerne auf Weihnachtsmärkte?

Ich war in diesem Jahr schon auf Weihnachtsmärkten, probiere dort auch mal einen Glühwein und besuche gern den Weihnachtsmarkt auf dem Gendarmenmarkt. Ich habe dort kein Unsicherheitsgefühl.

Was werden Sie am 19. Dezember machen?

Vormittags bin ich bei der Gedenkfeier am Breitscheidplatz. Am Nachmittag veranstalten wir, wie letztes Jahr auch, eine Sicherheitskonferenz, mit der wir an den 19.12.1016 erinnern und gleichzeitig in Zukunft schauen wollen. Nationale und internationale Sicherheitsfachleute kommen zu einem Symposium bei uns in der Innenverwaltung zusammen. Dieses Jahr werden wir darüber diskutieren, wie man öffentliche Räume bestmöglich schützen kann.

Das Gespräch führten Sabine Beikler und Alexander Fröhlich.

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