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Licht ins Dunkel. Katrin Behr arbeitet im Haus der früheren DDR-Staatssicherheit in Lichtenberg. Auf deren Geheiß haben die Jugendbehörden häufig Kinder in Heime überwiesen oder zur Zwangsadoption vermittelt, wenn die Eltern politisch unbequem wurden. Behr hat hunderte solcher Fälle dokumentiert und berät die Opfer.

© Kitty Kleist-Heinrich

Zwangsadoption in der DDR: Auf der Suche nach den verlorenen Kindern

Katrin Behr wuchs in der DDR im Heim und bei Pflegeeltern auf, weil ihre Mutter das System kritisierte. Heute berät sie andere Opfer von Zwangsadoption. Hunderte Schicksale hat sie inzwischen gesammelt.

Katrin Behrs Arbeitsplatz hat seine eigene Symbolik. Ihr Büro, in dem sie die Opfer von Zwangsadoptionen in der DDR berät, liegt in der Ruschestraße 103 – vier Etagen über der einstigen Wirkungsstätte von Erich Mielke. Katrin Behr berät Menschen, deren Lebensweg schon vom Ministerium für Staatssicherheit massiv beinflusst worden ist – dadurch, dass sie ihren Eltern weggenommen worden sind. Leute, die mit dem Staat DDR ihre Probleme hatten oder ihre Flucht planten, galten nicht unbedingt als gute Eltern. Unverheiratete Frauen mit nicht ganz sozialistisch-gefesttigtem Lebenswandel galten nicht als gute Mütter. Katrin Behr wurde, als sie vier war, von ihrer Mutter getrennt. Was Zwangsadoption ist, was solche eine Trennung mit einem Kind macht, weiß sie aus eigener Erfahrung. Sie hat ein Buch darüber geschrieben.

Dass die Stasi bei der Trennung von Kindern und Eltern oft ein Wort mitredete, weiß sie aus vielen Fällen, in denen sie um Rat gefragt worden ist. Wie viele Fälle es gab, wie oft und wie genau die Staatssicherheit die Entscheidung traf, Eltern oder alleinerziehenden Frauen Kinder wegzunehmen, weiß niemand. Zwangsadoptionen in der DDR sind ein ziemlich unerforschtes Gebiet. Wie Jugendbehörden etwa in der Hauptstadt der DDR damit umgegangen sind, wurde 1991 durch Aktenfunde bekannt.

Behr verweist auf ihrer Internetseite zwangsadoptierte-kinder.de auf dreihundert Fälle. Nicht immer hatten die Behörden politische, von der Stasi gelieferte Gründe, um Kinder von ihren Eltern zu trennen. Katrin Behr erzählt in großer Offenheit von den etwas wackeligen Verhältnissen, in denen ihre damals sehr junge Mutter versuchte, ihre Kinder großzuziehen. Dass ihre Mutter in einem Anfall von Zorn auf das System auch noch öffentlich ankündigte, aus der DDR „abzuhauen“, machte sie zur „Republikfluchtwilligen“. Wenig später kamen Katrin und ihr Bruder in Heime. Noch später wurde Katrin Behr von sehr linientreuen Eltern adoptiert.

Mit ruhiger Stimme und steter Bereitschaft zum Lachen spricht Behr über das, was in der DDR Gesellschaftspolitik mit Kindern war. Hart oder gar hartherzig hat sie all das, was sie als Kind erlebt und erlitten hat, offenkundig nicht gemacht. Kindererziehung sei eine gesellschaftliche Aufgabe gewesen. „Alleinerziehende Mütter waren genauso verpönt wie im Westen“, stellt sie fest. Wenn Eltern als überfordert galten – oder eben als unzuverlässig – schaltete sich das Jugendamt ein. Gerichtsbeschlüsse, um über die Kinder verfügen zu können, waren offenbar leicht zu bekommen. Dass aber Kinder, bevor sie im Heim untergebracht wurden, noch – wie die vierjährige Katrin – die Verhaftung ihrer Mutter miterlebten, war wohl nicht die Regel. Sie habe so etwas „zum Glück nur zwei Mal“ gehört, sagt Katrin Behr.

Auf ihrer Internetseite lassen sich die Fälle von offenkundigen oder mutmaßlichen Zwangsadoptionen nachlesen – die Geschichten sind zu Suchmeldungen geworden. In wenigen Worten machen Menschen ein paar Angaben zu ihrer Herkunft und versuchen so, Verwandte zu finden. Ein Beispiel im Originalton: „Ich suche meine Tochter Silke geb. 24.12.1978 (die damals noch Manske hieß) und mir und meinem Mann im Sommer 1988 weggenommen wurde, weil mein Mann politisch verfolgt wurde und deswegen auch sechs Jahre bis 1982 im Gefängnis gesessen hatte.“

Wie ein Schatten liegen Jugendamtsentscheidungen aus DDR-Zeiten noch heute auf manchen Leben. Adoption, sagt Katrin Behr, sein nun mal immer „ein Lebensthema“ – jeden beschäftige irgendwann die Frage, woher er komme und was ihn ausmache. An sie würden sich Menschen mit zwanzig wie mit fünfzig Jahren wenden. Manche hören irgendwann, dass sie adoptiert worden sind. Andere finden nach dem Tod ihrer Eltern entsprechende Unterlagen oder Hinweise auf Geschwister, die zur Adoption freigeben wurden, und machen sich auf die Suche.

Die ist, folgt man Katrin Behr, auch gut zweiundzwanzig Jahre nach dem Untergang der DDR meist kompliziert. Nicht immer bekomme man bei den Jugendämtern Hilfe und Unterstützung – zumal in manchen Behörden noch Mitarbeiter säßen, die zu DDR-Zeiten Zwangsadoptionen möglich gemacht haben. Gewiss habe es auch in der DDR Situationen gegeben, „wo man zum Schutz des Kindes was machen musste“, sagt Behr. Und „zu DDR-Zeiten ging es schneller mit dem Herausnehmen von Kindern aus der Familie“, sagt sie. Damit dann alles im Sinne der Entwicklung zur sozialistischen Persönlichkeit lief, kamen Kinder aus Heimen vorzugsweise zu systemnahen Eltern – Lehrern, Parteifunktionären, Polizisten, Stasioffizieren. Katrin Behr verbindet damit die Erfahrung einer gewissen Kälte in der Erziehung – eine Kälte, die für sie zur DDR gehört.

Geprägt ist sie nicht davon, im Gegenteil. Sie wirkt, als sei sie ganz mit sich im Einklang, wie sie am Tisch der Beratungsstelle sitzt und sagt, sie sei in gewisser Hinsicht sogar für das, was sie erlebt habe, dankbar, weil es ihr helfe, anderen zu helfen. Man kann sich gut vorstellen, wie sie Leute dazu bewegt, sich ihr Schicksal zum ersten Mal überhaupt von der Seele zu reden – und dann mit ihnen überlegt, wie sie herausfinden können, woher sie kommen. Werner van Bebber

Die Beratungsstelle befindet sich in der Ruschestraße 103, Haus 1, 6. Etage. Zi. 609 in 10365 Berlin-Lichtenberg. Telefon 55 77 93 54. Telefonische Sprechzeit ist von Montag bis Freitag 14 bis 16 Uhr. Weitere Informationen finden sich auf der Internetseite zwangsadoptierte-kinder.de. Die Lebensgeschichte von Katrin Behr ist erschienen unter dem Titel „Entrissen. Der Tag, als die DDR mir meine Mutter nahm“ (Ko-Autor Peter Hartl, Droemer Verlag, München 2011. 301 Seiten, 16,99 Euro)

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