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Streit um Zuzug. Eine bemalte Hauswand in der Scherenbergstrasse in Prenzlauer Berg.

© imago images / Seeliger

Zuzugsstopp für Berlin?: Die Stadt der Freiheit schottet sich längst ab

Ein CDU-Politiker schlägt einen Zuzugsstopp für Berlin vor. Das wäre fatal – genau wie die Abschottung, die sich unter Rot-Rot-Grün schon zeigt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Lorenz Maroldt

Berlin versteht sich gerne als „Stadt der Freiheit“. Der CDU-Abgeordnete Christian Gräff konnte sich der Empörung deshalb sicher sein, als er einen Zuzugsstopp ins Gespräch brachte. Seine Begründung: Die Stadt sei voll, die Infrastruktur überfordert, weiteres Wachstum nicht zu verkraften. Den Senat forderte Gräff auf, mit der Bundesregierung zu klären, wie realistisch die im Grundgesetz verankerte Freizügigkeit noch ist.

Zuzugssperre? Ganz schlechte Idee für eine Provokation. So etwas Ähnliches hatten wir hier doch schon mal: Wer nach Ost-Berlin ziehen wollte, brauchte eine Genehmigung.

Der Begriff „Freiheit“ ist in Berlin zum Mythos geronnen. Keine Stadtwerbekampagne, keine Berlin-Rede, kein Koalitionsvertrag kommt ohne Freiheit aus. Die einen haben die Verteidigung West-Berlins vor Augen, die Rosinenbomber, Kennedy, andere den Fall der Mauer, manche auch den hemmungslosen Hedonismus der Zwanzigerjahre und der Nachwendezeit. So divers die Stadt ist, auf Freiheit können sich alle verständigen.

Doch tatsächlich wird die Freiheit in Berlin Stück für Stück dekonstruiert, durch Handeln und durch Unterlassen. „Weltoffenheit“ und „Innovationsfreudigkeit“ der Stadt feiert Rot-Rot-Grün im Koalitionsvertrag. Doch die alltägliche Politik offenbart immer offener Abschottung und Strukturkonservatismus.

Die Linke beschwört eine diffuse Gemeinschaft politischer Ureinwohner unter dem Motto „Wir holen uns die Stadt zurück“. Die Grünen wollen „Orte für die Locals zurückerobern“. Und die von der SPD seit Jahrzehnten mitverschuldete Bildungsmisere schreckt potenzielle Neuberliner ohnehin ab. Der Zuzug? Ist bereits eingeschränkt, da wirkt der Wohnungsmangel, es kommen weniger Leute als erwartet in die Stadt. Gut ist das allenfalls für diejenigen, die schon da sind.

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Gefahr für die Freiheit

Aber wer sind diese „Locals“? Wie lange wohnen sie schon in Berlin, wo dürfen sie herkommen, was müssen sie wählen, um von der Koalition unter politischen Artenschutz gestellt zu werden? „Wir verstehen Zuwanderung als Bereicherung“, heißt es im Koalitionsvertrag – aber was versteht der Senat unter Zuwanderung?

Woher müssen Zuwanderer kommen, um willkommen zu sein, was dürfen sie verdienen oder ausgeben, was müssen sie tun oder lassen? Antworten auf diese Fragen gefährden die Freiheit.

Tourismus benennt die Koalition als „Stärke Berlins“ – aber die Linke will die Ausgaben für Berlin-Werbung einstellen, um nicht noch mehr Menschen „in die Stadt zu locken“, wo sie den „Locals“ im Weg stehen. „Aufgeschlossen gegenüber Neuem“ will die Koalition sein – doch „neu“ steht unter dem Generalverdacht der Verdrängung. Unter Rot-Rot-Grün ist Berlin sich selbst genug, Wachstum wird als Bedrohung empfunden.

Das ist fatal für eine Stadt, die seit jeher vom Zuzug und damit vom Wandel lebt. Die Politik steht deshalb hier vor größeren Herausforderungen und Belastungen als anderswo. Sie muss weitsichtiger agieren – und ist zugleich anfälliger für Fehler. Und sie muss die großstädtische Toleranz vor einer falsch verstandenen Freiheit schützen, die sich leicht in Verwahrlosung zeigt. Der Grad an Weltoffenheit Berlins wird nicht am Görli vermessen, sondern beim „Schwaben-Bashing“. Berlins Freiheit, sie braucht Möglichkeiten, Platz, Mut und einen Rahmen. Was sie nicht braucht: Grenzen. Und Politiker, die vor ihrer eigenen Stadt warnen.

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