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"Keine Sorge, es wurde ordentlich durchgewischt." Andrea Nahles, Fraktionsvorsitzende der SPD und SPD-Parteivorsitzende, spricht beim Europakonvent der SPD zur Europawahl zu den Teilnehmern.

© Kay Nietfeld/dpa

Zur Verrohung der politischen Sprache: Die Verflachung des Denkens kann gefährlich werden

Niete, Dreck, Einsperren. Der Ton der Politik wird immer gröber. Warum das gefährlich ist. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Es gibt doch dieses wohlklingende Wort von der Debattenkultur. Dabei geht es also mindestens zu einem Teil um Kultur, um das urbar Machen im Wortsinn. Derzeit wird aber oft der Unkultur der Boden bereitet: einer Verrohung der Sitten, einer Verflachung des Denkens. Das kann noch gefährlich werden.

Andrea Nahles setzt die politische Konkurrenz mit Dreck gleich, der weggewischt werden muss

Ob in den Parlamenten oder in anderen Foren der Öffentlichkeit, der Ton wird mitunter schrill und die Forderungen schräg. Beispiele: Der freidemokratische Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki fordert, den US-Botschafter Richard Grenell wegen seines Mangels an Diplomatie auszuweisen; der neue Vorsitzende der Jungen Union, Tilman Kuban, spricht von einer „Gleichschaltung“ in der CDU unter Angela Merkel; die SPD-Partei- und Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles erklärt daraufhin Tage später im selben Saal: „Keine Sorge, es wurde ordentlich durchgewischt“.  Johannes Kahrs, der SPD-Abgeordnete, twittert: „Mit AKK hat die CDU ne Niete gezogen“. Und Benedikt Lux, der Grüne im Berliner Abgeordnetenhaus, ruft bei der Frage an den Justizsenator, ob er AfD-Politiker überwachen lasse, dazwischen: „Einsperren wäre besser!"

Also, politische Konkurrenz mit Dreck in Verbindung zu bringen, der weggewischt werden muss – das ist ein finsteres Bild. Auch wenn sich das Wort „Gleichschaltung“ ein für allemal in der deutschen politischen Auseinandersetzung verbietet. In diese unselige Richtung weist aber auch die Titulierung eines Wettbewerbers als Niete. AfD-Politiker einsperren zu wollen, ist kein Scherz. Und den Botschafter des Landes auszuweisen, dem Deutschland seine glückliche Gegenwart verdankt, ist illiberal. So zu denken oder zu handeln, kann, wenn schon, dem US-Präsidenten überlassen bleiben.

Wird die raue Rhetorik zum neuen Normal in der Demokratie

Kurz: Was möglicherweise witzig sein soll oder schlagfertig, kann dann doch zum Schlag gegen die Reputation demokratischen Gepflogenheiten missraten. Der Versuch, dem Lehrbuch der Rhetorik folgend den Gegner mit negativen Argumenten zu koppeln, darf gerade nicht zu Maßlosigkeit führen; zumal die ja bei der Vervielfältigung der Kommunikationswege sofort von Followern imitiert wird. Damit kann morgen schnell aus dem, was gestern noch als roh und kalt galt, die normale Betriebstemperatur in der Demokratie werden. 

Sprache aber prägt Kultur. Die wird von Wissen, Moral und den Gemeinsamkeiten an Werten, Handlungen und Ansichten geprägt. Was bedeutet, dass wir uns immer vorsehen müssen, nicht auf den Weg zur Unkultur zu geraten. Nach Karl Kraus, dem berühmten, hellsichtigen Kollegen des vergangenen Jahrhunderts: Die Kultur endet, indem die Barbaren aus ihr ausbrechen.

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