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Wenig Wasserverbrauch, aber lange Transportwege: Auf der Grünen Woche präsentierte Nestlé eine vegetarische Sojawurst.

© Michele Tantussi/Reuters

Zur Grünen Woche: Wie man sich in Berlin nachhaltig ernähren kann

Klimaschonende Ernährung ist ein großes Thema auf der Grünen Woche. Die wichtigsten Formen im Überblick – und wo man sie in Berlin probieren kann.

Wer nachhaltig leben will, muss sich auch so ernähren. Aber wie geht das eigentlich? Ist es besser, vegan zu essen als Fleisch aus der Region? Und was bietet saisonale Küche im Winter?

Mehr als 1800 Aussteller präsentieren auf der Grünen Woche ihr Angebot. Durchsucht man ihre Einträge auf der Website der Agrar- und Lebensmittelmesse, gibt es für den Begriff „nachhaltig“ 103 Treffer: Etwa einer von 20 Ausstellern wirbt mit Nachhaltigkeit für sein Angebot. Längst ist es im öffentlichen Bewusstsein angekommen: Was Menschen essen, hat mehr Auswirkungen als ein Sättigungsgefühl. Doch für eine bewusste, nachhaltige Ernährung gibt es unterschiedliche Regeln. Welche ist die beste?

Diese Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten: „Es gibt unterschiedliche Definitionen von Nachhaltigkeit, und dann auch unterschiedliche Gewichtungen. Das macht es so schön kompliziert“, sagt Nina Langen, die als Professorin an der TU Berlin im Fachgebiet „Bildung für Nachhaltige Ernährung und Lebensmittelwissenschaft“ forscht. Eine der verbreiteten Definitionen von Nachhaltigkeit, erklärt sie, ziele auf vier Dimensionen: die soziale, die ökonomische, die ökologische und die gesundheitliche. Eine andere setze Nachhaltigkeit darüber hinaus in ein Verhältnis zu ihrem Umfeld: Ist eine Ernährungsform der üblichen Esskultur angemessen? Viele argumentierten, sagt Langen, dass eine ovo-lakto-basierte Ernährung, also der Verzehr von Eiern und Milchprodukten, Teil der abendländischen Kultur sei. Oder auch, dass Tiere seit Jahrhunderten die Landschaft und die Arbeitswelt prägten, also dürfe man tierische Erzeugnisse auch nutzen. Die ethische Komponente – die Frage nach dem Tierwohl – bleibe in der Nachhaltigkeitsforschung außen vor, erklärt Nina Langen.

Für alle, die Orientierung brauchen, hier drei potenziell nachhaltige Ernährungsformen im Überblick, die auch in Berlin immer mehr Anhänger haben.

VEGAN

Wer sich vegan ernährt, verzichtet auf alle tierischen Produkte. Auch, und das ist der Unterschied zum Vegetarismus, auf Produkte, für die kein Tier getötet werden muss. Fleisch, Wurst, Fisch, Eier, Milch, Käse, Joghurt sind tabu. Allerdings stecken tierische Inhaltsstoffe auch in manchen Lebensmitteln, in denen man sie nicht vermuten würde: Mehl zum Beispiel wird manchmal mit dem Zusatzstoff L-Cystein (E 920) behandelt. Das soll den Teig elastischer machen. Doch dieser Stoff wird meist aus tierischen Haaren, Borsten oder Federn gewonnen. So behandeltes Mehl ist nicht vegan. Und auch bei der Weinherstellung kommen, um Gerbstoffe zu binden, immer wieder nicht-vegane Mittel aus Milcheiweißen oder Gelatine zum Einsatz.

Strenge Veganer streichen auch Honig von ihrem Speiseplan. Das, meint Langen, sei aus der Perspektive der Nachhaltigkeit nicht eindeutig zu empfehlen: Der Beitrag von Imkerinnen und Imkern – die Pflege der Bienen – schaffe in einem größeren Kreislauf einen Mehrwert, sei sogar ein schützenswertes Kulturgut. „Hier ist ganz klar auch die ökonomische Komponente da: Der Dienst muss bezahlt werden – und dann ist es nachhaltig, den Honig auch zu verzehren.“

Gesundheitlich gibt es für Veganerinnen und Veganer manches zu beachten: Bei einem zu wenig ausgewogenen Speiseplan können bestimmte Nährstoffe fehlen – Calcium, Kreatin oder Jod, vor allem aber Vitamin B12. Vitamin B12 ist wichtig für die Funktion des Nervensystems, für die Zellteilung und Blutbildung. Für kleine Kinder kann ein Mangel an Vitamin B12 schnell gefährlich werden. Die fehlenden Stoffe können Veganer über Nahrungsergänzungsmittel zu sich nehmen. Diese, meist hochverarbeiteten Ergänzungsmittel, aber auch einige vegane Ersatzprodukte, sind dann nicht mehr so nachhaltig: „Manche Ersatzprodukte sind so energieintensiv in der Herstellung, dass sie einem Stück Fleisch aus nachhaltiger Landwirtschaft keineswegs überlegen sind – wenn man die ethische Komponente aus dem Spiel lässt.“ Hinzu kämen für viele vegane Lebensmittel, etwa Kokosmilch oder Sojahack, lange Transportweg mit schlechter Ökobilanz.

Doch die Vorteile einer veganen Ernährung sind, von der Debatte um Nachhaltigkeit losgelöst, klar: Für vegane Lebensmittel muss kein Tier leiden oder sterben. In der Folge entfallen auch die negativen Effekte der konventionellen Tierhaltung, darunter der Verbrauch Tausender Liter Wasser und der hohe Ausstoß von klimaschädlichen Treibhausgasen. Einer Studie aus dem Jahr 2018 zufolge, die in der Fachzeitschrift „Science“ erschienen ist, lässt sich der Ausstoß von Treibhausgasen durch eine vegane Ernährung um mehr als die Hälfte reduzieren.

NOSE TO TAIL

Wer aber nicht auf Fleisch verzichten will, entscheidet sich vielleicht für diese Option, die man mit „Nase bis Schwanz“ übersetzen kann. Viele Fleischesser verzehren mit Genuss ein Schweinelendchen, eine Hähnchenbrust oder ein zartes Entrecôte – am besten natürlich von glücklichen, freilaufenden Bio-Tieren. Aber was ist mit Schweinehirn? Hühnerfüßen? Kuheuter? Nicht alle Teile gelten als Köstlichkeiten. Essbar sind sie meistens trotzdem. Bei „Nose to tail“ werden nach Möglichkeit alle Teile eines geschlachteten Tieres verwertet. Der englische Sternekoch Fergus Henderson schrieb in einem seiner Bücher dazu: „Wenn Sie ein Tier töten, scheint es doch nur höflich, das ganze Ding zu verwenden.“ Kommen nämlich nur die edlen Teile eines Tiers zum Einsatz, heißt das in der Konsequenz, dass vieles weggeschmissen wird.

„In der Frage nach Nachhaltigkeit ist es total logisch, dass man das Ganze verwendet“, bewertet Nina Langen den Nose-to-tail-Ansatz. Es gebe nur ein Problem: Nicht alle finden alles gleichermaßen appetitlich. „Wir hatten ein Projekt zur Ganztierverwertung“, erzählt Langen, „aber alle haben sich gesträubt“. Nicht nur Konsumenten seien zurückhaltend, sondern auch Anbieter in der Gastronomie. „Es besteht die Sorge, dass es negativ auf die Gesamtwahrnehmung abfärben könnte, wenn Kutteln auf der Speisekarte stehen.“ In der Forschung würde auch von „food neophobia“ gesprochen, der Angst, neue Lebensmittel zu probieren. „Nicht jeder ist neugierig. Es braucht eine Art des Vertrautmachens“, findet die Wissenschaftlerin. Und: Für die Verarbeitung eines ganzen Tiers brauche es bestimmte Kompetenzen, die in der Kochausbildung nicht immer vermittelt würden. Gesundheitliche Bedenken gebe es jedenfalls nicht: Wenn ein Teil für den Verzehr zugelassen sei, gelte das auch für den Rest.

Der Nose-to-tail-Gedanke lässt sich übrigens auch auf pflanzliche Nahrungsmittel übertragen, dann ist die Rede von „Leaf to root“ – vom Blatt bis zur Wurzel. Aus Radieschenblättern lässt sich beispielsweise ein würziges Pesto machen.

REGIONAL-SAISONAL

Ob man sich nun für Fleisch oder gegen alle tierischen Produkte entscheidet, relevant für die Nachhaltigkeit von Nahrungsmitteln ist auch der Weg, den sie zum Verbraucher zurücklegen müssen.

Bei einer regional-saisonalen Ernährung hängt das kulinarische Angebot vom Breitengrad und von den Jahreszeiten ab. Gegessen wird, was es gerade in der Nähe gibt. Damit schwankt für Menschen in Deutschland die Fülle der Möglichkeiten: Während im Sommer süße Beeren, saftiges Steinobst und beinahe jedes Gemüse reift, sieht der Speiseplan im Winter karg aus: ein paar Kohlsorten, Wurzelgemüse, Salate und Lauch. Frische Früchte gibt es zwischen Dezember und April nicht.

Und Obst einlagern? Äpfel etwa halten sich gekühlt auch über den Winter. Dabei sei allerdings die Art der Lagerung ausschlaggebend, sagt Nina Langen: „Wird der Apfel aus Deutschland im Lager über Monate mit Kohlendioxid begast, um die Frische zu bewahren, wäre der Apfel, der mit dem Schiff aus Neuseeland kommt, besser. Haben Sie aber einen kühlen Keller und kontrollieren regelmäßig, ob die Äpfel noch gut sind, ist auch die Lagerung nachhaltig.“ Für die Wintermonate empfiehlt die Professorin vor allem fermentierte Lebensmittel. Die bereicherten nicht nur die Auswahlpalette, sondern seien auch sehr gesund.

Grundsätzlich müsse man sich aber mit einer eingeschränkten Vielfalt begnügen. In Deutschland wächst einfach nicht alles: Nach Angaben des NABU werden über 60 Prozent des verfügbaren Gemüses und 80 Prozent des Obstes nach Deutschland importiert. Zitrusfrüchte sind dabei noch ausgenommen. So viel zur saisonalen Ernährung hierzulande.

Aber was heißt regional – und wo endet der Radius? Nach 15 Kilometern oder nach 50? Am Stadtrand oder an der Ländergrenze? Zur Debatte um einen „regionalen Radius“ meint Langen: „Man kann die Kirche auch im Dorf lassen.“ Für Berliner sei Polen näher als Bayern oder Baden-Württemberg, und nur weil in Deutschland kein Kaffee, kein Pfeffer oder kein Kakao angepflanzt wird, müsse man nicht auf alles verzichten.

Problematisch sei, dass es für die Bezeichnung „regional“ keine einheitlichen gesetzlichen Vorgaben gebe und gerade bei verarbeiteten Produkten häufig gar nicht klar sei, woher welche Produktbestandteile kämen. „Wir bräuchten für viele Produkte viel mehr Daten, um wirklich berechnen zu können, wie nachhaltig etwas ist. Dafür müssen ja die Transportwege, die Anbaubedingungen, die Arbeitskraft mit einkalkuliert werden.“

UND JETZT?

Was also tun? „Es kommt natürlich darauf an“, sagt Forscherin Langen. „Ich muss für mich entscheiden: Worauf kann ich verzichten? Was möchte ich mir gönnen? Am besten ist es, Lebensmittel aus der Region in der Saison frisch selbst zuzubereiten. Dazu muss ich mich mit dem Essen beschäftigen.“ Deutlich mehr Geld koste eine nachhaltige Ernährung nicht zwingend, mehr Zeit aber schon. Und manchmal vielleicht auch ein wenig Überwindung.

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