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Ein Regionalexpress der Deutschen Bahn fährt aus dem Potsdamer Hauptbahnhof in Richtung Berlin.

© Ralf Hirschberger/dpa

„Zumutung für die Fahrgäste“: Es kriselt zwischen VBB und Deutscher Bahn

Drastischer Personalmangel, ausfallende Züge, massive Verspätung: Am Freitag zogen VBB und Deutsche Bahn eine „sehr kritische Bilanz“ der vergangenen Monate.

Zusätzliche und längere Züge hatte die Deutsche Bahn im Frühjahr angekündigt, 1000 Sitzplätze mehr pro Werktag wurden den Fahrgästen in Berlin und Brandenburg versprochen. Dieses Versprechen hat die Bahn gebrochen. In den vergangenen Monaten fuhr nur ein geringer Teil der vom Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) bestellten Leistungen. Um 1,2 Millionen Euro kürzte der VBB deshalb die Zahlungen an die Deutsche Bahn.

Negativer Spitzenreiter war die Linie RE7 von Bad Belzig nach Berlin. Nur jeder dritte Verstärkerzug fuhr im September tatsächlich. Also: Zwei von drei Zügen fielen aus. Im Juni und Juli fuhr immerhin jeder zweite Zug. Richtig funktioniert hat es nur im Mai und August auf dieser Linie: Da fuhren 90 Prozent der Verstärkerzüge. Zahlen für Oktober liegen noch nicht vor.

Auf der RB10 von Nauen nach Berlin-Südkreuz standen statt der bestellten 580 Plätze pro Zug nur 420 bis 460 zur Verfügung. Ähnlich schlecht sah es auf den Linien RB13 und RB14 aus. Im März hatte der VBB für diese besonders stark von Pendlern frequentierten Linien längere Züge und für die RE7 auch zusätzliche Fahrten angekündigt.

„Sehr kritische Bilanz“

Am Freitag trat VBB-Chefin Susanne Henckel vor die Presse, neben ihr musste ein Manager der Deutschen Bahn Platz nehmen. „Die Stimmung ist angespannt“, sagte Henckel und zog dann eine „sehr kritische Bilanz“.  Dem Vernehmen nach hat es in den vergangenen Monaten hinter den Kulissen geknallt, es gab Krisengespräche bis rauf zur Ministerebene. Freiwillig  ist Jörg Werner, Leiter des Fahrgastmarketing  von DB-Regio, nicht in das VBB-Hochhaus am Zoo gekommen, das war seinem zerknirschten Blick anzusehen. „Es waren keine angenehmen Gespräche“, sagte Werner. Henckel nannte den gemeinsamen Auftritt eine „Transparenzinitiative“.

Dabei haben die Fahrgäste ja mitbekommen, dass die zusätzlichen Züge oft ausfielen. „Es war eine Zumutung für die Fahrgäste“, sagte Henckel.

Werner nannte mehrere Gründe für das Scheitern. 21 gebrauchte Doppelstockwagen hatte die Bahn aus anderen Teilen Deutschlands nach Berlin geholt für die Verstärkerfahrten. Doch nur zwölf dieser Wagen dürfen durch den Nord-Süd-Tunnel fahren. Nach Werners Angaben habe man schlicht nicht gewusst, dass die gebrauchten Züge diese zusätzliche Zulassung brauchen. VBB-Chefin Henckel rollte bei diesem Geständnis sichtbar genervt mit den Augen.

In dem Tunnel darf die Notbremse nicht aktiv sein, damit bei Feuer der Zug den Tunnel verlassen kann. Normalerweise stoppt ein Zug bei Ziehen der Notbremse sofort. Werner erwartet die Zulassung nun für Januar oder Februar nächsten Jahres – sicher ist das aber nicht. Die Unterlagen seien beim Eisenbahnbundesamt, das ist der Tüv für die Eisenbahn, eingereicht.

Sperrung der Stadtbahn, fehlendes Personal in den Werkstätten

Zudem fehlte nach Angaben der Bahn viel Personal in den Werkstätten. Im September bremste die Sperrung der Stadtbahn den Betrieb zusätzlich. Wie berichtet, fuhren Regionalzüge aus Westen kommend nur bis Charlottenburg oder Zoo und wendeten dort.

Dies habe den Fahrplan durcheinander gebracht.

Im Sommer waren zahlreiche Züge, wie hier der RE5, überfüllt. Zum Teil mussten Ausflügler draußen bleiben.
Im Sommer waren zahlreiche Züge, wie hier der RE5, überfüllt. Zum Teil mussten Ausflügler draußen bleiben.

© Jörn Hasselmann

Dennoch soll ab kommender Woche alles besser werden, so verspricht es ein „Maßnahmenpaket“. Zur Wartung der Züge will die Bahn nun auch auf externe Firmen zurückgreifen, um den „Instandhaltungsrückstau sukzessive abzuarbeiten“.  Ein zusätzlicher Zug konnte angemietet werden, der eine Zulassung für den Tunnel hat und auf der RB10 eingesetzt werden soll.

Wegen fehlender Lokführer soll es künftig weniger Ausfälle geben. Die für Berlin und Brandenburg zuständige DB Regio Nordost habe dank einer Einstellungsoffensive derzeit 30 Lokführer mehr als tatsächlich benötigt werden – endlich gibt es also einen Puffer für Krankheitswellen. Im Sommer waren wie berichtet, zahlreiche Züge wegen fehlender Lokführer ausgefallen, darunter Ausflugszüge an schönen Wochenenden an die Ostsee.

Nach Angaben des VBB kämpft auch die Niederbarnimer Eisenbahn mit fehlendem Personal, auch auf deren Linien im östlichen Brandenburg fallen Fahrten aus. Am besten stehe derzeit die Odeg da, hieß es beim VBB. Die Odeg betreibt für den VBB die RE-Linien 2 und 4.

Bundesweit dramatischer Personalmangel bei der Bahn

Bundesweit nimmt der Personalmangel immer dramatischere Ausmaße an. Einmalig ist jetzt das Vorgehen des privaten Anbieters Abellio im Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR): Dieser hatte 2016 die Ausschreibung für sechs S-Bahn-Linien zum Fahrplanwechsel Mitte Dezember 2019 gewonnen. Noch betreibt die Deutsche Bahn im Auftrag des VRR  die Linien. Sechs Wochen vor der Übernahme kam jetzt eine Teilkapitulation des holländischen Unternehmens. Es räumte ein, dass 18 Lokführer fehlen und dass man eine der Linien nicht betreiben könne. Dafür hat Abellio nun wiederum die Deutsche Bahn beauftragt, zunächst bis März 2020.

Abellio begründete das so: „Allein DB Regio verfügt über geeignete Gebrauchtfahrzeuge, Werkstattinfrastruktur und Personalressourcen zur Erbringung der Leistung.“ Und noch deutlicher: Nur die Deutsche Bahn verfüge über ausreichend qualifizierte Triebfahrzeugführer.

Ein solcher Betreiber-Wechsel steht  in drei Jahren  auch in Berlin-Brandenburg bevor. Wie berichtet, übernimmt die private Odeg dann die wichtigste Regionallinie, den RE1. Die Odeg hat jetzt drei Jahre Zeit, sich darauf vorzubereiten, neue Züge zu kaufen und Personal einzustellen. Auch Abellio in NRW hatte drei Jahre Zeit zur Vorbereitung. Vor einer Woche hat die Odeg überraschend angekündigt, dass ihr Geschäftsführer Arnulf Schuchmann zum Jahreswechsel aufhört. Schuchmann hatte in den vergangenen neun Jahren die Odeg zum größten privaten Anbieter in Ostdeutschland gemacht.

Nur 23 arbeitssuchende Lokführer auf 100 freie Stellen

Welche Auswirkungen das für die Vorbereitungen für das neue Netz Elbe-Spree hat, ist unklar. „Wir verlieren einen wichtigen Kollegen und wertvollen Manager in unseren Reihen“, teilten die Odeg-Eigentümer Netinera und Benex mit. Ein Nachfolger stehe fest, ein Name wurde noch nicht genannt.

Nach Angaben des VBB steigt das Angebot ab Dezember 2022 um 30 Prozent auf 28 Millionen Zugkilometer. Die Länder Berlin und Brandenburg zahlen dafür jeweils mehrere Millionen Euro zusätzlich. In diesem Jahr waren zahlreiche Züge ausgefallen, bei der Bahn und bei privaten Betreibern. Alle Unternehmen werben intensiv um Nachwuchs. Nach Angaben des Verbands „Allianz pro Schiene“ gibt es keinen Beruf in Deutschland, bei dem Nachfrage und Angebot so weit auseinanderklaffen wie bei Lokführer. Auf 100 offene Stellen kommen nur 23 arbeitssuchende Lokomotivführer.  

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