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Das "Blechtrommel"-Trio Günter Grass, David Bennent und Volker Schlöndorff bei den Dreharbeiten 1978 (von links).

© dpa

Zum Tod des Literaturnobelpreisträgers: Günter Grass, Berlin und die Blechtrommel

Günter Grass und Berlin - das ist ein weites Feld. Er studierte an der Hochschule für bildende Künste und wohnte in Friedenau. Obwohl die Stadt an der Spree nie seine Heimat war, kann man trotzdem sagen: er war ein Berliner.

Der erste literarische Erfolg des Günter Grass? Jedenfalls wenn man nach der Auflage, nicht nach der Qualität des Geschriebenen geht. Beide waren bei der „Blechtrommel“ von 1959 spitze, dennoch kommt einem anderen Werk des verstorbenen Schriftstellers die Ehre des ersten literarischen Blockbusters zu, und dessen Inspirationsquelle war nicht etwa das alte Danzig, sondern Berlin: Es handelt sich um die 1956 erschienene Jubiläumsschrift zum 75-jährigen Bestehen der Meierei C. Bolle Berlin, mit der Grass, wie er 2006 in „Vom Häuten der Zwiebel“ schrieb, sein „erstes großes Publikum“ fand: „Es sollen dreihundertfünfzigtausend Exemplare gewesen sein.“

Grass und Berlin – ein weites Feld. In der Stadt an der Spree hat er wiederholt und mit Lust gelebt, gearbeitet, politisiert, erstmals von 1953 bis 1956, als Student an der Hochschule für Bildende Künste. In diese Zeit fallen die Arbeiten als Reklamemann für Bolle. Neben der Jubiläumsschrift entstanden weitere unveröffentlichte Entwürfe und ein hübscher Werbefilm, der 1958 in den Kinos lief – mit Kängurus als Vorreiter der noch neuen Selbstbedienung: Einfach alles in den Beutel!

Nach einer Zwischenstation in Paris kam er 1960 zurück, mietete für sich und seine Familie in der Karlsbader Straße 16 in Schmargendorf eine Viereinhalb-Zimmer-Wohnung im zweiten Stock, samt Atelier unterm Dach. Aber die wurde ihm bald zu klein, und so ging es durch Vermittlung von Kollege Uwe Johnson 1963 weiter nach Friedenau, in die Niedstraße 13, in ein romantisches kleines Landhaus mit Vorgarten, Baujahr 1881, „leicht verförstert“, wie Nachbar Johnson es beschrieb.

Havelaal und Heilbutt vom Wochenmarkt

Es war ein gastfreundliches Haus, und gerade die damals in Friedenau besonders zahlreich vertretenden Schriftstellerkollegen gingen dort ein und aus. „Übernahme der Wohnung (Sarrazinstraße 8) und Abend bei Grass. Nieren“ – so notiert Max Frisch am 6. Februar 1973 in seinem „Berliner Journal“, und „Anna Grass leiht uns zwei Betten, wir wohnen noch nicht. Lieferfristen“, heißt es einen Tag später. Man aß offenkundig sehr gut im Hause Grass, und die Zutaten stammten häufig vom benachbarten Markt, wie Grass, der Gourmet, wissen ließ: „Wenn wir am Sonnabend auf unseren Friedenauer Wochenmarkt gehen, dann kaufen wir Dill und Gurken, Havelaal und Heilbutt, Birnen und Pfifferlinge, Hasenläufe und Vierländer Mastenten, wo wir wollen und lustig sind.“ Ab 1. April 1965 ging dabei im Haushalt die 16-jährige Margarethe Amelung zur Hand, ein als „Haustochter“ eingestelltes Mädchen, dem Grass erst mal beibrachte, wie man eine Hammelkeule brät oder Sülze zubereitet. Doch die im Hause Grass herrschende Opulenz erstreckte sich nur aufs Geistige und Kulinarische. Tapeten, Teppiche, Tischdecken? Fehlanzeige.

Grass fühlte sich wohl in Friedenau, schrieb fast hymnisch über sein Viertel: „Als Pilot hoch über den Dächern von Friedenau... Mach ’ne Links-, ’ne Rechtskurve... Links ist unter meinem Vielzweckmobil der Turm vom Friedenauer Rathaus, davor der Wochenmarkt zu erkennen mit der dicken Fischfrau und dem verrückten Blumenhändler, die mir beide zuwinken, und auch die Niedstraße mit unserem Klinkerhaus...“ In dem entstand große Literatur, es spielten sich aber auch die kleinen Dramen des Alltags ab, so die Plünderung des Walnussbaums in Nachbars Garten durch einen der blutjungen Söhne nebst Verkauf der Beute auf dem Markt, was erhebliche nachbarliche Verstimmung auslöste. Vielleicht wurde hier der Keim gelegt zu einem späteren Streit, als die ihrer Walnüsse beraubte Dame sich weigerte, an ihrem Haus eine Gedenktafel für Uwe Johnson aufhängen zu lassen. Dann hänge er eben bei sich eine auf, mit erläuterndem Täfelchen, drohte Grass.

Er war ja ohnehin sehr kämpferisch eingestellt, nahm, 1961 zum Schriftstellerkongress in Ost-Berlin eingeladen, kein Blatt vor den Mund, und auch die SPD, die er lautstark unterstützte, etwa bei den Kanzlerkandidaturen Willy Brandts 1965 und 1969, hatten bisweilen ihre liebe Not mit ihm. Mancher brave Bürger halte Grass für ein Schwein und werde die Partei nicht wählen, die sich solcher niederen Kreaturen bediene, gab 1965 etwa Kultursenator Werner Stein zu bedenken.

Von 1963 bis 1996 wohnte Grass in diesem Haus in der Niedstraße 13 in Friedenau.
Von 1963 bis 1996 wohnte Grass in diesem Haus in der Niedstraße 13 in Friedenau. Die ehemalige "Haustochter" Margarethe Amelung, die in den 60er Jahren in den Haushalt kam, schilderte Deike Diening, wie sie als Jugendliche den Alltag im Hause Grass erlebte: "Zwischen Blech- und Wäschetrommel".

© Kai-Uwe Heinrich

Bis 1996 blieb Grass in Friedenau, dürfte also auch bei den Berliner Dreharbeiten zu Volker Schlöndorffs Verfilmung der „Blechtrommel“ zugeschaut haben. Zentrale Szenen des Films entstanden 1978 in Berlin, so diente als die Straße in Danzig, in der der Blechtrommler Oskar Matzerath aufwächst, die Neuköllner Uthmannstraße. Und der Brand der Danziger Synagoge wurde in der Weddinger „Wiesenburg“ in der Wiesenstraße gedreht. Die Wohnung der Matzeraths wiederum lag in Spandau, wurde in den Artur Brauners CCC-Studios auf Eiswerder gebaut.

Auch als Nicht-mehr-Berliner blieb Grass der Stadt verbunden, trat 2009 als Redner bei der Feier zum 100. Geburtstag der Friedenauer Paul-Natorp-Oberschule auf. Ein Sohn und eine Tochter hatten sie besucht, nun waren es zwei Enkelinnen. „Mündig sein“ hieß das Motto der Rede, ein typischer Grass, der in einem originellen Lob der Schule mündete: „Eigentlich schade, dass ich nie die Chance gehabt habe, hier Schüler sein zu dürfen. Vielleicht hätte ich doch noch das Abitur geschafft.“

Mehr zu Grass in Berlin:

Harry Balkow-Gölitzer: Prominente in Berlin-Friedenau und ihre Geschichten. be.bra Verlag, Berlin. 288 Seiten, über 90 Abb., 19,95 Euro 

Kai Schlüter (Hg.): Günter Grass: Das Milch-Märchen. Frühe Werbearbeiten. Ch. Links Verlag, Berlin. 72 S., 42 Abb., mit einer DVD von Radio Bremen, 49,90 Euro

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