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Ganz im Westen: die Glienicker Brücke.

© Stefan Jacobs

Zum Besten im Westen: Zu Besuch im westlichsten Zipfel Berlins

Der westlichste Punkt Berlins liegt im Wasser des Jungfernsees – umgeben von interessanten Ufern und Bauten. Aus der Reihe Berliner Himmelsrichtungen.

Den gängigen Witzen nach wäre der westlichste Zipfel Berlins hinter Spandau zu vermuten, in Staaken oder hinter den Gatower Rieselfeldern vielleicht. Tatsächlich aber ragt das Stadtgebiet ganz unten bei Potsdam noch eine Idee weiter nach Westen. Dorthin gelangt man am Schönsten mit dem Fahrrad am Havelufer entlang – wahlweise flott auf Asphalt entsprechend der beschilderten Radroute über die Pfaueninselchaussee oder gemächlich auf dem kombinierten Geh- und Radweg, der am Löwendenkmal hinter dem Haus der Wannseekonferenz beginnt und nebenbei mehrere Badestellen erschließt. Und Blicke, an denen nur ein Tor im Temporausch achtlos vorbeirasen würde.

Sinnvoll und je nach Wetter fast zwangsläufig ist, sich für diesen Ausflug einen kompletten Tag zu gönnen. Schließlich müsste man die Gelegenheit doch nutzen, endlich mal wieder eine Runde über die Pfaueninsel zu spazieren oder das Hochufer mit der Kirche St. Peter & Paul und dem Forsthaus Nikolskoe zu erklimmen, nicht wahr? So schön schattig wie vor dem Gasthaus Moorlake sitzt man auch nicht oft. Und Schloss Glienicke wäre auch mal wieder dran.

Bei derart üppigem Begleitprogramm ist der Westzipfel der Stadt womöglich erst am Nachmittag erreicht. Das macht aber nichts, denn hier wird die Lage übersichtlicher: Den westlichsten Berliner Festlandspunkt bildet die Uferkante um den Sockel der Glienicker Brücke, an der drei Bänke mit herrlichem Weitblick über den Jungfernsee stehen, im Rücken Schinkels „Große Neugierde“ an der Ecke des Schlossgartens Glienicke, die Berlins westlichstes Gebäude sein dürfte.

Die Stadtgrenze verläuft mitten durchs Wasser und wurde zu Zeiten der Mauer streng bewacht, da hinter dem Westen wieder der Osten begann. Jetzt ist sie nicht mehr exakt zu lokalisieren; die Boote tuckern kreuz und quer zwischen Berlin und Brandenburg.

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Mit einem Bein in der Bundeshauptstadt

Umso präziser lässt sich der Westrand der Hauptstadt auf der berühmten Brücke ausmachen: Genau in der Mitte, am tiefsten Punkt des Stahlbogens, ändern sich Straßenbelag und Anstrich des Stahls. Für „gröbliche Augen“ (Fontane) ist außerdem eine Metallplatte mit der Inschrift „Deutsche Teilung bis 1989“ im Gehweg eingelassen und ein kleines Plastikschild der Brandenburgischen Straßenverwaltung am Geländer montiert: „B1, Kreis Potsdam, km 0,0“. Man kann hier also mit einem Bein in der Bundeshauptstadt stehen und mit dem anderen in der Landeshauptstadt und sinnieren über Spione, die aus der Kälte kamen und gingen, oder einfach den Blick genießen.

Wie krass der Kontrast zwischen dem heutigen Idyll und der deutsch-deutschen Geschichte ist, illustrieren die beiden Stelen auf den ersten Metern der Schwanenallee, die hinter der Brücke halb rechts abzweigt. Eine Stele erinnert an Horst Plischke, der im November 1962 als 23-Jähriger ertrank beim Versuch, nachts nach West-Berlin zu schwimmen (Schüsse der DDR-Grenzer hatten ihn offenbar verfehlt).

Die andere Stele erinnert an Herbert Mende, der im selben Jahr und im selben Alter von Grenzposten angeschossen worden war, als er spätabends den letzten Bus erwischen wollte. Nach sechsjähriger Qual starb er an seinen Verletzungen. Das ganze Ausmaß des Wahnsinns wird einem bewusst, wenn man den breiten Uferstreifen vor der Schwanenallee in seinem damaligen Zustand sieht: Eine Mauer, ein Zaun und noch eine Mauer trennten die Straße vom Wasser. Zwischen den Sperren war freies Schussfeld.

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Das erste Haus auf der Potsdamer Seite der Brücke ist die Villa Schöningen, die Ludwig Persius 1843 als Pendant zum Schloss Glienicke entwarf. Nach Vertreibung der jüdischen Bewohner und Beschlagnahme durch die Rote Armee war die Villa Kinderheim, nach der Wende wäre sie beinahe zugunsten neuer Stadtvillen abgerissen worden, aber 2009 wurde sie saniert und als Ausstellungshaus wiedereröffnet. Bis 23. August läuft die Fotoschau „Heimweh“. Und täglich außer montags kann man sich's im Garten bei Kaffee, Kuchen, Torten oder einer Suppe – ambitioniert, nett und bio – gemütlich machen.

Der Blick so kaiserlich wie die Restaurantpreise

Die weitere Schwanenallee verströmt intensiven Geldgeruch, bietet aber mit der Matrosenstation Kongsnaes eine weitere öffentlich zugängliche Attraktion. Die Geschichte des vor wenigen Jahren wiedererrichteten norwegischen Holzbaus geht zurück auf Kaiser Wilhelm Zwo, den Segler und Skandinavien-Fan. Kaiserlich sind sowohl der Blick als auch die Restaurantpreise.

Ob man einkehrt oder nicht: In jedem Fall lässt sich genau von hier der westlichste Punkt der Berliner Stadtgrenze auf dem See lokalisieren. Man schaut einfach zur Sacrower Heilandskirche am anderen Seeufer und taucht auf halber Strecke gedanklich ins Wasser. Sollte einen dabei das dringende Bedürfnis überkommen, die unverschämt italienisch wirkende Heilandskirche besuchen zu wollen, folgt man dem Mauerweg um den Jungfern- und den Krampnitzsee herum und radelt am westlichen Havelufer nach Berlin zurück.

Allerdings sollte da noch genug vom Tag übrig sein, denn die Strecke ist weit und die Zeit bis hier verging schnell. Die Sonne geht so weit im Westen zwar später unter, aber der Unterschied zur Berliner City beträgt nur etwa eine Minute.

Berlins westlichste Ecke
Anreise: Knapp 10 km per Fahrrad oder zu Fuß ab Bahnhof Wannsee oder mit dem 316er Bus (alle 20-60 Minuten) direkt zur Glienicker Brücke
Mitnehmen: Fahrradschloss (für Parkbesuche), Badesachen
Kultur: Schlösser und Parks Glienicke, Babelsberg und Cecilienhof, Villa Schöningen (Fr-So 12 bis 18 Uhr), dort auch SUP-Vermietung beim Café
Einkehr: Café in der Villa Schöningen, Di-So 11 bis 18 Uhr

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