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Mehr Risikobereitschaft. Bastian Halecker, Professor für BWL und Entrepreneurship an der Beuth-Hochschule hat sich zum Ziel gemacht, dass leistungsstarke Studierende schon möglichst im Laufe ihres Studiums eine Unternehmensgründung anstreben.

© Mike Wolff

Zu wenig Risikobereitschaft: Die Stadt braucht mehr Querköpfe

BWL-Professor Bastian Halecker vermisst bei Studierenden den Mut zu gründen.

Bastian Halecker schüttelt den Kopf. Der 38-jährige Professor für Entrepreneurship ist immer noch entsetzt über den Satz, den ihm ein Student im vergangenen Semester entgegenschleuderte.

Von Unternehmertum halte er nichts, habe der junge Mann während einer Vorlesung plötzlich gespottet, denn „Mutti hat immer gesagt, ich soll was Ordentliches machen.“

Für Halecker bündelt sich in diesem Zitat alles, was seiner Ansicht nach schiefläuft in Deutschland. Anstatt sich auszuprobieren und Risiken einzugehen, wolle die Jugend vor allem einen sicheren Job mit geregelten Arbeitszeiten, klagt Halecker und verweist auf eine Studie, die die Prüfungsgesellschaft Ernst & Young im vergangenen Jahr veröffentlicht hat.

Demnach wünschen sich 41 Prozent der Studierenden eine Laufbahn im öffentlichen Dienst, auch jene mit überdurchschnittlichen Leistungen.

Im Attraktivitäts-Ranking folgen Kultureinrichtungen (22 Prozent) und die Wissenschaft (20 Prozent).

Für Halecker ist das eine Katastrophe, denn er ist sich sicher: Um die Herausforderungen des digitalen Wandels zu bestehen, brauche die Gesellschaft Innovationskraft.

Und die kommt seiner Ansicht nach aus dem freien Unternehmertum, nicht aus Behörden. „Ich habe einen nicht linearen Weg gewählt“, sagt Halecker, der seit Oktober 2018 Betriebswirtschaftslehre (BWL) und Entrepreneurship an der Beuth Hochschule in Wedding unterrichtet und unternehmerisch tätig ist.

Bevor er seine erste Firma gründete, arbeitete er bei Edeka

Aufgewachsen ist er in der Prignitz in Nord-Brandenburg. Das Abitur brach er im ersten Anlauf ab, entschied sich für eine kaufmännische Ausbildung und ein Fachabitur. Noch bevor er 2004 mit dem BWL-Studium begann, arbeitete er als Marktleiter bei Edeka in Erfurt. 2015 gründete Halecker seine erste Firma: die Event-Agentur „Startup Tour Berlin“ bringt etablierte Unternehmen und Start-ups zusammen. „Das hab ich gestartet mit 50 Euro und einer Website“, sagt er.

Aus dem Projekt entstand die Management-Gesellschaft „Nestim“ und schließlich das Netzwerk „Hungry Ventures“. Letzteres möchte Start-up-Methoden für die Lebensmittelindustrie zugänglich machen und zählt unter anderem die Melitta-Gruppe zu seinen Partnern. Der Bedarf an Innovation sei gewaltig bei den großen Firmen. Viele ergriffen jedoch nur oberflächliche Maßnahmen – und blieben damit erfolglos: Da wird dann ein Workshop in „Design Thinking“ veranstaltet oder sogar ein sogenannter Start-up-Accelerator gegründet. „Das ist bloßes Innovationstheater“, kritisiert Halecker, „dabei könnten etablierte Unternehmen viel von Start-ups lernen.“

Mit Datenbanken und E-Commerce-Technologien könnten Lebensmittelkonzerne „näher an den Kunden rankommen“. Tech-Start-ups seien in diesem Bereich viel weiter. Etablierte Unternehmen hingegen hätten Produktions- und Vertriebskapazitäten, von denen Jungunternehmen nur träumen könnten – somit profitierten beide Parteien von einer strategischen Partnerschaft.

Das Potenzial dafür ist groß in Berlin, der deutschen Gründer-Hauptstadt. Laut dem aktuellen „Gründungsmonitor“ der Förderbank KfW haben hier zwischen 2016 und 2018 im Durchschnitt 1,93 Prozent der Erwerbsfähigen eine selbstständige Tätigkeit begonnen. Auf Platz zwei folgt Hamburg mit 1,46 Prozent und danach das Bundesland Brandenburg (1,34 Prozent).

Es brauche Entrepreneurship - doch da versage das Bildungssystem

Im Gegensatz dazu sinkt die Gründerquote in Gesamtdeutschland seit Jahren stetig. Während sie 2010 noch bei 1,82 Prozent lag, fiel sie 2018 auf nur noch 1,06 Prozent. Die Voraussetzungen seien ideal in Berlin und Brandenburg, sagt Halecker. „Wir haben hier alles auf engstem Raum: Start-ups, etablierte Unternehmen, Förderprogramme, Risikokapital.“

Doch das digitale Endkundengeschäft, zum Beispiel mit Apps, habe Deutschland verpasst. Im B2B-Bereich – also bei Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen – gebe es noch Chancen.

Hier könne auch der Mittelstand seine Stärke zeigen, glaubt er. Die hoch spezialisierten „Hidden Champions“, die etwa Maschinen in die ganze Welt liefern, müssten nun schnell und konsequent auf smarte Technologien und Vernetzung setzen. „Die Amerikaner haben das Internet, wir haben die Dinge“, sagt Halecker.

Doch dafür brauche es Entrepreneurship, meint Halecker, und genau an dieser Stelle versage das Bildungssystem. Das sehe er an der Fachhochschule.

Viele Studierende brächten ein falsches „Mindset“ mit: „Die sind es gar nicht gewohnt, kreativ und frei zu denken“, sagt Halecker, denn „das ist ihnen in der Schule abtrainiert worden.“ Von der Schulbank kämen zu viele direkt an die Uni, ohne jede Praxiserfahrung. „Die sitzen da in Konsumentenhaltung“, kritisiert er. Anstatt aufgeschlossen auf ein neues Thema zuzugehen, würden sie nur fragen, ob das für eine Klausur relevant sei.

„Von sich aus sind Kinder kreativ und innovativ“, glaubt Halecker. „Die sind offen, stellen Fragen.“ Doch das auf Noten fixierte Schulsystem gewöhne es ihnen ab. Zum Glück gebe es immer wieder „Ausreißer und Exoten“. Viele seien das allerdings nicht. Von 40 Studierenden in einer Vorlesung sehe er im Durchschnitt bei zwei bis fünf Leuten echtes Potenzial. „Die denken außerhalb der Grenzen, stellen kritische Fragen, sind auch mal schwer zu bändigen.“

Bei Exkursionen lernen die "jungen Wilden", wie Produkte hergestellt werden

Diese jungen Menschen möchte Halecker „herausfiltern“ und gezielt fördern. Zum Beispiel mit einem experimentellen Blockseminar für gründungswillige Studierende, das er „Founder’s Factory“ nennt. Bei Exkursionen in Betriebe könnten diese jungen Wilden lernen, wie Produkte hergestellt werden. „Das muss man sehen und anfassen“, glaubt Halecker, denn nur so könne man begreifen, dass ein Hersteller anders auf Produkte schaue als ein Verbraucher.

Sein Ziel: Leistungsstarke Studierende sollen möglichst im Laufe ihres Studiums eine Unternehmensgründung anstreben. Wenn aus jedem Jahrgang zwei oder drei Start-ups entstünden, sei das ein ordentliches Ergebnis. Die erfolgreichen Gründer könnten später zurückkehren und nachfolgenden Studenten in Workshops von ihren Erfahrungen berichten.

„Wir müssen ganz früh bei den Kindern anfangen“, fordert Halecker. Für seine eigenen Kinder – sie sind drei bis fünf Jahre alt – habe er ein „Maker’s Lab“ im heimischen Keller eingerichtet. Dort zeige er ihnen physikalische Experimente. Begeistert zeigt er davon Fotos auf seinem Smartphone. „Das ist nicht nur basteln“, betont der Vater stolz. Es gehe um Erkenntnisgewinn.

Deshalb solle es Experimentierlabore an allen Kindergärten geben. Spätestens in der Schule müssten Kinder lernen, wie man mit Geld umgeht. „Wir investieren als Gesellschaft nachhaltig, wenn wir mehr Unternehmertum an die Schulen bringen.“ Er zum Beispiel stelle vor Weihnachten mit seinen Kindern im Halecker’schen „Maker’s Lab“ Kerzen her, die er auf dem Weihnachtsmarkt verkauft.

Der ideale Unternehmer ist für Halecker ein kreativer Querkopf, der Lösungen für die Probleme der Gesellschaft findet. Doch leider hätten viele Menschen ein verzerrtes Bild. „Als Entrepreneur bist du immer gleich der böse Kapitalist“, meint Halecker. Selbstverständlich wolle ein Unternehmer Geld verdienen.

Aber es gehe auch darum „die Welt ein bisschen besser zu machen“ – auch im Hinblick auf Nachhaltigkeit, Ökologie. Halecker ist sich sicher: „Nach der digitalen Transformation kommt die Nachhaltigkeits-Transformation. Das wird die nächste große Welle.“ Um über Wasser zu bleiben, brauche es wagemutige Unternehmer. „Das kann nur jemand, der weiß, wie man aus einer Gelegenheit ein Geschäft entwickelt.“

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