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Ein kleiner Teil der vietnamesisch-buddhistischen Gemeinde in Lichtenberg. 

© Robert Klages

Zu Besuch in der Phổ Đà Pagode: Vietnamesisch-buddhistisches Zentrum in Berlin sucht neuen Ort

Neben einem Recyclinghof gedenken die Mitglieder der buddhistischen Gemeinde der Seelen der Verstorbenen. Der Ort ist ihnen heilig. Doch sie müssen weg.

Le Minh Loc zieht seine Schuhe aus und stellt sie akkurat an die Fußleiste. Er öffnet die Tür zur Pagode, dem kleinen cremefarbenen Tempel im Gewerbegebiet von Berlin-Lichtenberg, und schaltet das Licht ein: Die Buddhas auf dem Altar beginnen, bunt zu blinken. 

Er verneigt sich langsam, geht nach links und schlägt mit einem großen Schlegel auf eine riesige Glocke. Der sonore Klang durchdringt den Raum, bis es wieder ganz still wird. Bald wird die Glocke hier zum letzten Mal erklingen: Das Vereinshaus der „Vietnamesisch-Buddhistisch-Kulturellen Zentrale Berlin-Brandenburg“ ist nur geduldet und muss einen neuen Ort finden.

Auch Max Müller zieht seine Adidas-Schuhe aus und läuft in gelben Motivsocken durch den Gebetssaal. Eine Frau erscheint und fragt, ob Tee gewünscht sei. Der 28-Jährige von der Freien Universität Berlin möchte seine Doktorarbeit über das vietnamesische Leben in Berlin schreiben und hat sich der buddhistischen Gemeinde in Lichtenberg angeschlossen. Als Buddhist sieht sich der Religionswissenschaftler aber nicht.

Der buddhistische Mönch Le Minh Loc vor dem Altar mit den Fotos von Verstorbenen. 
Der buddhistische Mönch Le Minh Loc vor dem Altar mit den Fotos von Verstorbenen. 

© Robert Klages

Um zu dem kleinen Tempel zu gelangen, muss man über einen verrosteten Zaun am Eingang zum "Pacific-Center" in der Marzahner Straße 17 steigen, einem Großhandelszentrum. Es befindet sich in der Nähe des "Dong-Xuan-Centers" in der Herzbergstraße, einem anderen, und wohl bekannterem, asiatischem Handelszentrum, das aufgrund von mutmaßlichem Menschenhandel ins Visier des BKA gerückt ist.

Beide Areale ähneln sich, haben zum Beispiel einen großen Bogen als Eingangstor sowie mehrere leerstehende Hallen auf dem Gelände. Beide Center haben asiatische Gemeinden, die gerne kulturelle Einrichtungen auf ihren Geländen errichten würden, doch in Gewerbegebieten ist das nicht so leicht zu verwirklichen. 

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Viele der Räume in den drei großen Hallen des „Pacific-Centers“ sind an deutsche, pakistanische oder türkische Händler vermietet. Vor dem Eingang stehen sieben Männer vor zwei BMWs mit laufenden Motoren und spucken Nussschalen auf den Boden.

Rund 500 Personen fühlen sich der Phổ Đà Pagode zugehörig. Sie kommen hierher zum Beten, um Räucherstäbchen für die Verstorbenen anzuzünden, gemeinsam zu essen, Feste zu feiern und einfach zusammen zu sein. Doch seit der Pandemie geht das alles nicht mehr, das Vereinsleben ist verstummt.

Und nun läuft Ende April auch noch die Duldung aus. „Der Standort und der Bau sind nicht genehmigt und wurden leider ohne Kenntnis des Bezirksamts errichtet“, sagt Lichtenbergs Baustadtrat Kevin Hönicke (SPD). Er sagt weiter, es werde Gespräche über eine Verlängerung der Duldung geben.

Erforscht das vietnamesische Leben in Berlin: Max Müller vor der Pagode. 
Erforscht das vietnamesische Leben in Berlin: Max Müller vor der Pagode. 

© Robert Klages

Der Bauantrag der Gemeinde für eine Erweiterung der Pagode wurde bereits 2016 abgelehnt. Da stand das Gebäude allerdings bereits. Die Gemeinde versuchte, den Anbau im Nachhinein zu legalisieren, durch eine Ausnahmegenehmigung: Die Pagode könnte als „Anlage für kirchliche, kulturelle, soziale und gesundheitliche Zwecke“ anerkannt werden. Doch das Bezirksamt sieht in der Pagode keinen Religionsort, sondern eine kulturelle Einrichtung. Diese sind nicht erlaubt im Bereich des produzierenden Gewerbes.

Max Müller hofft, dass der Bezirk dem Verein entgegenkommt: „Die Versäumnisse des faktischen Schwarzanbaus sind einzugestehen. Dafür hoffen wir auf das Entgegenkommen des Bauamts, damit der Bauantrag und damit die Legalisierung der Pagode vollzogen werden kann.“

Baustadtrat verspricht: Gemeinde wird nicht ohne Ort sein

Stadtrat Hönicke verspricht, dass die Gemeinde nicht ohne Ort seien wird – allerdings nicht dort, wo sie jetzt ist. Es werde zusammen intensiv nach einem neuen Grundstück gesucht. Wo das konkret sein könnte, sagt er nicht. Aber: „Die Pagode hat mit mir einen großen Unterstützer.“

Es sei ohnehin die Grundhaltung des Bezirksamtes, dass die vietnamesische Gemeinschaft sehr wichtig ist für den Bezirk. Bezüglich eines neuen Standortes stünde er auch im Austausch mit der Senatsverwaltung. Eine andere vietnamesische Gemeinde aus dem benachbarten „Dong-Xuan-Center“ ist ebenfalls auf der Suche nach einer Fläche für eine Pagode und hat bereits um Hilfe dabei gebeten. 

Rund 10.000 Vietnamesinnen und Vietnamesen leben in Lichtenberg

Bereits seit 2006 existiert die Phổ Đà Pagode auf dem „Pacific-Center“. Bei einem Sommerfest war die damalige Bezirksbürgermeisterin Christina Emmrich dabei. Errichtung, Betrieb und Ausstattung werden aus Spenden der Mitglieder finanziert. Lange hat das Gebäude und die Gemeinde niemanden gestört, erst ein Anbau führte zu Stress mit dem Bauamt.

Der derzeitige Bürgermeister Michael Grunst (Linke) sagte immer wieder zu, sich für das vietnamesische Leben in seinem Bezirk einsetzen zu wollen. Immerhin ginge es um mehr als 10.000 Vietnamesinnen und Vietnamesen, wie er zuletzt betonte.

Ist dem Ruf aus Deutschlang gefolgt: Der Mönche Le Minh Loc. 
Ist dem Ruf aus Deutschlang gefolgt: Der Mönche Le Minh Loc. 

© Robert Klages

Die vietnamesische Gemeinde in Berlin teilt sich in zwei Gruppen: Familien von ehemaligen DDR-Gastarbeiterinnen und -arbeitern. Und Geflüchtete, die nach 1976 nach Berlin gekommen sind. Viele von ihnen wohnen noch immer in Lichtenberg. Der heutige Weißenseer Weg, unweit der Phổ Đà Pagode, hieß früher Ho-Chi-Minh-Straße. Die ehemaligen DDR-Gastarbeiter sind geblieben und haben ihre Familien nachgeholt. Heute ist es diverser: Es kommen Studierende, Auszubildende und Leute, die sich in Deutschland ein besseres Leben erhoffen. 

Pagode im Herzen des vietnamesischen Lebens

Daher ist der buddhistischen Gemeinde ihr Standort im Herzen des vietnamesischen Lebens wichtig. Pagoden übernehmen nicht nur religiöse, sondern auch soziale Funktionen. Die Wichtigkeit dieser Orte, als Wahrer spiritueller sowie kultureller Traditionen, wird im Leben in der Diaspora eine große Bedeutung beigemessen.

Wenn ihre Pagode am Stadtrand stehen müsste, würden viele Gemeindemitglieder den Weg nicht mehr auf sich nehmen, befürchtet Müller. „Es hätte wohl zur Folge, dass sie sich auflösen würden.“ Vor der Pandemie fanden sonntägliche Treffen statt: gemeinsames rezitieren buddhistischer Sutras, Bußrituale, Totengedenkzeremonien.

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Rund 200 Verstorbene haben mittlerweile auf speziellen Ahnenaltären in Form von Fotografien ihre letzte Ruhe in der Pagode gefunden. Hier, und nicht auf dem Friedhof, wird den Verstorbenen gedacht. 

„Müsste die Pagode schließen, würden die Seele keine Ruhe finden“

„Müsste die Pagode schließen, würden die Seele keine Ruhe finden, sie würden im Jenseits umherirren“, sagt eine Frau und bringt den Tee. „Der Altar unserer Pagode ist der einzige Ort, wo die Hinterbliebenen in Übereinstimmung mit dem Buddhismus ihrer toten Angehörigen gedenken und für ein würdiges Dasein von ihnen im Jenseits mit Weihrauch und Opfergaben sorgen können.“

Neben der Pagode steht ein Gebäude komplett leer. Es könnte zu einen Kulturhaus werden. 
Neben der Pagode steht ein Gebäude komplett leer. Es könnte zu einen Kulturhaus werden. 

© Robert Klages

„Für uns ist es hier wie ein Zuhause“, sagt Bui Van Hien, langjähriges Mitglieder der Gemeinde. 1976 ist er nach Deutschland gekommen, ging 1991 zurück nach Hanoi – und kam 1998 mit seiner Familie nach Berlin. „In der DDR wurde uns Vietnamesen viel geholfen“, erinnert er sich. „Und nun bin ich schon so lange in Berlin, es ist meine Heimat.“

„Die Leute kommen in die Pagode, wenn sie traurig sind“, erzählt Minh Loc, der Mönch. Auf Vietnamesisch. Müller übersetzt. „Hier finden sie Trost.“ Minh Loc ist in der ehemaligen Kaiserstadt der Nguyễn-Dynastie in Huế ausgebildet worden. 

2010 hat er einen „Ruf“ aus Deutschland bekommen. Die Pagode in Lichtenberg suchte einen spirituellen Leiter. „Wo ich gebraucht werde, da bin ich gerne“, sagt der 44-Jährige. Und wenn er am Stadtrand gebraucht würde, würde er mitgehen. Die Gemeinde hofft allerdings, einen Ort in der Nähe der jetzigen Pagode finden zu können. 

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