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Ehrenamt ist systemrelevant: Immer mehr Menschen, hier bei der Essenausgabe von "Laib und Seele", sind auf Hilfe angewiesen. Ehrenamtliche halten unsere Gesellschaft zusammen.

© picture alliance / Annette Riedl

Zivilgesellschaft: Mehr Wertschätzung für das Ehrenamt

Die Ampel im Bund und Rot-Grün-Rot in Berlin haben sich beim bürgerschaftlichen Engagement viel vorgenommen. Behält Staatssekretärin Chebli ihr Amt?

Aller Ehren wert. So kann das was werden mit dem Neustart – zumindest kann diesen Eindruck bekommen, wer zum Thema Ehrenamt die Koalitionsvereinbarung für die künftige Bundesregierung liest. Daraus spricht ein ganz anderer Geist als in den vergangenen Jahren, als die Zivilgesellschaft oft genug Grund hatte, sich zu ärgern.
Noch nicht vergessen ist der heftige Kampf gegen eine absurde neue Transparenzregelung, die kleine Vereine mit Großkonzernen gleichstellte und unter den Generalverdacht der Geldwäsche setzte. Oder die Abstrafung von Vereinen, die sich auch zu politischen Themen äußerten, durch den Entzug der Gemeinnützigkeit durch die Finanzbehörden. Auf den 177 Seiten der Koalitionsvereinbarung von SPD, Grünen und FDP kommt das Wort „Ehrenamt“ zwar nur neun Mal vor – aber das Wort hat trotzdem Gewicht.
Das fängt bei der Präambel an. „Eine starke Demokratie lebt von den Menschen, die sie tragen. (…) Ehrenamt und demokratisches Engagement stärken den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Sie verlässlich zu fördern, ist unsere Aufgabe“, heißt es dort. Anderenorts nimmt sich die Ampel-Koalition vor, man wolle „das digitale Ehrenamt sichtbarer machen, unterstützen und rechtlich stärken“ sowie die Zivilgesellschaft „besser in digitalpolitische Vorhaben“ einbinden und  unterstützen. Das Ehrenamt will die Bundesregierung zudem „von Bürokratie und möglichen Haftungsrisiken entlasten“. Das hatten Verbände und Bürgerstiftungen in der Vergangenheit immer wieder gefordert.
[Das ist ein Text aus dem Newsletter Ehrensache: Der Tagesspiegel würdigt mit Deutschlands erstem Ehrenamts-Newsletter all jene Menschen, die aktiv dabei mithelfen, dass Berlin lebenswert ist und liebenswert bleibt – kostenlos und jederzeit kündbar. Melden Sie sich an unter: ehrensache.tagesspiegel.de]

Es ist der Ton von Wertschätzung, der spürbar wird. Etwa, wenn angekündigt wird: „Wir erarbeiten mit der Zivilgesellschaft eine neue nationale Engagementstrategie. Wir modernisieren das Gemeinnützigkeitsrecht, um der entstandenen Unsicherheit nach der Gemeinnützigkeitsrechtsprechung des Bundesfinanzhofes entgegenzuwirken und konkretisieren und ergänzen gegebenenfalls hierzu auch die einzelnen Gemeinnützigkeitszwecke.“ Zudem will man „bis 2023 nach breiter Beteiligung ein Demokratiefördergesetz einbringen“. Die Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt, die sich seit der Gründung vor eineinhalb Jahren nach anfänglich weitverbreitetem Misstrauen viel Respekt erworben hat, will man "in ihrem Förderauftrag stärken und ihre Mittel erhöhen, damit sie bürgerschaftliches Engagement insbesondere in strukturschwachen Räumen stärker unterstützen kann".
Aus dem Weg geräumt werden soll von den Ampel-Koalitionär*innen auch ein weiteres Ärgernis. Viele Initiativen, die sich etwa gegen rechte Umtriebe engagieren, litten immer wieder darunter, dass für eine Projektförderung durch die Bundesministerien nur kurze Laufzeiten galten und nicht verlängert wurden. Nun heißt es dagegen: „Im Bundesprogramm „Demokratie  leben!“ wollen wir die bestehenden Strukturen stärken und weiterentwickeln, vermehrt mehrjährige Zuwendungen ermöglichen und die Fördermodalitäten vereinfachen. Die Finanzierung sichern wir dauerhaft ab."
Erleichterungen für Engagierte deuten sich auch auf Seite 77 an: „Die Anrechnung von Aufwandsentschädigungen für ehrenamtliche Arbeit soll in Anlehnung an das Steuerrecht mit einem jährlichen Freibetrag gestaltet werden.“ Man darf gespannt sein, wie viel und wie schnell all diese Vorhaben umgesetzt werden. Aber die ersten Reaktionen sind durchaus positiv. „Der Koalitionsvertrag enthält konkrete und für zivilgesellschaftliches Engagement hilfreiche Vorhaben“, sagt etwa Stefan Diefenbach-Trommer, Vorstand der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“, einem Zusammenschluss von fast 200 Vereinen und Stiftungen. „Das ist ein großer Schritt für eine moderne Demokratie.“
Fortschritt brauche „zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich auch politisch einmischen, die kritisieren, die treiben, die Expertise einbringen. Der Rechtsrahmen dafür ist vor allem das Gemeinnützigkeitsrecht. Hier wird es zu lange fälligen Reformen kommen, die zuletzt nicht möglich waren.“
Weitergehende Wünsche gibt es natürlich trotzdem. So wurde etwa gehofft, dass Bürgerrät*innen als Mittel der direkten Demokratie und der begleitenden Beratung des Bundestags und der Bundesregierung nach den positiven Modellprojekten etwa in diesem Sommer zu „Deutschlands Rolle in der Welt“ stärker etabliert werden. Die Stiftung Aktive Bürgerschaft wünschte sich zudem eine Beauftragte der Bundesregierung für Ehrenamt und Zivilgesellschaft und die Einsetzung eines Vollausschusses Bürgerengagement im Bundestag, um das Thema aufzuwerten. 

Rot-Grün-Rot in Berlin setzt sich hohe Ziele. Zum Einstieg haben wir die Vereinbarungen der Ampelkoalition im Bund angeschaut. Und wie geht die Neuauflage der rot-grün-roten Koalition in Berlin das Thema Ehrenamt und Engagement an? „Berlin ist Stadt des Ehrenamts.“, heißt es in der Präambel des Koalitionsvertrags: „Wir setzen uns zum Ziel, die ehrenamtlich Engagierten zu unterstützen, auf Augenhöhe zu agieren und ansprechbar zu sein.“ Dem folgen konkrete und weitreichende Ankündigungen – wir dürfen gespannt sein, wieviel davon umgesetzt wird.
Hier einige Beispiele, die sich auf den 152 Seiten finden. „Die Koalition wird die Berliner Engagementstrategie umsetzen. Dazu gehört die Unterstützung des Landesnetzwerks durch eine hauptamtliche Landesgeschäftsstelle, die Einführung einer Engagementkonferenz, die Weiterentwicklung von „mein.berlin.de“ und „bürgeraktiv“ sowie der Aufbau und Erhalt der Freiwilligenkoordinationen“, heißt es auf Seite 75.
Vor allem die Umsetzung der Engagement-Strategie, an der viele Engagierte mitgearbeitet und 100 zentrale Maßnahmen zusammengetragen haben, wird für viele Ehrenamtler*innen wichtig sein. R2G setzt außerdem die Erarbeitung eines „Landesdemokratiefördergesetz“ auf seine Liste. Weiteres: „Zur Anerkennung von ehrenamtlichem Engagement wird die Koalition die Anzahl der verfügbaren Fahrscheine für die kostenfreie Nutzung des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) für mehr Ehrenamtliche erhöhen und die Ehrenamtskarte mit Brandenburg weiterentwickeln. Der Berliner Demokratietag, der Tag ‚Berlin sagt Danke‘ sowie der Award ‚Farben bekennen‘ werden verstetigt und weiterentwickelt.“
Das ehrenamtliche Engagement im Sportbereich soll ebenso gefördert werden wie das „gemeinschaftliche Gärtnern“ oder die Unterstützung für bürgerschaftliches Engagement im Naturschutz. „Bürgerschaftliches Engagement an Baumscheiben wird begrüßt und ermöglicht“, heißt es außerdem – was wohl all jene Berliner*innen freuen wird, denen die bezirklichen Grauflächenämter schon mal die liebevoll gepflegten Pflanzungen rüde ausgerupft haben.
Unterstützen will der Senat auch ehrenamtliche Putzaktionen im Kiez. Pflegende Angehörige, die zu Pflegende mit Pflegegeldanspruch betreuen, sollen eine Ehrenamtskarte erhalten“. „Geprüft“ werden soll zudem eine “Förderung von Ehrenamtlichen bei der Benutzung des ÖPNV“ – ein Anliegen, dass von Freiwilligen immer wieder gefordert wird, weil sie für die Wege zu ihrem Engagement bislang noch aus eigener Tasche zahlen müssen. Das Anliegen findet sich auch noch an anderer Stelle im Koalitionsvertrag. „Zur Anerkennung von ehrenamtlichem Engagement wird die Koalition die Anzahl der verfügbaren Fahrscheine für die kostenfreie Nutzung des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) für mehr Ehrenamtliche erhöhen“, heißt es auf Seite 75. Da kann man der Koalition nur gute Fahrt wünschen.
Klar ist auch, dass das Referat Bürgerschaftliches Engagement weiterhin in der Senatskanzlei bleibt, also direkt bei der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey. Bleibt nur noch eine Frage offen: Wird die sehr erfolgreiche und engagierte Staatssekretärin für bürgerschaftliches Engagement, Sawsan Chebli, weiterhin dem Senat angehören? Darauf gibt es bislang keine Antwort. 

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