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Mach dein Ding. Philip Horst, Harry Sachs und Matthias Einhoff (von links) bringen im alten Güterbahnhof im Stadtgarten Moabit Kiez und Kunst zusammen.

© Georg Moritz

Zentrum für Kunst und Urbanistik: Der Künstlerbahnhof Moabit

Im alten Backsteingemäuer im Park zwischen Westhafen und Beusselstraße hat eine neue Ideenschmiede aufgemacht – ein Zentrum für Kunst und Urbanistik mitten in Moabit. Die ersten Künstler sind bereits eingezogen.

Die überdimensional großen Schaukeln und Hängematten im Stadtgarten Moabit lassen selbst Erwachsenenherzen höher schlagen. Erst im Sommer hat der Park zwischen Westhafen und Beusselstraße seine Türen eröffnet. Die Schaukeln sind an alten Bahnschienen befestigt und erinnern daran, dass sich hier früher der Güterbahnhof Moabit befand. Die mit Graffiti beschmierten Fassaden des alten Bahnhofsgebäudes inmitten des Parks deuten darauf hin, dass das rund 130 Jahre alte Backsteinhaus mehrere Jahre lang leer stand. Zum Schaukeln ist es zu kalt – der Park ist leer. Doch im Gebäude selbst ist wieder Leben eingekehrt. Nach vierjähriger Planung und einer 1,2 Millionen teuren Sanierung hat das Zentrum für Kunst und Urbanistik (ZKU) die Räume bezogen. Derzeit wohnen und arbeiten hier elf Künstler unter anderem aus Australien, Serbien und Dänemark.

Harry Sachs, einer der drei Gründer des ZKU, führt durch das zweigeschossige Gebäude. Die Innenräume haben sie zu 13 Atelierwohnungen umgebaut. In jedem Apartment steht ein selbst gebautes Bett, ein Tisch und Spinde aus einer Zeche im Ruhrgebiet. „Weitere Einrichtungsgegenstände bringen sich die Künstler selber mit“, erklärt Sachs. Aus der Küche erklingen Gespräche auf Englisch. Einige der Künstler sind gerade am Kochen. „Ihr Gemeinschaftsraum“, sagt Sachs.

Beim ZKU können sich nicht nur Künstler, sondern auch Stadtforscher für eine Forschungsresidenz von einer Dauer von zwei bis acht Monaten bewerben. Ein stetiger Wandel sei gewünscht, sagen die Gründer Matthias Einhoff, Philip Horst und Harry Sachs. Das ZKU sei ein „unabhängiger Denk- und Produktionsort“ für Stadtentwicklung: „Wer bei uns einziehen möchte, sollte sich entweder künstlerisch oder wissenschaftlich mit dem Phänomen Stadt auseinandersetzen“, erklärt Einhoff. Die Ideen dazu bringen die Bewerber selber mit. In der zweiten Hälfte des Gebäudes finden außerdem Workshops, Konferenzen und Diskussionsveranstaltungen statt.

„Nach 40 Jahren soll die Öffentlichkeit neu entscheiden, was hier entstehen soll.“

Per Erbpachtvertrag haben sich Horst, Einhoff und Sachs das Gebäude für 40 Jahre gesichert und mit Geldern der Lottostiftung saniert. In der Berliner Kunstszene ist das Dreiergespann als Künstlerkollektiv Kunstrepublik bekannt. Einen Namen machten sie sich, als sie 2006 eine Brachfläche südwestlich vom Alexanderplatz mit dem Skulpturenpark Berlin_Zentrum wiederbelebt haben. Seitdem gehen sie beruflich gemeinsame Wege, befreundet sind die Wahlberliner Anfang 40 schon wesentlich länger.

Moabiter Künstlerbahnhof: Herberge für Künstler und Stadtforscher.
Moabiter Künstlerbahnhof: Herberge für Künstler und Stadtforscher.

© Georg Moritz

Das ZKU ist nun ihr zweites größeres Berliner Projekt, mit dem sie sich gegen 80 Mitbewerber durchgesetzt haben. „Den Bezirk hat wohl überzeugt, dass wir uns an mehrere Zielgruppen richten“, mutmaßen die drei. Regelmäßig laden sie die Bewohner aus dem Kiez zu ihrer Veranstaltungsreihe „Speisekino Moabit“. Da werden Filme gezeigt und es wird gemeinsam gekocht. Zuletzt hieß das Thema „Showdown Moabit“; mit Trash-Filmen, wie „Auftrag Moabit“, „Moabit Vice“ oder „Mord in Moabit“ im Programm. „An diesem Abend kamen viele neue Gesichter aus dem Kiez dazu“, erzählen sie.

In einem der Apartments im ersten Stock hat die Künstlerin Stine Marie Jacobsen aus Dänemark ein Atelier bezogen. An ihren Wänden hängen Filmplakate und Zettel mit Texten. Für ein Projekt über Gewalt befragt sie Menschen auf den Straßen Berlins über „traumatische“ Erinnerungen aus Filmen. „Sie erzählen mir, welche Szenen sie zu gewalttätig fanden“, erklärt Jacobsen, die ein Stipendium aus Dänemark erhält. An ihrer neuen Residenz schätzt sie den Kontakt zu Künstlern und die Küchengespräche. „Ich wollte unbedingt hier einziehen, weil ich wusste, wenn das die Künstler vom Skulpturenpark sind, wird es wieder etwas Besonderes“, sagt sie.

Geht man von Jacobsens Atelier den Flur entlang, riecht es plötzlich nach frischem Holz. Eine Wendeltreppe führt in das Büro von Einhoff, Sachs und Horst im Erdgeschoss. Hier sind die Bauarbeiten noch nicht abgeschlossen. Mit Laptops sitzen sie an einem großen gemeinsamen Schreibtisch. Von hier aus entwickeln sie Ideen für das Projekt „Urbane Künste Ruhr“.

„Während in Berlin Verdrängung das Riesenthema ist, ist in vielen Städten im Ruhrgebiet das Gegenteil der Fall“, erzählt Sachs. Dort wünsche man sich Wachstum und eine städtische Aufwertung. Ihre Projekte zielen darauf, wie mit Kunst „städtischer Raum auf andere Weise erfahren werden kann“. Ein Ziel sei dabei die soziale Teilhabe, erklärt Horst. „Die Menschen sollen von ihrem Fernseher in die Öffentlichkeit gelockt werden – sich ein Stück des Raums zurückerobern.“ In Berlin gebe es noch Orte, die dies ermöglichten. „Hätte ein privater Investor das Grundstück erworben, wäre es ein für alle Mal raus aus der öffentlichen Verhandlung“, sagt Sachs.

Genauso wie die Künstlerprojekte soll deshalb auch ihre Zeit auf dem Gelände begrenzt sein. „Nach 40 Jahren soll die Öffentlichkeit neu entscheiden, was hier entstehen soll“, erklären sie. Doch erst einmal freuen sie sich auf die nächsten gut 39 Jahre.

Am 28. Februar um 19 Uhr zeigt die Künstlerin Stine Marie Jacobsen eine Ausstellung im ZKU, Siemensstraße 27, Moabit, Infos: www.zku-berlin.org

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