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Nach dem Bau des Nord-Süd-Tunnels wurde Hany Azer auch Projektleiter des neuen Hauptbahnhofs - drei turbulente Jahr lang.

© Thilo Rückeis

Zehn Jahre Berliner Hauptbahnhof: Projektleiter: "Alle hatten Angst"

Vor zehn Jahren eröffnete in Berlin eine Reihe von Bahnhöfen, pünktlich zur Fußball-WM. Der damalige Projektleiter Hany Azer über die spektakulären Bauarbeiten und eine heimliche Probebohrung.

Den Plan hatte es schon Anfang des vergangenen Jahrhunderts gegeben: Eine Nord-Süd-Verbindung für die Eisenbahn quer durch die Stadt zu bauen. Vorbild war die bereits 1882 eröffnete Ost-West-Stadtbahn. Doch erst 1939 war auch eine Nord-Süd-Verbindung für die S-Bahn fertig – und bis 2006 mussten die Fahrgäste warten, ehe sie auch umsteigefrei im Fern- und Regionalzug von Nord nach Süd fahren konnten – mit einem Halt am neuen Hauptbahnhof.

Am 26. Mai 2006 war er eröffnet worden; zwei Tage später nahm die Bahn den Verkehr auf der Nord-Süd-Strecke auf, die von Gesundbrunnen bis Teltow entstanden war. Neu gebaut wurden außer dem Hauptbahnhof auch die Bahnhöfe Gesundbrunnen und Südkreuz für den Fern- und Regionalverkehr sowie die Stationen Potsdamer Platz und Lichterfelde Ost, in denen nur Regionalzüge halten.

Zehn Jahre später begleiten wir den damaligen Projektleiter Hany Azer, der für die wichtigsten Bauten der neuen Nord-Süd-Strecke zuständig war, auf einer Fahrt zu „seinen“ Baustellen.

SÜDKREUZ

Azer strahlt und breitet die Arme weit aus: „Was für ein Bahnhof. Transparenter geht es nicht“, schwärmt er auf dem Bahnsteig der Ringbahn. Glas, überall Glas. Zumindest in der Halle ist es hell; anders sieht es auf den unteren Nord-Süd-Bahnsteigen aus. Die Hallendecke aus Beton macht ihn dunkel – auch am Tag.

"Transparenter geht's nicht", sagt Hany Azer über den Bahnhof Südkreuz.
"Transparenter geht's nicht", sagt Hany Azer über den Bahnhof Südkreuz.

© Thilo Rückeis

Azer hatte die Bauleitung 2003 übernommen und den Bahnhof pünktlich übergeben. „Bauen unter Betrieb, das war schwierig“, sagt er heute. Die S-Bahnen auf dem Ring und auf der Nord-Süd-Strecke mussten ja weiterfahren, Gleise für die Fernbahn gab es noch nicht. „Wir haben den Fahrgästen auf der Baustelle viel zugemutet“, gibt Azer zu. Umsteiger mussten über Stege aus Holz weite Wege laufen.

Beim Bau dagegen habe es kaum Probleme gegeben, berichtet er. Sogar den Uhrenturm des alten Bahnhofs Papestraße, wie die Station früher hieß, habe man auseinandergenommen und an anderer Stelle wieder in den Neubau integriert. Azer ist zufrieden mit dem Ergebnis. Erst nach Abschluss der Arbeiten sei zu erkennen gewesen, wie gut die Station gelungen sei: „Während des Bauens siehst du die Schönheit nicht.“ Und der Hildegard-Knef-Platz sei ohnehin viel schöner als die Vorplätze am Hauptbahnhof, ist Hany Azer überzeugt.

NORD-SÜD-TUNNEL

Nun geht’s ab in den Tunnel. Mit der Regionalbahn. Der Zug legt den Weg bis zum Potsdamer Platz in gut drei Minuten zurück. Für Azer war die kurze Strecke vor fast 20 Jahren dagegen innerhalb einer Nacht zum Albtraum geworden: In den Tunnelrohbau war am 9. Juli 1997 Grundwasser eingedrungen. Die Hiobsbotschaft hatte Azer beim Angelurlaub in Holland erreicht. Weil in der Nacht weder ein Zug fuhr noch ein Flugzeug zu erreichen gewesen wäre, ließ sich der Projektleiter von einem Fischer mit dessen Auto nach Hause bringen. Heute kann der inzwischen 66-Jährige darüber schmunzeln, damals brockte ihm die Havarie wenige Monate später einen Herzinfarkt ein.

Der gebürtige Ägypter, der heute die Regierung in Kairo berät, war im September 1994 als Teilprojektleiter in den Tunnelbau vom Gleisdreieck bis zum Hauptbahnhof ein- und schnell zum Projektleiter aufgestiegen. Das Bauen war etwas Besonderes. Auf dem ersten Abschnitt entstand der Tunnel an der Oberfläche. Dort wurden sechs sogenannte Senkkästen betoniert, jeder 37 Meter lang und 60 Meter breit, mit einem Gewicht von 25 Tonnen. Unter ihnen wurde anschließend die Erde weggespült, sodass die Kolosse nach und nach in den Boden sackten.

„Wenn du 25 Tonnen über dem Kopf hast, ist die Arbeit nicht einfach“, sagt Azer heute. Aber es klappte. Bis auf eine Toleranz von drei Zentimetern seien die Kästen in die richtige Position gebracht worden. Am sechsten Element kam es nach dem Absenken zum Wassereinbruch an einer undichten Betonwand.

Heimliche Probebohrungen an einem Sonntag

Ein Happening war die Absenkung der Bügelbrücken im August 2005.
Ein Happening war die Absenkung der Bügelbrücken im August 2005.

© Kai-Uwe Heinrich

Doch auch ohne die Havarie hatte es für die Planer schlaflose Nächte gegeben. Nach den sechs Senkkästen fraß sich eine Tunnelbohrmaschine durch den Untergrund. Und diese braucht Platz zwischen der Röhre und der Oberfläche. Beim Queren des Landwehrkanals waren es aber lediglich 80 Zentimeter; auch eine Fernwärmeleitung lag in der Nähe. Die Gefahr, dass dort Wasser eindringen könnte, war größer als bei den Senkkästen.

„Alle hatten Angst“, erinnert sich Azer. Man konnte den Kanal ja nicht einfach trockenlegen. Also musste es so gehen. Um einigermaßen sicher sein zu können, bohrte der Projektleiter selbst ein Loch in den Asphalt der Uferstraße, um festzustellen, wie es im Untergrund aussah. „An einem Sonntag, damit es nicht so auffiel“, berichtet Azer. Es ging gut. Die Bohrmaschine erreichte trocken das andere Ufer, das Wasser blieb im Kanal.

Wie jeder Tunnel hatte auch dieser eine Patin: Christina Rau, die Frau des damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau. Mehrfach hatten sie die Baustelle besucht, auch ihr Mann war einmal dabei. Der Präsident sei einer der besten Sänger beim intonierten Steigerlied der Bergleute gewesen. „Bis zur letzten Strophe“ freut sich Azer noch heute. Ende April 2001 war der Rohbau des viergleisigen Tunnels zwischen Gleisdreieck und Potsdamer Platz fertig. Patin des nördlichen Abschnitts war Hannelore Kohl, die Frau des Bundeskanzlers.

POTSDAMER PLATZ

Beim Bauen am Potsdamer Platz stand wieder das Wasser im Mittelpunkt. In riesigen Gruben mit Grundwasser entstanden die Fundamente für die Hochbauten und die Sohle sowie die Wände für den neuen Regionalbahnhof. Alles musste zusammenpassen – die Interessen der Bauherren an der Oberfläche und die der Bahn. „Alle Investoren haben auf den Projektleiter getrampelt“, sagt Azer.

Kummer „von oben“ war er allerdings gewohnt. Gleich drei verschiedene Bahnvorstände musste er zufriedenstellen: Heinz Dürr, der den Bau des Hauptbahnhofs durch das Architekturbüro Gerkan, Marg und Partner (gmp) eingefädelt hatte, Johannes Ludewig und schließlich Hartmut Mehdorn. Beim Bundesverkehrsminister, der ebenfalls mitmischte, gab es sogar fünf Wechsel: von Matthias Wissmann über Franz Müntefering, Reinhard Klimmt, Kurt Bodewig und Manfred Stolpe zu Wolfgang Tiefensee. „Jedes Mal musste man sich neu einstellen“, stöhnt Hany Azer immer noch.

Wie bei den Bahnhofsbauten, die von verschiedenen Architekten stammen: Am Südkreuz war es das Büro JSK, am Potsdamer Platz Hilmer & Sattler, Hermann + Öttl und Johannes Modersohn sowie am Hauptbahnhof Gerkan, Marg und Partner – und am U-Bahnhof Bundestag Axel Schultes, der das Band des Bundes geplant und das Bundeskanzleramt entworfen hat. Die Bahn baute damals praktischerweise die U-Bahn neben ihrem Tunnel gleich mit – wie auch den Tiergartentunnel für die Bundesstraße B 96.

Warum der Bahnhof Potsdamer Platz bis heute undicht ist, kann sich Azer nicht erklären. „Vielleicht bewegt sich das Bauwerk stärker als angenommen“, schließt er nicht aus. So ist das Wasser der Baustelle immer noch präsent.

HAUPTBAHNHOF

Nachdem für Hany Azer beim Tunnelbau fast alles getan war, ging es erst richtig los. Mehdorn machte ihn nun auch zum Projektleiter für den Bau des Hauptbahnhofs, an dem schon mehrere Vorgänger gescheitert waren. Dort seien Märchen erzählt worden, Genehmigungen hätten gefehlt, klagt Azer. Einen Monat habe er intensive Gespräche geführt – und dann losgelegt. Mit allen Konsequenzen.

Als für ihn klar war, dass bei dem von Mehdorn festgesetzten Eröffnungstermin das lange Dach der Architekten nicht zu bauen war, überzeugte er den Bahnchef davon, es zu kürzen. Dass die Bahn auch bei der Decke im Untergeschoss die Pläne Gerkans nicht übernommen hat, habe dagegen an den zu hohen Kosten gelegen, sagt Azer.

Spektakulär war das Senken der Stahlkonstruktion für die beiden Bügelbauten über den Gleisen. Weil das maschinelle Senken beim ersten Bügel nicht möglich war, da Kriechstrom aufgetreten war, habe er spontan entschieden, per Hand einzugreifen, berichtet der Projektleiter und schaut fast liebevoll auf die Bürobauten. Ähnlich habe er reagiert, als vor dem Eröffnungstag eine Klappe im Dach nicht automatisch geschlossen werden konnte und Regenwasser ausgerechnet auf den Platz des Rednerpults rieselte. Per Hand ließ er das Leck schließen.

So konnten Bundeskanzlerin Angela Merkel, Verkehrsminister Tiefensee, der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit und Hartmut Mehdorn am 26. Mai 2006 trocken den Hauptbahnhof eröffnen. Azer blieb in den hinteren Reihen.

Auf einen Blick: 300.000 Besucher, 1300 Züge

Am Potsdamer Platz mischten beim Bau auch die oberirdirschen Investoren mit.
Am Potsdamer Platz mischten beim Bau auch die oberirdirschen Investoren mit.

© Thilo Rückeis

MENSCHEN

Nach Angaben der Bahn passieren täglich rund 300.000 Fahrgäste und Besucher den Hauptbahnhof. Mehr Kunden zählt die Bahn nur an den – zentralisierten – Hauptbahnhöfen in Hamburg, München und Frankfurt (Main).

ZÜGE

Täglich halten rund 1300 Züge. Der Hauptbahnhof ist die Station mit den meisten Auslandsverbindungen der Deutschen Bahn.

ANLAGEN

Insgesamt gibt es 14 Gleise; zwei weitere für die Nord-Süd-S-Bahn kommen noch hinzu. Für Fahrgäste und Besucher gibt es 54 Rolltreppen, die im nächsten Jahr erneuert werden. 38 Aufzüge, darunter sechs Panoramaaufzüge, verbinden die fünf Etagen.

GESCHÄFTE

Im Bahnhof befinden sich 80 Geschäfte und Lokale. Derzeit findet ein kleiner Mieterwechsel statt. Ganz neu ist eine Filiale des Media-Marktes.

DACH

Das – verkürzte – Dach besteht aus rund 15.000 Scheiben, jede extra angefertigt, weil der Bau in einer Kurve liegt. 780 Solarmodule liefern eine Leistung von 160.000 Kilowattstunden pro Jahr.

UNGLÜCK

Im Januar 2007 stürzte bei einem Sturm nachts ein Stahlträger aus 40 Meter Höhe in die Tiefe. Verletzt wurde niemand.

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