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Berlin: York der Knöfel (Geb. 1961)

„Ich bin ein Produkt“, sagte er. Ein Produkt für den Weltmarkt

Auch Künstler tun es für Geld, sie verkaufen ihre Seele gegen Bares. Manche meistbietend und mit Gefallen an dem Kunstzirkus, manche zynisch, als wäre es ihnen gleichgültig, wer ihre Miete zahlt, manche zähneknirschend, weil es ihnen um etwas anderes geht. Aber um was eigentlich? Um was geht es wirklich in der Kunst?

„Ich heiße einfach so, ich heiße Knöfel“, sagte der Knöfel in einem Interview. Noch einfacher ist das mit dem „der“: „Ich habe mich mit Grammatik auseinandergesetzt, die Artikel meinen ja eine Geschlechtsbestimmung. Ich war in der Schule schon ,der’ Knöfel.“ Und der Vorname? Eigentlich heißt er Jörg, seine russischen Freunde machten daraus Jurek, was ihm auch nicht gefiel, also nannte ihn ein Freund einfach York. Wie New York.

„Ich bin ein Produkt“, sagte Knöfel. Ein Produkt für den Weltmarkt. Global Player. Erstwohnsitz in Berlin, in New York einige Jahre eine Zweitwohnung, nebenbei das Stipendium in Tokio. Ein hübscher Karrieresprung für das Heimkind. Abgebrochene Lehre als Elektriker, Beleuchter am Theater, Arbeiter im VEB Fleischkombinat, dem ehemaligen Schlachthof Berlins, gelegen im Bezirk Prenzlauer Berg.

2500 Schweine pro Schicht; das kapiert keiner, der seine Wurst geschnitten kauft, das will auch keiner sehen, das kann aber Kunst zeigen: den täglichen Irrsinn des Lebens und Sterbens.

Damals begann er zu fotografieren. Kunst ist: als Beobachter einen Standpunkt einnehmen. 1988 zeigte Knöfel an der Kunsthochschule in Dresden seine Fotoinstallation „Schlachthaus Berlin“. Einige Dutzend Fotografien, die in eine labyrinthische Installation aus wandhohen Industrieblechen eingepasst sind. Schlachthof des Lebens, Labyrinth der Welt, „einer frisst den anderen“. Die Ausstellung machte Furore, Knöfels Preis stieg, Galeristen standen parat.

Auf dem Kunstmarkt werden jährlich Milliarden umgesetzt, marktgängige Kunst muss mit Kunst nichts zu tun haben, sie muss sich gut verkaufen. Noch verkaufte sich seine Kunst, ohne dass er Kompromisse machen musste.

Knöfel begann mit der Malerei. Konzentration auf die Form, Konzentration auf die Farbe, und die Bilder wirkten, einfach weil er ganz und gar dabei war, mit Leib und Seele. „Kopfkunst“ interessierte ihn nicht, er mochte keine „fundamentlosen Statements“ und schon gar nicht, „dass jeder seinen geistigen Brei mitteilt“.

Kunst ist: Die anderen zu Wort kommen lassen. 300 New Yorker auf 48 Bildschirmen mit je 48 Kopfhörern. Er hatte ihnen ihre Lebensgeschichte abgelauscht. Der Knöfel ließ Musiker ihre Musik spielen, Kinder sich selbst in Szene setzen. Das unterscheidet Kunst von Therapie: Der Ego-Trip führt nicht endlos im Kreis umher, sondern geradewegs zum Gegenüber.

„Mapping identity“, das war sein Thema. Wer wir sind? Kinder, die im Sand einen Kreis um sich ziehen. Als Satz ist das eine Plattitüde. Als Bild ist es etwas, das uns anrührt, ohne dass wir sagen könnten, warum. Vielleicht, weil wir plötzlich anders wahrnehmen. Kunst ist: Aufmerksamkeit für die Welt schaffen.

Je mehr Künstler sich in Szene setzen, desto größer ist die Gefahr, dass sich der Einzelne zum Hanswurst machen muss. Das wollte er nicht. Der Kurswert des Knöfels sank, aber ohne die Gunst der Galeristen verlor er auch sein Publikum. Das er so gern verblüffte und verzauberte.

„Hier pustet einer auf sechs Videomonitoren Luftballons auf: rote, blaue, gelbe, groß, größer, bildschirmfüllend, paff!“

Farbige Ballons platzen lassen – das war seine „Hommage to painting“. Wer es danach immer noch nicht verstanden hat, dem sei es noch einmal gesagt: Über Kunst lässt sich nicht sinnvoll sprechen. Was bleibt sind Bilder. Wenn auch nur eins erinnert wird, ein Bild, das sich in die Netzhaut einbrennt, dann hat der Künstler die Wette auf Unsterblichkeit gewonnen. Ein Bild. Ein Traum, den man nicht erzwingen kann. Kunst ist: „Der Versuch, daneben zu pissen.“ Und damit doch ins Schwarze zu treffen. Gregor Eisenhauer

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