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Einige Wochen standen die "City Trees" vor dem Bikinihaus und sind bald am Walter-Benjamin-Platz zu sehen.

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Wunderbäume für die Stadt: „City Trees“ sollen Berliner Luft sauberer machen

Ein Start-up will mit Bio-Hightech-Filtern Schadstoffe in der Stadt minimieren. Die Kästen sind an verschiedenen Orten zu finden.

Etwas rätselhaft wirken sie, die drei großen Holzkisten, die aktuell vor dem Experimentierlabor B-Part am Gleisdreieck in Kreuzberg stehen. In ihrem Inneren versteckt sich modernste Bio-Hightech, die die Stadtluft reinigen soll.

Die Luftfilter nennen sich „City Trees“ und verbinden Umweltsensorik und Internet-of-Things-Technologie mit natürlichem Moos. Anfang des Jahres standen die Kästen für einige Wochen vor dem „Bikini Berlin“ am Breitscheidplatz. Im Laufe der kommenden Monate wandern sie im Rahmen eines Pilotprojekts durch die Stadt.

Hinter dem Wunderbaum für die Stadt steht das Start-up „Green City Solutions“ mit Sitz im Berliner Umland. Die Gründer Liang Wu und Peter Sänger möchten Zonen zum Durchatmen schaffen. Das Projekt wird von der Europäischen Union im Rahmen des Forschungs-Förderprogramms „Horizont 2020“ unterstützt.

Die Idee entstand jedoch weit entfernt, nämlich in der chinesischen Metropole Schanghai. Bei einer Reise beobachtete Liang Wu den dichten Smog zwischen den Wolkenkratzern. „Besonders schlimm ist es an heißen Tagen“, sagt Wu. „Aber spürbar besser ist die Luft in der Nähe von Pflanzen, etwa kleinen Parks und Wäldern.“

Die Europäische Union fördert das Projekt

Es sollte doch möglich sein, dachte er damals, gezielt Pflanzen einzusetzen, um die Aufenthaltsqualität zumindest an einigen Orten in der Stadt zu erhöhen. 2013, während des Studiums in Dresden, lernte Wu Peter Sänger kennen, der auf Reisen in verschiedenen Großstädten der Welt ähnliche Beobachtungen gemacht hatte.

Die beiden machten sich auf die Suche nach Pflanzen, die besonders gut darin sind, Feinstaub und Stickoxide zu filtern. Ein Professor habe sie auf die leistungsstarken Moose aufmerksam gemacht. Erste Experimente verliefen erfolgreich, und die beiden gründeten ihr Unternehmen.

2016 zog Green City Solutions um in die Start-up-Metropole Berlin. Kapital kam vom staatlichen Co-Investmentfonds Coparion, der Düsseldorfer Beteiligungsgesellschaft Littlerock und Risikokapitalgebern. In Sachen Forschung kooperieren die Gründer mit dem Leibniz-Institut für Troposphärenforschung in Leipzig und dem Institut für Luft- und Kältetechnik Dresden.

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Vor Kurzem verlegten sie ihren Hauptsitz ins brandenburgische Bestensee bei Königs-Wusterhausen. Dort soll in einer Produktionshalle mit 1500 Quadratmeter Fläche und einem Gewächshaus von 600 Quadratmetern noch im Mai die Serienfertigung der „City Trees“ beginnen.

„Unsere Luftfilter können den Schadstoffgehalt in der Luft halbieren“, behauptet Peter Sänger. Er ist der Botanik-Experte des Gründerteams.

Saubere Lösung. City-Tree-Erfinder Liang Wu (li.) und Peter Sänger.
Saubere Lösung. City-Tree-Erfinder Liang Wu (li.) und Peter Sänger.

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Es komme auf verschiedene Faktoren an. „Wenn die Luft auf der anderen Seite wieder rauskommt, ist sie zu 82 Prozent sauberer“, sagt Sänger. Doch die effektive Leistung hänge auch von der Richtung und Geschwindigkeit des Windes ab, auf die die Filtertechnologie in Echtzeit reagieren müsse.

Als besonders wirksam habe es sich erwiesen, die City Trees im Halbkreis aufzustellen. Dadurch würde zwischen ihnen eine dauerhafte Frischluft-Zone entstehen, sagt Sänger.

Ernüchterndes Fazit in Ludwigsburg

Doch wie bei vielen Start-ups lief auch bei Green City Solutions nicht alles glatt. Anfang dieses Jahres wurde in Ludwigsburg ein City Tree wieder abgebaut, der dort seit 2017 gestanden hatte. Das ernüchternde Fazit der Stadtverwaltung: „Durch Messungen vor und hinter der Wand konnte in der zweijährigen Testphase keine signifikante Änderung der Schadstoffbelastung in der Luft im direkten Umfeld der Wand festgestellt werden.“

Bei diesem City Tree habe es sich um ein frühes Testmodell gehandelt. Inzwischen sei man technisch weiter. „Wir hatten leider nicht die Möglichkeit, jahrelang im stummen Kämmerchen zu entwickeln und zu forschen.“ Stattdessen habe das Start-up mit Sponsoren zusammengearbeitet und seine neue Technologie „im Feld“ getestet – im Wissen, dass das ein gewisses Risiko bedeutet.

Die Erkenntnisse seien in die Weiterentwicklung der Produkte eingeflossen. Wichtig sei es vor allem, die Moose gesund zu halten. Nicht nur aus Gründen der Nachhaltigkeit. Gesunde Pflanzen leisten auch mehr.

„Der wichtigste Faktor ist das Wasser, das darf nicht zu viel und nicht zu wenig sein“, sagt Sänger. Das gelte auch für die Durchlüftung, denn zu viel verschmutzte Luft sei ein „Stressfaktor“ für die Moose, sagt Sänger. In den Morgen- und Abendstunden, wenn der Autoverkehr stark sei, müssten die Filter aufgedreht werden. Das erfolge über vernetzte Sensorik. Im laufenden Betrieb würden enorme Datenmengen generiert.

„Unser Ziel ist es, einen biologischen Algorithmus zu entwickeln, der all diese Faktoren berücksichtigt“, sagt Sänger. Bedarf ist ohne Zweifel vorhanden. Die berühmte Berliner Luft ist heute zwar weniger stark belastet als in den 1980er Jahren. Damals gab es auch hier noch Smog-Alarm, so wie heute in chinesischen Städten. Insbesondere im Winter und an windstillen Tagen war die Verschmutzung mit bloßem Auge zu sehen – und auch zu riechen.

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Seither hat sich einiges getan. Hauptverursacher wie Kohleöfen oder Zweitaktmotoren sind praktisch verschwunden, in Heizkraftanlagen wurden Filter eingebaut. In die Innenstadt dürfen nur noch Autos hinein, die hohe Abgasnormen erfüllen. Doch auch heute ist die Luft belastet, vor allem durch den Straßenverkehr. Das zeigen die Werte von 16 Messstationen im Stadtgebiet.

Die EU-Grenzwerte für Stickstoffdioxid werden laut Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen an allen Stationen permanent überschritten. Beim Feinstaub sieht es zwar ein wenig besser aus, doch auch hier liegen die Werte bei ungünstigem Wetter regelmäßig zu hoch.

Die Moose fühlen sich nicht überall wohl

Zielgruppe sind laut Sänger Kommunen sowie größere Versorgungsunternehmen. „Wasser- und Stromversorger, aber auch Umweltdienstleister sind interessante Kundengruppen, auch andere große Unternehmen, die ein Nachhaltigkeitsdenken entwickeln und ihre soziale Verantwortung zeigen wollen.“ Verwaltung und Wirtschaft könnten kooperieren, um bestimmte Orte in der Stadt zu begrünen, etwa Einkaufspassagen.

Was den Export von City Trees angeht, verlaufen die Grenzen nicht zwischen Staaten, sondern zwischen Klimazonen. Denn die Moose fühlen sich nicht überall wohl. „Es gibt nahezu 20.000 Moosarten auf unserem Planeten, vom Nordpol bis zur Sahara“, sagt Sänger. Zunächst gehe es darum, die mitteleuropäischen Arten zu kultivieren. Für internationale Märkte wie Nordamerika oder Ostasien müssten Arten verwendet werden, die im dortigen Klima heimisch sind.

Wenn die City Trees erst einmal aufgestellt sind, fungieren sie auch als Messstationen. In Zukunft könnten die City Trees auch mit Ladesäulen für Elektrofahrzeuge verbunden werden. Die Coronakrise habe zwar „ein bisschen die Bremse reingehauen“, sagt Sänger. „Aber jetzt geht es wieder los. Als Nächstes werden wir nach Großbritannien liefern.“ Für den deutschen Mart gehe es darum, ab Ende Mai regelmäßig jede Woche neue City Trees auszuliefern.

Die City Trees werden noch bis Juni am Gleisdreieck bleiben und danach auf dem Walter-Benjamin-Platz in Charlottenburg zu sehen sein.

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