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Ein Stück Berliner Geschichte: Interessierte können frei in der Datenbank recherchieren, sich jeweils über den Kontext der Objekte informieren.

© Paul Zinken/dpa

„Würden Sie mir ein Paar nahtlose Strümpfe über die Mauer werfen?“: Neues Angebot – Stiftung Berliner Mauer stellt rund 10.000 Sammlungs-Objekte online

Die Stiftung hat einen Teil ihrer Sammlung online gestellt. Damit sind die Objekte zum Thema Mauer und Teilung nun über ihre Internetseite recherchierbar.

Der Mauerbau, so tief er in das Leben der Menschen hüben wie drüben auch eingriff, hatte neben den tragischen ebenso banale Folgen: Schicke Nylons für die Freundin oder Frau waren kaum noch zu bekommen.

Doch Ost-Grenzer wussten sich zu helfen, schließlich war die Mauer in ihren Anfangstagen nicht sehr hoch, und so flogen immer mal wieder Kassiber mit Zetteln wie diesem gen Westen: „Ich hätte eine Bitte. Würden Sie so gut sein und mir ein Paar nahtlose Strümpfe über die Mauer werfen? Bei uns gibt es so schlecht welche. Größe 9 1/2, nicht zu hell. Im Voraus besten Dank. Ihr Freund!“

Auch uniformierte Raucher versuchten auf diese Weise ihr Glück, gegen ihre Nikotinsucht hatte das Verbot von West-Kontakten keine Chance: „Wir haben 10 DM-West. Könnt ihr uns dafür Zigaretten holen?“

Ob diese Wunschzettel ihren Zweck erfüllten, ist nicht verbürgt, aber das ist auch egal. Wichtig ist doch, dass sie ein Schlaglicht auf den frühen Maueralltag werfen, längst vergangene Geschichte, die viele nur noch aus Filmen oder Büchern kennen, konkret werden lassen, vorstellbar machen. Was nur funktioniert, wenn sie erhalten bleiben, gesammelt, archiviert und dann der Öffentlichkeit auch zugänglich gemacht werden.

Stiftung archivierte 50.000 bis 70.000 Objekte

Um das Sammeln und Archivieren solcher Zeugnisse der deutschen und besonders der Berliner Teilung hat sich die Stiftung Berliner Mauer seit jeher bemüht und mittlerweile zwischen 50.000 und 70.000 Objekte archiviert. Die genaue Zahl ist schwer zu bestimmen, hängt davon ab, ob man ein Fotoalbum, einen Briefwechsel als Einzelobjekt oder als eine Vielzahl wertet. Einfacher anzugeben ist die Zahl der Objekte, die online verfügbar sind: Es sind mehr als 10.000 und fast täglich kommen weitere dazu.

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Seit Mittwoch ist dieses neue Angebot der Stiftung freigeschaltet, jeder kann nun auf der Website zwischen historischen Fotos, Originalobjekten, Plänen, Ansichtskarten und anderen Materialien stöbern oder gezielt recherchieren (sammlung.stiftung-berliner-mauer.de). Für Axel Klausmeier, Direktor der Stiftung, bedeutet dies geradezu eine „Demokratisierung der Sammlung“, die an der Bildung mündiger Bürger mitwirke, demokratische Werte vermittle.

Über die Internetseite der Stiftung haben Interessierte nun Zugang zu den Objekten.
Über die Internetseite der Stiftung haben Interessierte nun Zugang zu den Objekten.

© dpaFoto: Paul Zinken/dpa

Aufgebaut wurde die Sammlung von Kurator Manfred Wichmann, der den Wert der Objekte gerade in ihrer Authentizität, der Verbundenheit mit erlebten Geschichten sieht. Dies werde immer wichtiger, je weiter die Zeit der Mauer zurückliege.

Einige dieser Objekte waren für die Präsentation des neuen Online-Angebots am Mittwoch eigens aus dem Depot geholt worden. Zum Beispiel „Kolibri“: Ein Faltboot aus DDR-Produktion, in dem der junge Ingenieur Kurt Rick im November 1963 über die Ostsee in den Westen floh. Zwei Jahre hatte er da schon in Haft gesessen, verurteilt wegen angeblicher, doch nie unternommener Fluchtvorbereitungen.

Es wird wohl vor allem das erfahrene Unrecht gewesen sein, das ihn die Flucht dann tatsächlich wagen ließ, nachts in zwei windstillen Nächten, von der Stralsunder Bucht aus 35 Kilometer über die offene See nach Schleswig-Holstein. Ein Transistorradio für den Seefunk, ein Taucherkompass und seine Berufsdokumente waren die einzigen Hilfsmittel. Das Boot hat Kurt Rick danach behalten, in seiner später gegründeten Familie diente es nun dem Freizeitvergnügen, bis er es 2020 der Stiftungssammlung schenkte.

Heiligabend in West-Berlin

Viele der archivierten Objekte kommen auf diesem Wege in den Bestand der Stiftung, die neben der Gedenkstätte Berliner Mauer, der Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde, der East Side Gallery und der Gedenkstätte Günter Litfin neuerdings Ben Wagins Parlament der Bäume verantwortet.

Auch der gezeigte Leitkegel von der Grenzübergangsstelle Waltersdorfer Chaussee kam auf dieser Weise zur Sammlung. Zwei Familien, die eine aus dieser, die andere aus jener Stadthälfte, hatten den Heiligabend 1989 gemeinsam in West-Berlin verbracht, weit nach Mitternacht brachte die dort lebende Familie ihre neuen Bekannten zurück über die nun offene Grenze. Bei der Rückfahrt waren nicht mal mehr Grenzposten zu sehen, die feierten nun wohl auch – eine Gelegenheit, sich solch einen rot-weißen Kegel als Souvenir und Erinnerung an die vergangene Mauerzeit mitzunehmen.

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Manche Objekte hat sich die Stiftung aber auch selbst besorgt, wie einen originalen Schaltkasten von der Außenwand des Trafohauses der Grenzübergangsstelle Staaken, über die vor der Eröffnung des Übergangs bei Stolpe, der Transitverkehr Richtung Nordwesten lief. Der alte Grenzübergang ist heute weitgehend eine Brache, nur einige Versorgungsgebäude an der Heerstraße sind erhalten geblieben, darunter das Trafohaus.

Als sich dort Vandalismus breit machte, griff man zu und sicherte sich den Schaltkasten fürs Archiv. Er dürfte aus einer relativ späten Phase der Mauer stammen, anders als der ebenfalls gezeigte Hohlblockstein aus Gasbeton, wie er im Wohnungsbau und dann eben auch für die ersten dauerhaften Sperranlagen verwendet wurden. Er stammt aus einem Mauerteilstück zwischen Treptow und Kreuzberg, gut möglich, dass auch dort in den ersten Wochen nach dem 13. August 1961 Wunschzettel von Grenzposten in den Westen geworfen wurden.

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