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Trotz Mietendeckel-Chaos und Sorgen vieler Mieter gab es von Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller (SPD, m.) und den Bürgermeistern Ramona Pop (Grüne, r.) und Klaus Lederer (Linke, l.) keine Entschuldigung.

© Christophe Gateau/dpa

Wohnungspolitik droht Berlin zu spalten: Rot-Rot-Grün gibt dem Bund die Schuld am Mietendeckel-Aus

Selbstbewusste Verlierer: Der Mietendeckel ist gescheitert, doch Rot-Rot-Grün gibt sich kampfesmutig.

Die Nachricht klang trotzig: Zum Bild von Demonstrierenden, die nach dem Mietendeckel-Aus am Donnerstagabend durch Kreuzberg und Neukölln gezogen waren, schrieb die Berliner Linke auf Twitter: „Jetzt erst recht!“

Keine zwölf Stunden zuvor hatte der rot-rot-grüne Berliner Senat die mit Abstand größte Niederlage dieser Legislatur einstecken müssen. Einstimmig hatte das Bundesverfassungsgericht den Berliner Mietendeckel wegen fehlender Kompetenz des Landes für nichtig erklärt. Das als großer Wurf gedachte Gesetz bringt nun unzählige Mieter:innen in der Stadt in die Bredouille.

Dennoch treten die Vertreter:innen aus Senat und Koalitionsparteien erhobenen Hauptes auf. Trotz des angerichteten Chaos und obwohl viele Experten das Gesetz zum Berliner Mietendeckel bereits im Vorfeld für verfassungswidrig erklärt hatten – der Senat also gewarnt war.

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Die Opposition ist über dieses Auftreten fassungslos. „Ein verantwortungsvoller Senat wüsste, was er nach dem von ihm erzeugten Desaster für unzählige Berliner Mieter tun müsste: Verantwortung übernehmen, auch personell“, sagte Kai Wegner, Landeschef und Spitzenkandidat der CDU für die Abgeordnetenhauswahl. Angesichts der Bedeutung des Themas und des Scheiterns mit Ansage stünde der Koalition „mindestens etwas mehr Demut und Sachlichkeit gut zu Gesicht“.

Auch der FDP-Fraktionsvorsitzende Sebastian Czaja, ebenfalls Spitzenkandidat seiner Partei zur Berlinwahl stört sich am Verhalten des Senats. Nachdem die Koalition „die ganze Stadt ins Chaos gestürzt hat, hat es nicht ein einziger Vertreter des Senats geschafft, sich wenigstens bei den Betroffenen zu entschuldigen“. Stattdessen lege man eine arrogante „Jetzt erst recht“-Attitüde an den Tag.

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Werner Graf, Vorsitzender der Berliner Grünen, reagierte auf die Rücktrittsforderungen der Opposition mit einer Attacke auf die Bundesregierung und dort insbesondere Bauminister Horst Seehofer (CSU). „Wenn einer zurücktreten müsste, dann doch wohl er.

Weil auf Bundesebene nichts passiert, brennt in Berlin die Hütte und der Senat muss Hilfskonstrukte wie den Mietendeckel erfinden, um die Berliner Mieter zu schützen“, erklärte Graf und fügte hinzu: „Es gar nicht erst zu versuchen ist Grund für einen Rücktritt, nicht der gescheiterte Versuch des Mietendeckels.“

Graf zeigte sich optimistisch, dass auch die Berliner:innen den Versuch einer gesetzlichen Mietenregulierung durch den Senat goutieren und das Scheitern verzeihen werden.

Katina Schubert, Chefin der Linkspartei, zeigte sich am Tag nach dem Urteil getroffen und kämpferisch zugleich. „Das war ein echter Schlag ins Genick“, sagte sie in Bezug auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Vortag und zeigte sich überrascht von der Härte, mit der die Richter das Senatshandeln abgekanzelt hatten.

Rücktrittsforderungen bezeichnete Schubert als „billigen Populismus“. Niemand habe den Mietendeckel „leichtfertig“ aufgesetzt oder sei sich des Risikos nicht bewusst gewesen, sagte Schubert und erklärte: „Wir wissen, dass wir mit existenziellen Fragen hantieren.“ Es tue ihr „wahnsinnig leid“, dass Rot-Rot-Grün verloren und zahlreiche Mieter:innen damit in finanzielle Nöte gestürzt habe, sagte Schubert.

Sie zeigte sich zugleich aber davon überzeugt, dass die von der Linkspartei offensiv unterstützte Initiative „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ massiven Rückenwind erfahren werde.

Initiative „Deutsche Wohnen &Co. Enteignen“ erlebt „großenZuspruch“

Indizien dafür gibt es durchaus. Seit Donnerstag hat sich die Zahl der Suchanfragen nach der Initiative im Internet mehr als vervierfacht. Das Berliner Volksbegehren verzeichnet riesigen Zulauf. Michael Prütz, Mitinitiator der Initiative, hat viel zu tun: „Unsere Social-Media-Kanäle explodieren, wir haben allein an einem Tag 4000 neue Follower auf Instagram“, berichtet er.

Tausende Berliner demonstrierten am Donnerstagabend gegen steigende Mieten und für einen Mietendeckel auf Bundesebene.
Tausende Berliner demonstrierten am Donnerstagabend gegen steigende Mieten und für einen Mietendeckel auf Bundesebene.

© Christoph Soeder/dpa

Von User:innen komme großer Zuspruch. „Wir sind die einzige verbliebene Option für viele Mieter:innen. Die Landespolitik hat ihre Möglichkeiten ausgeschöpft“, erklärte der Aktivist. Auch Dutzende Spenden und mehr als 50 neue Unterstützer:innen bei der Unterschriftensammlung seien zusammengekommen, sagte Initiativensprecher Rouzbeh Taheri. „Wir haben viel Unterstützung von Parteien, Privaten und Gewerkschaften – wir bleiben allerdings eine Basisinitiative.“

Eine Vergesellschaftung großer Immobilienunternehmen, wie sie von der Bewegung angestrebt wird, ist allerdings noch lange nicht sicher – selbst wenn genug Unterschriften zusammenkämen und ein anschließender Volksentscheid erfolgreich ausfiele. Seitens der Immobilienwirtschaft, FDP und CDU regt sich vehementer Widerstand – mit Klagen ist zu rechnen.

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Eine weitere Niederlage vor Gericht wäre für Mieter:innenverbände fatal. Diese Angst teilen die Initiator:innen aber nicht. „Alle glaubwürdigen Gutachten, wie das des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags, sehen die Möglichkeit einer Vergesellschaftung nach Artikel 15 des Grundgesetzes“, sagte Taheri. Streit werde es nur um die Einzelheiten wie die Entschädigungen geben, so Prütz. Klar ist eines: Die Frage nach der Zukunft der Mieten vieler Berliner:innen wird beim Wahlkampf für Abgeordnetenhaus und Bundestag eine zentrale Rolle spielen.

Senat könnte Mieter-Hilfen am Dienstag beschließen

Derweil wird im Ressort von Wohnen-Senator Sebastian Scheel (Linke) mit Hochdruck an einem neuen Gesetzesentwurf gearbeitet. Der soll festlegen, unter welchen Voraussetzungen Mieter:innen einen Anspruch auf staatliche Hilfsgelder zur Zahlung ihrer Mietschulden infolge des Mietendeckel-Desasters haben.

Der Entwurf soll am kommenden Dienstag in den Senat eingebracht und nach Möglichkeit beschlossen werden. Die Zeit drängt, da erste Vermieter:innen bereits die ausstehende Differenz zwischen gesenkter und nun illegaler Deckel-Miete sowie der zuvor und nun wieder gültigen Vertragsmiete einfordern.

Zur Absenkung berechtigt waren nach frühen Schätzungen des Senats 350.000 Haushalte. Der größte Wohnungsverband BBU hatte laut Umfragen unter seinen Mitgliedern bis zu 80.000 Haushalte ermittelt. Hinzu kommen die Senkungen bei vielen nicht organisierten Vermieter:innen. Da der Senat aber ohnehin nur jenen Haushalten helfen will, die in „wirtschaftlicher Notlage“ stecken, wird in Verwaltungskreisen mit etwa 40.000 begünstigten Haushalten gerechnet. Zumal Großvermieter:innen wie die sechs landeseigenen Wohnungsgesellschaften, aber auch Konzerne wie Vonovia, Heimstaden und andere keine Rückzahlungen verlangen wollen.

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