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Baustadtrat und Grünenpolitiker Florian Schmidt.

© imago/photothek

Wohnungsnot in Berlin: Niemand hat die Absicht, eine Wohnung zu genehmigen

Bauen? Bringt doch nichts! Der Kreuzberger Grünen-Politiker Florian Schmidt steht wie kein Zweiter für die Wohnungspolitik des Berliner Senats. Die zieht Kritik aus der Wirtschaft auf sich.

Manchmal gerät Florian Schmidt ins Träumen. Dann sieht er 200.000 Wohnungen, die vom Himmel auf Berlin fallen. Allerdings weiß der Grünen-Politiker nicht, ob der Immobilienregen ein Segen oder ein Albtraum ist. „Ich kriege den Gedanken nicht zu Ende“, sagt er. Schmidt ist nämlich nicht nur Kreuzbergs Baustadtrat, er ist zugleich auch ein Bauskeptiker: „Bauen, bauen bauen“, twitterte er vor wenigen Tagen leicht genervt. „Wer den Menschen verspricht, dass dann alles gut würde, ist ein Ideologe.“

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Schmidts Skepsis ist verwunderlich. Denn Berlin fehlen – je nach Studie und Gesprächspartner – bis zu 130.000 Wohnungen. Der Markt ist ein Katastrophengebiet für Zuzügler, Familien mit Nachwuchs oder Pärchen, die sich getrennt haben und mangels bezahlbarer Wohnung nun doch zusammenbleiben müssen – räumlich jedenfalls. Die Gewinner der Immobilienmisere sind die Eigentümer. Die Mietpreise haben sich seit Ende 2005 von knapp fünf Euro pro Quadratmeter mehr als verdoppelt. Laut Investitionsbank Berlin-Brandenburg erreichten sie Ende vergangenen Jahres 10,80 Euro. Und die Entwicklung wird sich fortsetzen. Eine Studie bescheinigte Berlin vor wenigen Tagen sogar, die Stadt mit dem weltweit höchsten Preisanstieg zu sein. Auf Massendemonstrationen werden „Immobilienhaie“ an den Pranger gestellt. Die Wohnungsfrage wird zum politischen Unruheherd.

Wollen Lobbyisten die Bevölkerung "austauschen"?

Wie kann man sich also fragen, ob 200.000 neue Wohnungen gut oder schlecht sind? Florian Schmidt bietet eine originelle Erklärung an: „Die Leute wollen halt von überall hierherziehen und würden auch dann noch Spitzenpreise zahlen, wenn hier viele neue Wohnungen wären.“ Der Bauskeptiker versucht seine These mit einer Anekdote zu belegen: Auf einem Immobilienkongress, den der Grüne vor ein paar Wochen besuchte, habe ein Professor einen roten Kreis auf eine Karte von Berlin gemalt und gesagt, dass dort die Reichen hinwollten. „Und wissen Sie, wo Kreuzberg war?“, fragt Schmidt und schiebt die Antwort sofort nach: „Im roten Bereich.“ Der Kongress sei von einer „Lobbygruppe“ der Branche organisiert gewesen. Und „die wollen im roten Bereich“, da ist Schmidt sich sicher, „alle Bewohner austauschen“.

Bevölkerungsaustausch? Für gewöhnlich gehen derlei Vokabeln nur dem anderen politischen Lager über die Lippen. Schmidt weist aber jeden Populismusverdacht von sich: Ihm gehe es einzig darum, arglose Mieter gegen Spekulanten, das Kapital, „die Reichen“ halt, zu beschützen. „Wir verteidigen mit Krallen und Zähnen die Menschen, die hier wohnen“, sagt er.

In der Wirtschaft stößt die Politik von Schmidt – wen wundert’s – auf heftige Kritik. „Herr Schmidt kann noch so sehr seine Gewissheiten vorbeten“, sagt Susanne Klabe, „mehr Angebot wird es nur geben, wenn mehr gebaut wird.“ Klabe ist Chefin des Berliner Landesverbands Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW) und nur eine von immer mehr Unternehmerstimmen, die gegen den Senatskurs protestieren. Bereits in der vergangenen Woche hatte sich Maren Kern, Chefin des größten Wohnungsverbandes BBU, zu Wort gemeldet: „Damit neben den städtischen Unternehmen auch Genossenschaften und private Unternehmen endlich so viel bauen können, wie sie gerne würden, braucht es bezahlbares Bauland, Änderungen bei den Verwaltungsstrukturen Berlins und eine Willkommenskultur für Neubau.“

Bauen? Bringt nichts!

Doch der Senat hofft seinen Kampf gegen die steigenden Mieten anders zu gewinnen. Lediglich 21.562 Neubaugenehmigungen wurden 2017 nach Angaben des Amts für Statistik Berlin-Brandenburg erteilt. Nach Ansicht vieler Beobachter ist das viel zu wenig. Vor wenigen Tagen teilten die Statistiker zudem mit, im ersten Quartal 2018 seien deutlich weniger Baugenehmigungen als im Vorjahreszeitraum erteilt worden: 4325, ein Minus von 18,8 Prozent. Offenbar ist nicht nur Kreuzhains Stadtrat Schmidt von der Bauskepsis betroffen: „Die Herausforderungen der Berliner Wohnungspolitik sind vielschichtig und sollten nicht allein an Neubauzahlen gemessen werden“, sagt Bausenatorin Katrin Lompscher von den Linken.

Statt beherzt Baugenehmigungen zu erteilen, versuchen Bezirke und Senat das Marktgeschehen mit juristischer Kriegsführung zu beeinflussen. Im Arsenal der Verwaltung finden sich mittlerweile nicht nur die konventionelle Mietpreisbremse, sondern auch besonders wirksame Waffen. Sie heißen Milieuschutz, Umwandlunsgverordnung und Vorkaufsrecht. Schmidt ist einer ihrer glühendsten Verfechter.

Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln.
Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln.

© picture alliance / Michael Kappe

In Industrie und Wissenschaften stoßen diese Instrumente gleichwohl auf Kritik. So nennt etwa Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, Berlins Kurs in der Immobilienpolitik eine „Anmaßung von Staatstätigkeit“. Und während der Staat mit unkonventionellen Methoden den Markt und seine Mechanismen bekämpft, vergrault er diejenigen, die mit konventionellen Methoden, nämlich dem Bau von Wohnungen, für etwas Entspannung auf dem Markt sorgen könnten.

Davon jedenfalls ist der Jurist Uwe Bottermann überzeugt. Fragt man ihn, was falsch läuft am Wohnungsmarkt, fällt die Antwort deutlich aus: „Wir bekommen keine Baugenehmigungen.“ Der Anwalt berät Investoren und Entwickler und hat mit Schmidt bereits den ein oder anderen Kampf ausgefochten. „Was der und der Senat treiben, ist rückwärtsgewandt“, mosert Bottermann. Den staatlichen Vorkauf hält der Jurist für eine verkappte Kommunalisierungsstrategie. „Wenn man diese Entwicklung zu Ende denkt, landen wir irgendwann bei Enteignungen. Die sind aber aus sehr guten Gründen juristisch nur sehr schwierig durchzusetzen.“ Bottermanns Vision ist ein verbreiteter Albtraum in der Immobilienwirtschaft. Zitieren lassen will sich damit jedoch keiner.

Jacopo Mingazzini ist Geschäftsführer der Accentro Real Estate GmbH und so was wie der prototypische Gegner Schmidts. Seine Firma kauft Häuser und ganze Wohnungspakete, saniert diese und verkauft sie dann weiter. Eine Heuschrecke? „Nicht doch“, sagt Mingazzini. Er sei glücklich, wenn die Mieter auch nach dem Verkauf in den Wohnungen bleiben. Nur wie sollen die Bewohner sich steigende Mieten nach einer Modernisierung leisten? Mingazzini: „Meinetwegen kann der Gesetzgeber dafür sorgen, dass Vermieter nur noch sechs statt bisher elf Prozent der Modernisierungskosten auf die Jahresmiete umlegen dürfen.“ Damit überholt der Wohnungskapitalist sogar die große Koalition, die sich ihrerseits eine Absenkung auf acht Prozent vorgenommen hat.

"Die DDR war Milieuschutz im Quadrat“

Den Vorwurf, das Konzept „Milieuschutz“ sei im Kern reaktionär, da es unverhohlen das Einfrieren eines Status quo in einem Kiez zum Ziel hat, lässt Florian Schmidt nicht gelten. „Es geht doch darum, dass das einen gewissen Erklärungshintergrund hat“, sagt er. Ziel sei schließlich nicht, gesellschaftliche Werte zu konservieren. „Ich halte es nur nicht für sinnvoll, dass Menschen aus ihren Wohnungen genommen werden, weil Leute mit mehr Geld dort einziehen wollen.“ Das sei ein Gedanke, der ja auch im konventionellen Mietrecht eine entscheidende Rolle spiele.

Unternehmer Jacopo Mingazzini.
Unternehmer Jacopo Mingazzini.

© promo

„Und mehr als das Mietrecht braucht es auch nicht“, sagt Accentro-Chef Mingazzini. Denn sonst erreiche man nur noch, dass keiner mehr investiert. „Hätten wir diesen Senat zur Gründerzeit gehabt, hätte Berlin heute 500000 und nicht 3,5 Millionen Einwohner“, schimpft er. Rot-Rot-Grün würge die Stadt mit seiner Wohnungspolitik ab. Die Sache sei doch recht schlicht: „Wenn drei Leute ’ne Wohnung wollen und nur zwei da sind, muss eine gebaut werden. Ganz einfach. Das ist das Einzige, was hilft.“

Noch etwas drastischer sieht das Ökonom Hüther: „Die DDR war Milieuschutz im Quadrat“, witzelt er und spielt damit auf den Umstand an, dass Politik und Verwaltung Investitionen bewusst verhindern: „So erklärt sich dann der Verfall der Gebäude. Es ist eine Dreistigkeit, so etwas als Politik zu verkaufen!“ Mal davon abgesehen, dass ältere Leute eines Tages auf Fahrstühle angewiesen seien, um ihre Wohnung behalten zu können. „Nein“, sagt der Grüne Schmidt: „Das Verdrängungsrisiko ist für alte Leute durch steigende Kosten für einen Aufzug viel höher als dadurch, dass sie gebrechlich werden.“

Furcht vor Enteignung

„Ich kann natürlich auch jedes Dorf unter Schutz stellen und die Bewohner verpflichten, dort zu bleiben“, ätzt Hüther und wird schnell ernst: „Es kann nicht sein, dass der Staat sich gegen jede Form von Wandel stellt, um ein bestimmtes Milieu stabil zu halten.“ Er dürfe gerne steuern, etwa durch den Bau von Sozialwohnungen und über Bebauungspläne. Doch was in den „Sozialen Erhaltungsgebieten“ passiere, sei im Kern eine Kapitulation: „Es gibt offensichtlich keine Vorstellungskraft von dynamischen Bewegungen in Stadträumen.“

„Es fehlt nur noch, dass die Verwaltung vorschreibt, an wen vermietet werden darf“, sagt Investor Mingazzini. Er fordert eine Umkehr in der Wohnungspolitik. „Und die Verdammung der Immobilienwirtschaft muss aufhören! Damit heizt man das Klima in der Stadt auf und löst kein einziges Problem.“

Wenn Florian Schmidt bald wieder von den 200.000 Wohnungen träumt, die vom Himmel fallen, kann er den Immobilienunternehmer Mingazzini anrufen. Der würde ihm das hier sagen: „Wenn es viele Wohnungen gibt, werden sich die Mieten reduzieren. Selbst dann, wenn sie unwirtschaftlich für die Vermieter wären.“ Denn das sei immer noch besser, als sie leer stehen zu lassen und gar keine Einnahmen zu haben. „Das macht jeder Kaufmann so.“

Dieser Artikel erschien in der wöchentlichen Sonderseite "Berliner Wirtschaft". Folgen Sie uns auf Twitter für Updates: @BRLNRwirtschaft

Jan-Philipp Hein

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