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„Wir rechnen mit 47.000 Menschen, die in den nächsten Jahren untergebracht werden müssen“, sagt Sozialsenatorin Breitenbach.

© Kai-Uwe Heinrich

Wohnungslosigkeit in Berlin: 37.000 Menschen leben in Notquartieren

Sozialsenatorin Breitenbach will die Unterbringung von Wohnungslosen nicht mehr Bezirken überlassen. Zahlen über Kapazitäten und Obdachlose gibt es nicht. Nun wird eine Statistik erarbeitet.

Von Sabine Beikler

Die Zahl der wohnungslosen Menschen, die in Not- und Gemeinschaftsunterkünften leben, hat sich in den vergangenen Jahren in Berlin drastisch erhöht. Ende 2016 wurden 30.718 wohnungslose Menschen registriert. Das waren fast doppelt so viele wie 2015 (16.696). Und Ende 2017 waren es bereits 36.905 Menschen, darunter 6435 Flüchtlinge, die ein anerkanntes Asylverfahren durchlaufen haben. „Wir rechnen mit 47.000 Menschen, die in den nächsten Jahren untergebracht werden müssen“, sagte Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) am Dienstag. Deshalb will der Senat die Angebote der Wohnungslosenhilfe künftig gesamtstädtisch im Einvernehmen mit den Bezirken zentral steuern, die noch für die Vermittlung verantwortlich sind. Eine Zahl über freie Kapazitäten, Plätze oder Wohnungen in Berlin gibt es aber nicht.

„Wir wollen ein zentrales Portfolio erstellen“, sagte Breitenbach. „Per Knopfdruck“ soll den betroffenen Menschen eine Unterkunft zugewiesen werden, die ihren Bedürfnissen entspricht. Nach und nach sollen alle Unterbringungseinrichtungen zusammengeführt werden. Auch Qualitätsanforderungen sollen entwickelt werden. Dafür aber müsse man sich jede Unterkunft anschauen, so Breitenbach. Und das wird dauern: Nicht vor 2020 wird ein Bericht über notwendige Verwaltungsstrukturen vorliegen für die laut Senatsverwaltung „größte Unterbringungsplattform der Bundesrepublik“.

"Wir scheitern an geeigneten Räumlichkeiten"

Es gibt auch keine Zahlen, wie viele Menschen auf Berliner Straßen leben. Schätzungen gehen von 10.000 aus. Die Sozialverwaltung will mit Hilfe der Alice-Salomon-Hochschule eine Zählmethode entwickeln. Mit der Einführung der Statistik soll in diesem Jahr begonnen werden. Das Ziel hat Rot-Rot-Grün im Koalitionsvertrag ebenso festgeschrieben wie mindestens 1000 Plätze in der Kältehilfe und 2500 Wohnungen für Menschen, die wohnungslos oder von Wohnungslosigkeit bedroht sind.

Wohnungslosigkeit in Berlin (Anklicken zum Vergrößern).
Wohnungslosigkeit in Berlin (Anklicken zum Vergrößern).

© Tsp/FB

Laut Statistik sind 22,3 Prozent der Fälle Betroffene mit Kindern, die in Noteinrichtungen leben. „Das ist eine sehr bittere Situation. Wir scheitern an geeigneten Räumlichkeiten“, sagte Breitenbach, die ein Wohnprojekt für Frauen mit Kindern initiieren. Seit Herbst gibt es in der Kreuzberger Taborstraße eine Familienübernachtungsstelle.

Nach der ersten „Strategiekonferenz zur Wohnungslosigkeit und -politik“ wird es am 10. Oktober eine zweite Konferenz geben. Im Januar nach dem Auftakt lautete die Kernbotschaft: Jeder Obdachlose in der Stadt soll eine feste Unterkunft erhalten, möglichst eine eigene Wohnung. Doch die Realität sieht anders aus: Zwölf Prozent der Betroffenen leben länger als drei Jahre in Noteinrichtungen, 21 Prozent zwischen ein und zwei Jahren, 17 Prozent zwischen sieben Monaten und einem Jahr und 25 Prozent unter drei Monaten. Das geht aus der Antwort der Sozialverwaltung auf eine Anfrage des FDP-Abgeordneten Thomas Seerig im Februar hervor.

Weil die 632 Einrichtungen in Berlin nicht genügend freie Kapazitäten haben, werden viele Betroffene in Hostels und Pensionen untergebracht mit einem Tagessatz zwischen 5,25 Euro und 68,20 Euros. Die Bezirke erfassen bisher statistisch nicht, zu welchem Tagessatz eine Person untergebracht wird. Deshalb können differenzierte Angaben nach Bezirken nicht gemacht werden.

Auf der ersten Fachkonferenz gab es Kontakt mit der polnischen Botschaft, die im Juni ankündigte, Sozialarbeiter der Stiftung „Barka“ nach Berlin zu senden, die sich um die etwa 2000 Polen in Berlin ohne festen Wohnsitz kümmern sollen. Breitenbach sagte, ihre Verwaltung wolle mit „Barka“ zusammenarbeiten und warte auf ein Gespräch. „Aber die Spielregeln im Umgang mit wohnungslosen Menschen bestimmen immer noch wir.“

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