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Bundesminister gegen Berliner Aktivisten: Horst Seehofer (CSU).

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Exklusiv

Wohnungskrise in Berlin: Seehofer stemmt sich gegen Enteignungspläne

Bundesbauminister Horst Seehofer hält die Enteignung von Immobilienkonzernen für „unproduktiv“. Und legt sich mit Finanzminister Scholz an.

Hilft die Enteignung von Immobilienkonzernen gegen die Berliner Wohnungsnot? Bundesbauminister Horst Seehofer (CSU) hat dazu eine klare Meinung: auf keinen Fall! „Durch die Vergesellschaftung von Wohnungsbeständen werden keine neue Wohnungen geschaffen“, heißt es in der Antwort seines Ministeriums auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag. Der Anstieg der Mieten in den Ballungsräumen sei vielmehr auf die hohe Nachfrage zurückzuführen, weshalb nur Neubau helfe.

Die Frage der Linksfraktion, ob die Bundesregierung eine Enteignung nach Artikel 15 des Grundgesetzes zumindest juristisch für möglich erachtet, beantwortet Seehofer nicht. „Diese Frage stellt sich der Bundesregierung nicht“, heißt es in der Antwort lapidar – mit Verweis darauf, dass eine Enteignung grundsätzlich „kontraproduktiv“ wäre, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. „Eine solche Maßnahme würde zum einen private Investoren verunsichern und zum anderen den finanziellen Spielraum von Kommunen und kommunalen Wohnungsunternehmen für Neubauvorhaben drastisch reduzieren. Beides würde die erwartete Fortsetzung des positiven Trends bei der Bautätigkeit gefährden.“

Kritik aus der Linksfraktion

Die Linksfraktion wirft Seehofer deshalb vor, sich vor einer Antwort zu drücken. „Die Bundesregierung verschließt die Augen vor einer nun schon bundesweit geführten Debatte über die Vergesellschaftung von Wohnraum in der Hand großer Immobilienkonzerne“, sagte der Linken-Abgeordnete Niema Movassat dem Tagesspiegel. „Nach ihrer Rechtsauffassung gefragt verweigert sie schlichtweg die Antwort. Sie verweigert damit, sich mit einer Frage auseinanderzusetzen, mit der ein Großteil der Bevölkerung bundesweit und insbesondere in Berlin sich beschäftigt und sympathisiert.“

Vor dem Hintergrund exzessiv steigender Mietpreise solle die Bundesregierung aufhören, das „Loblied der Marktwirtschaft zu singen“, sagte Movassat. „Sie muss endlich die Realität zur Kenntnis nehmen und die Miethaie in ihre Schranken weisen.“

Seehofer nimmt seinerseits die Immobilienwirtschaft gegen Kritik in Schutz: Die Wohnungsanbieter hätten „mit einer beachtlichen Steigerung der Bautätigkeit auf die deutlich gestiegene Wohnungsnachfrage reagiert“, heißt es im Schreiben seines Ministeriums. „Die Anzahl genehmigter Wohnungen hat sich seit dem Tiefpunkt im Jahr 2008 verdoppelt.“

Die Berliner Wirtschaft begrüßte die deutlichen Worte der Bundesregierung gegen die Enteignung am Mittwoch. „Die klare Ablehnung der Bundesregierung von Enteignungen ist erfreulich“, sagte Jan Eder, Geschäftsführer der Berliner Industrie- und Handelskammer (IHK), dem Tagesspiegel. „Sie bringt auf den Punkt, dass Enteignungen nicht zur Entspannung des Wohnungsmarktes beitragen, private Investoren abschrecken, die Mieten nicht senken und die Schulden in die Höhe treiben.“ Der Berliner Senat sollte sich Seehofers Position anschließen und auf den Neubau von Wohnungen konzentrieren, forderte Eder. „Und zwar auch dichter, höher und weiter!“

Keine Verschärfung des Baugebots

Der Bauminister distanzierte sich zudem von der Forderung von Finanzminister Olaf Scholz (SPD), mehr Druck auf Inhaber ungenutzter Grundstücke auszuüben. Eine Sprecherin von Seehofer sagte der Düsseldorfer „Rheinischen Post“, es zeichne sich kein „konkreter gesetzlicher Handlungsbedarf“ ab. Scholz hatte kürzlich eine Änderung des sogenannten Baugebots im Baurecht vorgeschlagen, damit es häufiger eingesetzt werden kann. Das Baugebot ist ein Instrument für Gemeinden. Sie können laut Gesetz im Geltungsbereich eines Bebauungsplans den Eigentümer eines leeren Grundstücks verpflichten, die Fläche innerhalb einer angemessenen Frist gemäß Bebauungsplan zu bebauen.

Sieht sich der Eigentümer wirtschaftlich dazu nicht in der Lage, kann er verlangen, dass die Gemeinde das Grundstück übernimmt. Wenn sich ein Eigentümer der Zusammenarbeit verweigert, ist letztlich auch eine Enteignung möglich. Der entsprechende Paragraf 176 kommt jedoch selten zur Anwendung – deswegen sprach Scholz sich für eine Verschärfung aus. Der baupolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, der Berliner Abgeordnete Kai Wegner, wies den Vorschlag des Finanzministers aber wie Seehofer zurück. „Die Einlassung von Scholz ist kein Beitrag zum schnellen Wohnungsbau“, sagte Wegner der „Rheinischen Post“. „Solche Verfahren dauern zehn bis 20 Jahre.“

Kein Rechtsanspruch auf eine Wohnung

Trotz aller Bekenntnisse zum freien Unternehmertum und Eigentümerschutz sieht Seehofer allerdings auch die Politik in der Pflicht. Zur sozialen Marktwirtschaft gehöre „selbstverständlich“ auch der soziale Ausgleich. „Insbesondere muss der Staat mit geeigneten Instrumenten dafür sorgen, dass auch einkommensschwächere und sozial benachteiligte Haushalte angemessen wohnen können“, schreibt Seehofers Ministerium. Als geeignete Instrumente führt es die Förderung von sozialem Wohnungsbau an, die Absicherung einkommensschwacher Haushalte etwa mit Wohngeld – und dem Schutz der Mieter durch das „soziale Wohnraummietrecht“.

Einen konkreten rechtlichen Anspruch auf eine Wohnung kann das Bundesministerium gleichwohl nicht erkennen. „Im Grundgesetz ist kein subjektives Recht auf Verschaffung einer Wohnung verankert. Ein solches Recht ergibt sich auch nicht aus Europa- oder Völkerrecht.“

FDP will Enteignung unmöglich machen

Unterdessen plädiert die Berliner FDP dafür, den Artikel 15 komplett aus dem Grundgesetz zu streichen. Einen entsprechenden Dringlichkeitsantrag für den am kommenden Wochenende in Berlin stattfindenden Bundesparteitag der Liberalen verabschiedeten die 26 Delegierten der Hauptstadt-FDP am Dienstagabend. Der Antrag sieht eine „Gesetzesinitiative zur Abschaffung der Enteignungsgrundlage Artikel 15 Grundgesetz“ vor. Darüber hinaus wird das am 6. April gestartete Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ als „verfassungswidrig“ bezeichnet.

Antragsteller sind der Berliner FDP-Landeschef Christoph Meyer und Sebastian Czaja, Vorsitzender der FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Er erklärte: „Es geht uns darum, mit aller Klarheit ein Zeichen gegen Enteignungen und für den Schutz des Eigentums zu setzen.“ 30 Jahre nach dem Mauerfall müsse „auf solche sozialistischen Experimente komplett verzichtet werden“, sagte Czaja weiter und ergänzte: „Wir unterstreichen damit den Respekt gegenüber dem Eigentum.“ Über die Annahme des Antrags wird am Freitag entschieden. Tritt der Fall ein, beraten und entscheiden die Delegierten am Samstag.

Der Vorsitzende der Bundespartei, Christian Lindner hat sich der Berliner Forderung bereits angeschlossen. „Artikel 15 passt nicht zur sozialen Marktwirtschaft. Er ist ein Verfassungsrelikt und wurde aus gutem Grund nie angewandt“, sagte der Parteivorsitzende Christian Lindner dem Tagesspiegel am Mittwoch.

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