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Zwei neue Gebäude sollten auf der Cornelsenwiese (rechts) gebaut werden.

© Becker & Kries, BRH Generalplaner

Wohnungsbau in Schmargendorf: Cornelsenwiese darf doch nicht bebaut werden

Die BVV in Berlin-Charlottenburg hat abgestimmt: Die Cornelsenwiese wird doch nicht bebaut. Das liegt auch ein bisschen am Eurovision Song Contest.

Die Cornelsenwiese in Schmargendorf darf doch nicht bebaut werden – und das liegt kurioserweise auch ein bisschen am Eurovision Song Contest (ESC) in Tel Aviv. Denn bei der entscheidenden BVV-Abstimmung am Donnerstagabend fehlten zwei Bezirksverordnete der SPD, die als einzige Fraktion neben der FDP für den Wohnungsbau durch das Unternehmen Becker & Kries stimmte. Einer der abwesenden SPD-Politiker war der frühere Baustadtrat Marc Schulte. Er ist der Halbbruder des letztjährigen deutschen ESC-Sängers Michael Schulte, bloggt seit Jahren über den Wettbewerb und ist dafür auch jetzt nach Israel gereist.

Ohne ihn fiel das BVV-Votum denkbar knapp aus. Mit je 18 Ja- und Nein-Stimmen sowie 15 Enthaltungen wurde ein Beschluss abgelehnt, der den Weg für das Bauprojekt geebnet hätte. Das Bezirksamt wäre aufgefordert worden, den Bebauungsplan auf der Basis neuer Kompromissvorschläge „zu überarbeiten und der BVV zeitnah zur Beschlussfassung vorzulegen“. Die Entscheidung dagegen bedeutet, dass das seit einiger Zeit ruhende Bebauungsplanverfahren nicht wieder aufgenommen wird.

Seit Jahren kämpfen Mieter für die Rettung des Grüns

Auf der Publikumstribüne des BVV-Saals jubelten Mieter, die neben der Cornelsenwiese wohnen und seit Jahren für die Rettung des Grüns kämpfen. Womöglich vergeht ihnen allerdings noch die Freude. Denn im Gespräch mit dem Tagesspiegel kündigte der Geschäftsführer der Becker & Kries Familienstiftung, Matthias Klussmann, eine Modernisierung der Bestandsbauten und damit verbundene Mieterhöhungen um 3 Euro pro Quadratmeter an. Man investiere regelmäßig in den Immobilienbestand und habe dies in Schmargendorf nur auf Wunsch des Bezirksamts zurückgestellt. Der Vorschlag, das Geld lieber für Neubauten zu verwenden, um die Altmieter vor Kostensteigerungen zu schützen, stammte laut Klussmann von Ex-Baustadtrat Schulte.

Zwei Bezirksverordnete der SPD konnten nicht an der Abstimmung teilnehmen - einer von ihnen besucht den ESC in Tel Aviv.
Zwei Bezirksverordnete der SPD konnten nicht an der Abstimmung teilnehmen - einer von ihnen besucht den ESC in Tel Aviv.

© AFP

Becker & Kries will auch Schadensersatz verlangen. Der Bezirk soll 1,4 Millionen Euro erstatten, die für die bisherige Planung ausgegeben worden seien. Das Unternehmen beruft sich auf einen „Vertrauensschutz“. Bereits seit dem Start des Bebauungsplanverfahrens, dem die BVV vor Jahren zugestimmt hatte, sei eine Verwirklichung des Projekts zu erwarten gewesen. Später habe das Stadtplanungsamt unter dem damaligen Leiter Rainer Latour zudem mitgeteilt, das Projekt sei nicht vom erfolgreichen Bürgerbegehren aus dem Jahr 2016 betroffen, in dem es um die Erhaltung der Grünflächen im Bezirk ging.

Grüne, AfD und zwei Linke dagegen

Noch im vorigen April hatte der bezirkliche Stadtentwicklungsausschuss für die Beschlussempfehlung gestimmt, die nun durchgefallen ist. In der BVV votierten die Grünen, die AfD und zwei der vier Mitglieder der Linksfraktion dagegen. Die anderen beiden Vertreter der Linken enthielten sich, ebenso wie die CDU-Fraktion. Das uneinheitliche Verhalten der Linksfraktion begründete deren Vorsitzender Niklas Schenker gegenüber dem Tagesspiegel mit dem lobenswerten Entgegenkommen des Investors.

Unter anderem hatte Becker & Kries zuletzt versprochen, 33 der geplanten 100 Wohnungen als Sozialwohnungen zu errichten und Ersatzgrün an anderer Stelle zu schaffen. Schenker hätte es bei einer Fortsetzung des Planungsverfahrens für möglich gehalten, den Anteil der mietpreisgebundenen Wohnungen auf 50 zu steigern.

Die CDU enthielt sich nicht zuletzt wegen der möglichen Schadensersatzforderungen der Stimme. Die AfD-Fraktion begründete ihre Ablehnung insbesondere damit, dass Becker & Kries weiterhin „zwei Drittel“ seines Projekts realisieren könne. Tatsächlich hatte das Unternehmen selbst vor einiger Zeit vorgerechnet, dass der Platz auf der Wiese nur für etwa 30 Wohnungen reichen würde. Die übrigen 70 sollten in der Umgebung entstehen. Nun gibt Becker & Kries auch dieses Vorhaben auf. Ohne Häuser auf der Wiese sei das ganze Projekt „unrentabel“, sagt Stiftungschef Klussmann. Man habe nämlich auch eine Tiefgarage geplant. Deren hohe Kosten amortisierten sich erst ab einer gewissen Größe.

Neubauten seien als temporäre Ersatzwohnungen gedacht

Für die SPD warb Bürgermeister Reinhard Naumann vergeblich um eine Mehrheit. Es gehe um eine „Interessenabwägung“. Neuer Wohnraum werde dringend benötigt. Außerdem seien die Neubauten als temporäre Ersatzwohnungen für Mieter der nahen Autobahnüberbauung an der Schlangenbader Straße gedacht –weil die landeseigene Wohnungsgesellschaft Degewo das als „Schlange“ bekannte Bauwerk bald sanieren müsse.

Eigentlich gehört die Cornelsenwiese übrigens Becker & Kries. Trotzdem kann das Unternehmen nicht frei darüber verfügen. Dies liegt an einem Überlassungsvertrag aus den 1960er Jahren. Jene „Grunddienstbarkeit“ ermöglichte es dem Land Berlin, die Wiese als öffentliche Grünanlage auszuweisen. Für eine Bebauung hätte der Vertrag aufgehoben werden müssen.

Dieser Text stammt aus dem am Donnerstag veröffentlichten Leute-Newsletter aus Charlottenburg-Wilmersdorf. Diesen, sowie die Newsletter aus allen anderen Berliner Bezirken, können Sie hier abonnieren: https://leute.tagesspiegel.de/

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