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Pedro Costa schlägt vor, „das halbe Feld zu bebauen und die andere Hälfte als Park zu bereichern.“

© Pedro Costa / Studienarbeit

Wofür die Berliner Freifläche nutzen?: Amsterdamer Studierende entwerfen Pläne für das Tempelhofer Feld

Unbebaute Flächen locken Stadtplaner wie Martin Aarts - mit seinen Studierenden besucht er das Berliner Streitobjekt. Deren Ideen: Wasser, Wald und Wohnungen.

Wenn der steigende Meeresspiegel künftig droht, die niederländische Hauptstadt zu ertränken, böte das Tempelhofer Feld mit seinen 300 Hektar genügend Platz, um immerhin die halbe Amsterdamer Innenstadt zu bergen.

Aber wofür die ganze Fläche bis dahin nutzen: Freiraum oder Wohnraum? Vergangenes Jahr hat der Stadtplaner Martin Aarts mit seinen Master-Studierenden von der Akademie Amsterdam das Tempelhofer Feld untersucht, unbefangen sollten sie Ideen entwickeln. Ihre Schlussfolgerung: „Man muss hier was machen.“

Die Gruppe fuhr nach Berlin („eine supertolle Stadt“ findet Aarts), um das Feld zu besichtigen. Aber schon nach den ersten 500 Metern beschlich sie das Gefühl: Wir haben alles gesehen. „Die meisten Menschen waren nur auf einem Hundertstel der Fläche“, berichtet Aarts. Daraus schließt er: „Man braucht nicht das ganze Feld, sondern kann einen Teil davon nutzen, um den Berliner Wohnungsmarkt zu entspannen.

2014 war ich begeistert, dass man hier nichts macht“, sagt der Stadtplaner. Lustig sei das gewesen, irgendwie berlinerisch. „Aber diesen Zustand hat man nun lange genug genossen.“ Jetzt sei es Zeit, die Fläche zu nutzen. „Auf dem Feld kann man zwar Sachen machen, die in der Stadt sonst keinen Platz haben.“ Aber das wolle man ja gar nicht wegnehmen.

Bisher gebe es vor allem negative Vorstellungen von einer Bebauung. Stattdessen brauche es Utopien. „Auf dem Tempelhofer Feld ist Platz für Natur, Freizeit und Wohnen. Nicht nur für eines, sondern für alles zusammen. Ein lebendiges Miteinander.“ Das wollen die Studierenden mit ihren Entwürfen zeigen.

Die Bandbreite der Entwürfe reicht von großzügiger Bebauung mit bis zu 60.000 Wohnungen bis hin zu einer Bewaldung. Derartige Pläne verhindert derzeit das „Gesetz für den Erhalt des Tempelhofer Feldes“, Resultat des Volksentscheids von 2014. Es betont, wie wichtig das offene Feld für das Stadtklima ist. Das Feld beatmet die enge Stadt ringsum. Was einer der Studierenden „terrain vague“ nennt, also „unbestimmte Fläche“, sieht das Gesetz als „schützenswerten Lebensraum“.

Denn Bebauung – aber auch Bewaldung, wie etwa von der CDU vorgeschlagen – würden die seltene Offenlandschaft mit ihren besonderen Tier- und Pflanzenarten zerstören. So steht es im Gesetz und so sieht es auch Mareike Witt von der Initiative „100 Prozent Tempelhofer Feld“. Sie sagt aber auch: „Das Thema Wasser und Bäume auf dem Feld muss schneller umgesetzt werden.“ Man könne etwa ehemalige Wasserflächen renaturieren.

Jede Woche ein neues Projekt

Witt ist fasziniert, wie viele Menschen sich von dem Feld inspiriert fühlen. Jede Woche komme eine Anfrage zu einer Studienarbeit, viele seien großartig. „Aber Entwürfe, die nur am fernen Schreibtisch entstehen und die seit Jahren stattfindende Entwicklung mit Bürgerbeteiligung ignorieren, sind rückwärtsgewandt. So sieht keine zukunftsfähige Stadtplanung aus.“ Das Tempelhofer Feld bekomme weltweit Aufmerksamkeit. „Es waren sogar schon drei Delegationen aus Korea hier.“

64 Prozent der Berlinerinnen und Berliner stimmten 2014 gegen eine Bebauung des Tempelhofer Feldes, in einer Tagesspiegel-Umfrage aus dem Januar 2020 hat sich das Stimmungsbild umgekehrt: 63 Prozent stimmten für eine Randbebauung. Mareike Witt beunruhigen die Umfragewerte nicht: „So waren die Zahlen auch vor dem Volksentscheid 2014.“

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Falls das Feld irgendwann bebaut werden darf, müsse das neue Viertel laut Martin Aarts ein Kiez sein, von dem man denkt: „War das hier nicht eh schon immer so?“ Um das zu erreichen, dürfe man ein Bauvorhaben nicht auf Einmal umsetzen. „Es ist gefährlich, wenn ein gesamter Masterplan gleichzeitig zu Architektur wird. Dann sieht alles ähnlich aus, wie man es von anderen großen Neubauprojekten kennt.“

Aktuell plant die FDP einen neuen Volksentscheid. Die Corona-Pandemie hat die für dessen Vorbereitung nötige Unterschriftensammlung allerdings unterbrochen. Auch CDU und SPD sind offen für eine Randbebauung, falls ein weiterer Volksentscheid dafür stimmt. Linke und Grüne lehnen jede Bebauung auf dem Tempelhofer Feld ab.

Wie sehr die Berlinerinnen und Berliner die Freiheit des Tempelhofer Feldes schätzen, wurde an den ersten frühlingshaften Tagen des Jahres deutlich, als trotz – oder gerade wegen – der Pandemie die Menschenmassen aus der umliegenden Stadt auf das Feld strömten. Auf einem zusammengewerkelten Hochbeet des Allmende-Kontors stand mit Kreide geschrieben: „2014 haben wir das Feld gerettet. 2020 hat es uns gerettet.“

Marian Schuth

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