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Bootsführerschein? Bis zu einer Motorleistung von 15 PS nicht nötig.

© promo

Wochenende auf einer schwimmenden Ferienwohnung: Mit dem Hausboot durch Brandenburgs Gewässer

Jetzt fahr’n wir über’n See: Auf „Finchen“ lässt sich entspannt das Berliner Umland neu entdecken. Eine Tour mit Überraschungen.

Der Schleusenwärter macht sich bei unserem Anblick aufs Schlimmste gefasst. Aber das liegt nicht an uns, sondern an Finchen. So heißt das Schiff, das wir vor einer Stunde in Zeuthen übernommen haben: 11,50 Meter lang, 3,90 breit, an Bord 1250 Liter Frischwasser und 625 Liter Diesel.

Genug für ein beidseitig verlängertes Wochenende in Brandenburg. Nur müssen wir dazu durch die Schleuse Neue Mühle, die das Tor zum Dahme-Seengebiet bildet. Und dieses Tor sei für Finchens Vormieter zu eng gewesen, berichtet der Schleusenwärter: Kopflos seien die Leute gegen sein Inventar gepoltert, mit dem Anker gegen die Wand und dann noch gegen das Schleusentor, herrje.

Das überrascht, da Finchen zur Minderheit der führerscheinpflichtigen Boote gehört. Die Mehrheit derer, die im Sommer auf den Brandenburger Gewässern tuckern, hat höchstens 15 PS und darf nach Einweisung von jedem gefahren werden. In Finchens Bauch rumoren 62 PS, und mit ihrem stählernen Rumpf wiegt sie gut 13 Tonnen. Das kann schon mal weh ... – hallo, was war denn das gerade?! Eine Ratte flitzt über den tiptop gemähten Rasen und huscht übers soeben geschlossene Schleusentor ans andere Ufer. „Dit is unser Haustier“, bestätigt der Schleusenwärter.

[Wozu in die Ferne schweifen, wenn Berlin und die Umgebung so viel zu bieten haben? Lesen Sie hier alle Beiträge, Ausflugstipps und Reportagen aus unserer Sommerserie „Urlaub ganz nah“.]

Es wird nicht unser einziger Blick auf die Tierwelt bleiben. Wie Perlen reihen sich die Seen entlang der Dahme auf, die die verbindende Schnur bildet. An ihren breiteren Stellen ist sie mit Seerosen dekoriert, und die Erlenbruchwälder an ihren Ufern lassen sie dschungelhaft wirken, obwohl sich oft nur ein paar hundert Meter dahinter die wohlbekannte Wald- und Wiesen-Mark ausbreitet.

Hin und wieder grüßt ein Gartenzwerg

Wo kein Wald ist, säumen Grundstücke die Ufer, zu denen man nicht Nein sagen würde. Es ist für jeden Geschmack was dabei: von der pompösen Villa bis zur schiefen Aussteiger-Laube, von frisierten Koniferen im Kiesbett bis zu urwüchsigem Gesträuch. Pavillons an geschwungenen Gartenwegen wechseln mit spartanische Tisch-Stuhl-Kombinationen auf den Stegen. Hin und wieder grüßt ein Gartenzwerg, öfter auch ein echter Mensch. Man ist, zumindest im Sommer, nie wirklich allein, aber immer auf Abstand.

Dieser Effekt verstärkt sich noch, wenn am Abend der gemütliche Teil des Bordlebens in den noch gemütlicheren übergeht. Der mit einer Vogelinsel arrangierte, fast unbebaute Dolgensee ist als Platz für die Nacht erkoren. Also das Steuerrad mit Schwung nach Backbord gedreht und halbe Kraft voraus in Richtung Schilf.

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Das Wasser ist leicht olivgrün, aber nicht unappetitlich. Was dem Auge verborgen bleibt, verrät das Echolot: Wassertiefe unterm Kiel 0,3 Meter. Ups, Gas weg! Sachte gleitet Finchen übers glatte Wasser, über dessen dritte Dimension man sonst selten nachdenkt. 0,2, 0,1, 0,3, 0,4, 0,6, 0,7 Meter. Also alles wieder im Lot, und selbst eine ganz sachte Grundberührung hätte Finchen wohl verkraftet.

Platz an der Sonne

Schließlich sind die märkischen Gewässer keine Fjorde im Granit, sondern geologisch gesehen die Deponie der Biomasse, die Wind und Wetter seit der Eiszeit hineinbefördert haben. Die Echolotmessung wird nicht nur am Hauptsteuerstand im Salon angezeigt, sondern auch an dem zweiten auf dem Sonnendeck.

Es ist ein Platz an der Sonne mit allem, was ein Freizeitkapitän braucht: Steuer, Gashebel (als Bremse dient der Rückwärtsgang), die Rechts-Links-Tasten fürs Bugstrahlruder (für spontane Nasenkorrekturen beim Rangieren), eine Tafel mit den wichtigsten Verkehrszeichen sowie einen Knopf für die Hupe, die eher nach Schlauchboot klingt als nach Aida. Egal; der Anker, der an seiner Stahltrosse ins Wasser rattert, scheppert in Anbetracht dieses Abends schon unanständig laut.

War für ein Wochenende Kapitän der "Finchen": Tagesspiegel-Redakteur Stefan Jacobs.
War für ein Wochenende Kapitän der "Finchen": Tagesspiegel-Redakteur Stefan Jacobs.

© privat

Geräuschlos hat sich indessen ein Schwan genähert auf der Suche nach einer leichten Mahlzeit. Ein paar Enten folgen ihm, während etwas abseits verständnislos Graugänse schnattern. Aus dem Dschungel schallen ferne Kranichrufe, sonst ist es völlig still.

Zwei Schlafzimmer, ein Salon, zwei Bäder und eine Kochnische

Bei Sommerwetter erweist sich die Plattform am Heck als krönender Abschluss des Schiffs: Man kann wahlweise direkt vom Trittblech in Wasser springen oder die Leiter nehmen und sich daran erfreuen, dass man selbst in der Hochsaison sein eigenes Fleckchen See für sich allein hat. Und wenn man fröstelnd aus dem Wasser kommt, lässt man sich vom motorgewärmten Wasser der Außendusche berauschen.

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Auf elfeinhalb Metern haben nicht nur zwei Schlafzimmer, der Salon und zwei Bäder Platz, sondern auch eine Kochnische, in der sich dank vierflammigem Gasherd samt Backofen, kompletten Kochuntensilien und richtigem Kühlschrank auch ambitioniertere Gerichte zaubern lassen als nur Stulle mit Brot. Wobei auf dem Sonnendeck nach dem Baden alles schmeckt.

Während die Abendsonne das Leben rosa färbt, begegnen überm Schilf die letzten Schwalben den ersten Fledermäusen. Ein junger Haubentaucher ordert piepsend Fisch bei seinen Eltern, auf dem vielleicht 100 Meter entfernten Nachbarboot glimmt ein Grill. Als alle Vögel ihre Schlafplätze eingenommen und alle Wellen sich geglättet haben, beginnt die Sternenshow. Zeit zu schlafen – oder lieber noch wach zu bleiben, weil es nicht mehr schöner werden kann?

Schleusen müssen kein Stress sein

Wer so denkt, hat die Rechnung ohne den nächsten Morgen gemacht. Alle Vögel sind schon wach, als die ersten Sonnenstrahlen den Nebelhauch überm Wasser auflösen. Zeit fürs Frühstück mit vierseitigem Seeblick. Und dann auf zu neuen Ufern. Durch einen kurzen Kanal tuckern wir nach Prieros, wo eine Entscheidung fällig ist: Links geht’s in Richtung Storkow und Scharmützelsee, geradeaus die Dahme weiter südwärts nach Märkisch Buchholz und rechts via Groß Köris zum Teupitzer See.

Wir probieren von allem ein bisschen und wenden einfach vor der jeweils nächsten Schleuse. Nicht aus Feigheit, sondern einfach, weil es Spaß macht, sich mal hier und mal da umzuschauen. Schleusen müssen kein Stress sein. Man muss nur die Mannschaft instruieren, das Schiff niemals fest zu vertäuen, damit es beim Abwärtsschleusen nicht plötzlich in der Luft hängt. Und sich selbst muss man klarmachen, dass ein Schiff kein Go-Kart ist.

Wie am Meer. Erholung ganz nah.
Wie am Meer. Erholung ganz nah.

© Kitty Kleist-Heinrich

In den Kanälen gilt ohnehin meist Tempo 8, damit Seerosen und Paddelboote nicht verquirlt werden. Der Kanal Richtung Scharmützelsee ist besonders lang und kurvenreich. Irgendwann hat man sich daran gewöhnt, wie weit das Heck ausschwenkt und dass doppelte Schrittgeschwindigkeit das angemessene Tempo ist. Für Übermut ist Finchen nicht gebaut und außerdem zu viel los auf dem Wasser.

Bald beginnt es zu schütten

Das gilt übrigens fürs gesamte Berliner Umland, das gewässertechnisch im Süden bis an den Spreewald heranreicht und im Norden bis an die Mecklenburger Kleinseenplatte. Nach Osten und Westen hin steht via Oder und Havel ohnehin die Welt offen, aber hier haben wir es ja auch schön. Das gilt insbesondere für den großen und fast runden Wolziger See, dessen Wasser ein bisschen klarer ist als das der Nachbarn.

Kaum haben wir für eine lange Mittagspause fernab aller Bebauung geankert, bekommt die Blumenkohlwolke über uns einen dicken Bauch. Zur Kaffeezeit (wir sind immer noch hier) ist sie grau und beginnt zu rumpeln. Nach einer spontanen Handyrecherche zum Thema „Faradayscher Käfig“ tuckern wir doch lieber näher ans bewaldete Ufer.

Bald beginnt es zu schütten. Dank Windstille und abgekühlter Luft verwandelt sich die Landschaft in eine Dampfsauna, in der wir vergnügt herumschwimmen, während neben unseren Ohren Millionen dicker Tropfen ins warme Seewasser klimpern wie Glasperlen. Es ist eines dieser Erlebnisse, an die man sich nach Jahren noch erinnern wird. Das Regenwaldgefühl bleibt bis zum Abend, den Petrus mit einem doppelten Regenbogen zelebriert.

Eine Runde um die Müggelberge

Ein Standard-Wochenende wäre nun vorbei, aber unseres dauert noch einen Tag. Der genügt nicht nur, um flussabwärts zurück Richtung Berlin zu brummeln, sondern ist auch lang genug für eine Runde um die Müggelberge. Die Tour gehört zu den Klassikern der Ausflugsschifffahrt, was angesichts des Panoramas am Großen Müggelsee verständlich ist: Auf einer Seite das grandiose Backsteinensemble von Berlins größtem Wasserwerk, auf der anderen Seite die bewaldeten Müggelberge.

Um die Köpenicker Altstadt herum geht's dann zurück in die Dahme, die hier in die Spree mündet, und dann geradewegs zurück nach Schmöckwitz, wo sich drei Seen treffen und die Halbinsel Rauchfangswerder beginnt, die so weit südwärts reicht, dass sie in Berliner Stadtplänen immer abgeschnitten und als Ausschnitt in irgendwelche belanglosen Gefilde nordöstlich der Hauptstadt eingefügt wird.

Die nächste Gewitterwolke

Gerade als wir nach einem Abschiedsbad vor dieser Halbinsel wieder den Hafen von Zeuthen erreichen, naht die nächste Gewitterwolke. Fast in Sturmstärke pfeift der Wind längs über den seenartig verbreiterten Fluss – exakt quer zu unserer schon bei Windstille arg schmalen Parklücke zwischen metallenen Begrenzungspfosten und anderen Schiffen.

Ein erster Einparkversuch endet zwei Grundstücke weiter südlich, ein zweiter wird angesichts des vom Steg winkenden Vermietungsmenschen abgebrochen. Mit einem großen Satz springt der Mann an Bord und rangiert Finchen in wildem Wechsel aus Vollgas vorwärts, rückwärts und dem immer etwas angestrengt klingenden Bugstrahlruder in die Lücke. Wir müssen nur noch aussteigen. Und uns an den ungewohnt festen Boden gewöhnen.

Die Tour wurde unterstützt von der Firma Kuhnle Tours, Informationen zu Hausbootvermietern gibt es auf der Homepage von Tourismus-Marketing Brandenburg. Die Preise reichen je nach Bootstyp und Saison von 59 bis 680 Euro pro Tag.

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