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Die Gleise führen durch den Wald ins Gewerbegebiet hinein

© Kitty Kleist-Heinrich

Wo Tesla bauen will: Grünheide auf dem Weg in die Zukunft

Stasi, Wende, E-Mobilität: Grünheide ist geschichtsträchtig. Und vielleicht genau deshalb richtig für Tesla. Aber es gibt auch Probleme. Ein Ortsbesuch.

Viele Wege führen in die Zukunft. Über die Autobahn, den östlichen Berliner Ring. Über Brandenburger Alleen, durch kleine Straßendörfer, vorbei an Feldern und Flüssen. Oder mit der Bahn über die Regionalexpresslinie 1. 

Die Wege in die Zukunft haben eines gemeinsam: Sie alle enden an einem Waldstück am Güterverkehrszentrum Freienbrink, Ortsteil der Gemeinde Grünheide, eine knappe halbe Stunde südöstlich von Berlin. Hier ist viel Holz, hier sind wenig Menschen. Noch.  

Ein Industriegebiet. Sattelschlepper machen sich schwerfällig mit ihrer Ware auf den Weg zur Autobahn. Die ist gleich nebenan. Gleise für den Güterverkehr führen vom Industriegebiet durch den Wald auf die Hauptstrecke der Bahn nach Berlin. 

Hier, in diesem Brandenburger Waldstück, 300 Hektar groß, sollen ab 2021 zig tausende Elektroautos vom Band rollen und Batterien hergestellt werden, sollen etwa 7000 Leute Arbeit finden – und vielleicht auch irgendwo wohnen.

Es ist der Ort, an dem Elon Musk, der Gründer des E-Auto-Fabrikanten Tesla seine sogenannte vierte Giga-Fabrik bauen will. 

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Grünheide hat knapp 9000 Einwohner, Tendenz steigend in den vergangenen Jahren. Wegen des Zuzugs aus Berlin. Der Speckgürtel wächst. Es wurde viel gebaut, bezahlbare Wohnungen sind trotzdem knapp. 

Der Ort ist umgeben von Seen und den typischen Brandenburger Kieferwäldern. Dass die große Industrie und mit Elon Musk auch so etwas wie Glamour in die kleine Gemeinde kommt – das müssen auch die Grünheider erstmal verdauen. 

Gegen mehrere Standorte in Deutschland setzte sich Brandenburg durch. „Ich habe das auch erst aus den Medien erfahren, ist schon komisch, wenn man Grünheide jetzt in allen überregionalen Medien liest“, sagt Pamela Eichmann. Sie ist Vorsitzende der Gemeindevertretung und SPD-Mitglied. „Es ist natürlich total positiv, dass wenn wir jetzt 7000 neue Arbeitsplätze kriegen.“ 

Gleise für den Güterverkehr führen durch das Waldgebiet, in dem Tesla bauen will
Gleise für den Güterverkehr führen durch das Waldgebiet, in dem Tesla bauen will

© Kitty Kleist-Heinrich

Und das mit den Bäumen, mit den Kiefern, ein ganzes Waldgebiet abholzen? „Das müssen wir erstmal abwarten, zurzeit kenne ich die Pläne noch nicht.“ 300 Hektar Wald sind in den Plänen der Gemeinde entlang der Autobahn als Industrieflächen ausgewiesen.

Der Regionalexpress hält hier nur einmal pro Stunde

Eichmann sieht vor allem ein Problem mit der Infrastruktur. „Das muss sich verbessern, zurzeit hält der Regio hier nur jede Stunde“, sagt sie. Der Regio - das ist der Regionalexpress 1, die wichtigste Pendlerstreckte überhaupt zwischen Frankfurt (Oder) im Osten, Berlin in der Mitte und Brandenburg/Havel im Westen des Landes. Auf keiner anderen Strecke fahren mehr Menschen im Land.

Aber der Takt des RE1 ist am Bahnhof Fangschleuse, der zu Grünheide gehört, nicht die einzige Baustelle. Nichts deutet darauf hin, dass hier demnächst eine milliardenschwere Gigafabrik entstehen soll. Das Bahnhofsgebäude ist verfallen, das angrenzende Restaurant ist am Nachmittag geschlossen. 

Eine Frau fährt mit ihrem Kind auf dem Fahrrad Richtung Ortskern in die Dunkelheit. Auf dem Bahnsteig steht eine Frau, sie kommt aus Berlin und war zum Wandern in der Gegend. Bei Ausflüglern ist die Region beliebt. Denn gleich hinter Grünheide erstreckt sich nach Osten hin das Naturschutzgebiet Löcknitztal.

Jetzt will die Frau zurück in die Stadt. „Der nächste Zug kommt in 45 Minuten, dann kommen die ganzen Pendler“, sagt sie. Tatsächlich sind die Parkplätze rund um den Bahnhof voll. Sollten hier demnächst 7000 Tesla-Beschäftigte ankommen, dürfte es eng werden. 

Bahnübergang am Bahnhof Fangschleuse
Bahnübergang am Bahnhof Fangschleuse

© Kitty Kleist-Heinrich

Durch den Wald geht es weiter in die Kerngemeinde, die liegt wenige Kilometer nördlich vom Güterverkehrszentrum Freienbrink, eine Autobahnabfahrt weiter. Auch auf dem Marktplatz von Grünheide ist vom Tesla-Glamour bisher noch nichts zu spüren. 

Im Rathaus brennt noch in wenigen Räumen Licht, der Supermarkt hat noch geöffnet, ältere Leute sitzen auf Bänken und unterhalten sich. Ein Asia-Bistro, ein Blumenladen, eine Sparkasse, ein Hähnchen-Grill – wenn man sich den Marktplatz eines kleinen brandenburgischen Dorfes ausdenken würde, er sähe wohl so ähnlich aus. 

Johann Palarus wohnt seit sechs Jahren in der Gegend, hat in Berlin bei der BVG gearbeitet. Er ist nach Grünheide gezogen, weil er keinen Stress mehr haben wollte. 

Er steht vor dem Café am Marktplatz und raucht. „Es ist schön hier, aber noch eine Fabrik und noch mehr Verkehr, ich weiß nicht. Als letztens die Autobahnbrücke bei Rüdersdorf gesperrt war, sind die Lastwagen hier alle durchgedonnert.“ 

Dass das Tesla-Werk hier hinkommen soll, gefällt ihm nicht. Arbeitsplätze seien gut, aber das werde auch die Landschaft verschandelt – weil für Tesla abgeholzt werden muss. „Wenn Sie sich hier die Seen angucken, da sind im Sommer sowieso schon mehr Boote als Fische drin.“ 

Sollte das Werk tatsächlich kommen, müsse sich noch einiges tun. Palarus wohnt etwa einen Kilometer weit weg – und hat oft kein Internet. „Wenn sich das ändert, wäre das natürlich positiv.“

Die Gigafactory wird die ganze Region verändern

Der Verkehr, viele Leute, die dazukommen, große Veränderungen – darauf müssen sich die Grünheider künftig einstellen. Wo sich Industrie ansiedelt, verändern sich Regionen. Das wissen die Anwohner.  

Petra Gerhardt kommt gerade vom Einkaufen, sie lebt seit 42 Jahren in Grünheide. „Und als ich hier eingezogen bin, war es auch noch ganz ruhig.“ Dass sich das in den nächsten Jahren ändern wird, findet sie in Ordnung – aber sie ist noch skeptisch. „Es werden Arbeitsplätze geschaffen, das ist ok.“ 

Feierabendstimmung auf dem Marktplatz in Grünheide
Feierabendstimmung auf dem Marktplatz in Grünheide

© Kitty Kleist-Heinrich

Dass aber nicht so ganz klar ist, wie dieses Großprojekt geregelt wird, beschäftigt Petra Gerhardt. „Mich würde interessieren, wie das dann künftig mit dem Verkehr geregelt wird, es werden ein Haufen Leute herkommen, die dann hier arbeiten – und die müssen ja auch irgendwo wohnen.“ Sie wohnt direkt am Ortseingangsschild – „und der Verkehr ist jetzt schon wie auf der Autobahn, ich finde es fürchterlich“. 

Zu DDR-Zeiten stand hier das Zentrallager der Stasi

Tatsächlich sind im Gewerbegebiet in Freienbrink Logistikunternehmen ansässig, es ist gut angebunden. Man kommt direkt auf die A 10, den östlichen Berliner Ring. Zu DDR-Zeiten stand hier das Zentrallager des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). 

Westpakete wurden hier im großen Stil kontrolliert, abgefangen und konfiszierte Westware unter den hohen Offizieren von Stasi-Chef Erich Mielke verhökert. Es war eine staatlich angeordnete Plünderei, ein fortwährender Postraub.

Und nicht nur das: Hier lagerte die Stasi auch, was Republikflüchtlinge oder politische Häftlinge zurücklassen mussten. Der „Spiegel“ nannte das Lager im Februar 1990 auch Mielkes Räuberhöhle. Es war militärisches Sperrgebiet mit Wachtürmen, Stacheldraht und Soldaten des Stasi-Wachregiments Feliks Dzierzynski.

Überhaupt Grünheide, die Stasi und die friedliche Revolution vor dreißig Jahren. In der Gemeinde wohnte Robert Havemann, der Dissident stand ab 1976 unter Hausarrest, weil er gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann protestierte. Rund um die Uhr hatten Stasi-Mitarbeiter Havemann im Blick. Mehrere konspirative Wohnungen und Posten hatte die Stasi in dem Ort.

Robert Havemann in seinem Haus in Grünheide bei Erkner.
Robert Havemann in seinem Haus in Grünheide bei Erkner.

© ullstein bild

In Grünheide entstand der „Aufruf '89“ zur Gründung des Neuen Forums

Von Grünheide aus wurde auch die Wende eingeleitet. Hier trafen sich im September 1989 Oppositionelle, darunter die Bürgerrechtler Bärbel Bohley und Jens Reich. Sie verfassten hier den "Aufruf 89", der Gründungsaufruf des Neuen Forums gab dem Zorn vieler DDR-Bürger Worte, die Zahl der Unterstützer stieg rasant. Das Ende der DDR nahm seinen Anfang. 

Jetzt soll von Grünheide aus wieder eine Revolution ausgehen, die Mobilitätswende, mit Geld von Tesla-Gründer Elon Musk. Und mit Hilfe der Politik. 

Ständig fahren Lastwagen und Sattelschlepper vorbei an dem noch unberührten Waldstück, auf dem die Tesla-Fabrik in den nächsten Jahren gebaut werden soll. Große Supermarktketten haben hier Lagerhallen, es gibt eine Tankstelle. Eine knappe halbe Stunde braucht man zum Flughafen – der ja dem Vernehmen nach im Herbst 2020 eröffnen soll. 

Es ist nicht nur der Verkehr, der Petra Gerhardt stört – sondern auch, dass die Bürger nicht informiert wurden. „Die Grünheider werden eigentlich vor vollendete Tatsachen gestellt. Die Bürger sollten doch eigentlich Mitspracherecht haben.“ Ein Info-Tag in der Gemeinde, das wäre was gewesen. „Wald abholzen, Fabrik bauen, Häuser bauen – ich möchte wissen, wie das funktionieren soll.“

Die Staaten Nevada und New York, Shanghai – und jetzt Grünheide

Es muss aber funktionieren, der kleine Ort steht jetzt in einer Reihe mit namhaften Standorten, an denen Elon Musk seine Giga-Fabriken hat bauen lassen. Reno in Nevada, Buffalo im US-Staat New York, Shanghai, Grünheide – daran muss sich die Gemeinde nun messen lassen.

Pamela Eichmann macht das keine Sorgen. „Das ist hier so eine tolle Gemeinde zum Leben, wir haben so viele schöne Wälder und Seen – und Brandenburg ist sowieso ein sehr guter Standort für E-Mobilität."

Auch BMW wollte hier bauen – doch ging dann nach Sachsen

Die Begeisterung bei den Verantwortlichen ist jedenfalls groß, Tesla wird als große Chance für die Region gesehen. „Das ist eine hervorragende Nachricht für unser Land“, sagte Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke(SPD). 

„Ein vorgezogenes Weihnachtsfest“ nannte Christian Amsinck, Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg (UVB), die Entscheidung Teslas, in Grünheide zu bauen. 

Und erstmal muss es ja losgehen. Schon 2000 wollte BMW hier ein neues Werk bauen. Seither gilt für dieses Waldgebiet Planungsrecht, damals erließ die Gemeinde binnen kürzester Zeit einen Bebauungsplan, eine Umweltverträglichkeitsstudie musste vorlegt werden. Als im Juni 2000 alles fertig war, sagte BMW ab und entschied sich für Sachsen.

Dass es diesmal anders wird, daran glaubt zumindest Pamela Eichmann. „Wenn das Land Brandenburg dazu eine Pressekonferenz gibt, wird das wohl stimmen.“ Es macht sich auf den Weg in die Zukunft.

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