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Berlin: Wo, bitte, ist der Osten?

Was Touristen an Berlin besonders mögen und Stadtführer über ihre Gäste erzählen

Auf der Hitliste der Sehenswürdigkeiten ganz oben, das wissen die professionellen Stadtführer, steht nach wie vor die Mauer, gefolgt von der Reichstagskuppel, den Hackeschen Höfen, dem einstigen Führerbunker, der Oberbaumbrücke, dem Potsdamer Platz und der Museumsinsel. Die wichtigste Trumpfkarte der Berlin-Erklärer im Spiel mit den wissbegierigen Gästen ist die stete Veränderung der Stadt, ihr dauerndes Werden und nie Fertigsein.

Die Damen und Herren, die sich am vergangenen Wochenende mit Kollegen aus anderen Bundesländern zum Jubiläumskongress des Gästeführer-Bundesverbandes in Berlin trafen, sind die wandelnden Visitenkarten der Hauptstadt. Und sie waren wohl nie begehrter als 2004, im Jahr der bislang größten touristischen Nachfrage: „1,6 Millionen Berlin-Besucher haben bisher Führungen durch unsere 300 Mitglieder bekommen“, sagt der Vorsitzende des Verbandes der Berliner Stadtführer „Berlin Guide“, Wolther von Kieseritzky.

Stadtführer sind Aufklärer, manchmal kommen unvergessliche Fragen. Beispiel: Zwei Stunden lang erklärt ein Führer amerikanischen Touristen die Historie der Stadt. Am Ende fragt einer: Und warum haben die Berliner den Reichstag so nahe an die Mauer gebaut? Oder: Im tiefsten Prenzlauer Berg meldet sich bei einer Bustour ein Mann. Er sagt: „Sind wir denn schon im Osten? Das sieht ja gar nicht so aus.“ „Klar, nach der Wende ist viel Neues entstanden“, meint der Stadtführer. „Wir haben ja auch genug Geld ’rübergeschoben“, sagt da der Mann aus Westfalen.

Viele Gäste haben sich Berlin „nicht so groß und nicht so grün“ vorgestellt. Alles sei, sagen sie, „viel hauptstadtwürdiger als damals in Bonn“. Manche sind verwirrt über ein ungepflegtes Zentrum, über aufgerissene Straßen und Bürgersteige und über die ungebremste Graffiti-Anarchie. Andere möchten wissen, weshalb man die Quadriga umgedreht hat, „weil die doch nach Osten und nicht nach Westen reitet“. Und am Roten Rathaus herrscht Aufklärungsbedarf: „Also, hier hat Kennedy gesprochen?!“

In diesen Tagen, wenn die Linden statt Blättern Lichterketten tragen, damit die Stadt nicht trübe im Novembergrau versinkt, ist die Zeit gekommen, in der die Berliner Gästeführer für einen Moment tief Luft holen, um dann gleich in den „Winterzauber“ einzutauchen. Stadtführer ist ein Ganzjahresjob. Mit professioneller Redseligkeit und Allwissenheit bringen sie Geschichte und Geschichten der Bundeshauptstadt unter die Leute.

Verbands-Chef von Kieseritzky, studierter Historiker, ist seit dem Jahr 1987, als Berlin sein 750. Jubiläum feierte, Stadtführer. Er war dabei, als vor 14 Jahren die Guides (West) und die Stadtbilderklärer (Ost) im Hinterstübchen des Souvenirhäuschens am Potsdamer Platz beschlossen, gemeinsame Sache zu machen.

Architekten, Lehrer, Kunsthistoriker und Dolmetscher sind häufig die Berufe jener, die den Touristen die Stadt erklären – nach einer Grundausbildung mit 200 Stunden Berlin-Theorie plus Prüfung. Die Dienste der Stadtführer werden vom Verband vermittelt oder im Internet geordert (www.berlin-guide.org).

Viele Stadtführer haben sich auf ein Thema spezialisiert. Angela Spuhr ist das, was man „Berliner Pflanze“ nennt. Eene aus Rixdorf, orijinal, mit Herz und Scharm. Sie geht den Leuten emotional an die Seele, alte Berliner erleben in ihren Geschichten den Frühling ihrer Jugend, „und det is jut so“. Ihr Kollege Michael Jelkmann setzt ebenfalls auf Spezialführungen. Zehn Themen hat der Kunsthistoriker im Programm. Auch gestern, am Sonntag, war er mit Besuchergruppen auf der Museumsinsel unterwegs.

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