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Berliner regieren nicht nur in ihrer Heimatstadt.

© dpa / Rolf Haid

Wo Berliner regieren: Berliner Bürgermeister in anderen Städten

Michael Müller übernimmt am Donnerstag das Rote Rathaus. Doch er wird nicht der einziger Berliner sein, der dann regiert. Diese sechs sind schon jetzt an der Macht - nur in anderen Städten.

Umweltbürgermeisterin in Mannheim

Felicitas Kubala, 58, Grüne
Lieblingsort in Berlin: Im Ruderboot auf der Havel
Schönste Berlin-Erinnerung: Ohne Frage die Wiedervereinigung
Berlin in einem Wort: Heimat (bevor ich nach Mannheim ging, natürlich!)
Was ist in Mannheim besser als in Berlin? Die Gestaltungsmöglichkeit, finanziell wie politisch
Wie bestellen Sie Brötchen? Da passe ich mich an: In Mannheim keine Schrippe!
Mannheim verhält sich zu Berlin wie... zwei Schwestern zueinander

Der Anruf aus Mannheim kam genau zum richtigen Zeitpunkt. Zehn Jahre lang hatte ich im Abgeordnetenhaus von Berlin für die Grünen Oppositionspolitik gemacht – da war ein Wechsel nötig. Nach zehn Jahren Opposition sind die Gestaltungsmöglichkeiten als Bürgermeisterin natürlich super.

Aufgewachsen bin ich in Spandau und habe dann lange Zeit in Kreuzberg gelebt; die letzten 15 Jahre dann in Prenzlauer Berg. Von da aus bin ich häufig ins Abgeordnetenhaus gelaufen. Ob an der Spree oder an Rhein und Neckar: Ich lege gerne Wege zu Fuß zurück.

Als ich den Job angenommen habe, wusste ich, man nennt Mannheim auch „Quadratestadt“. Ich wusste, dass die Rhein-Neckar-Metropolregion ein Industriezentrum ist und dass der ICE hier hält. Ich hatte aber keine Ahnung, dass es hier so grün ist. Gleichzeitig ist die Stadt sehr urban. In Berlin spricht man immer vom Wegfall der Arbeitsplätze in der Industrie. Hier gibt es sie noch, inklusive der daran hängenden Dienstleister und Forschungseinrichtungen.

Berlin hat einen sehr guten Ruf in Mannheim

In Mannheim ist das Bürgermeisteramt mit sehr vielen repräsentativen Auftritten verbunden: Grußworte, Ansprachen vor Vereinen – zeremonielle Anlässe. Das ist durchaus mit Wowereits Amt vergleichbar, von dem auch eine sehr hohe Präsenz erwartet wird.

Ich habe mich schnell an das Leben hier gewöhnt. Die Menschen hier sind sehr offen. Da sind sie den Berlinern nicht unähnlich. Es stößt manchmal noch auf Unverständnis, warum jemand von Berlin nach Mannheim kommt – häufiger ist es ja andersrum. Berlin hat einen sehr guten Ruf hier.

Ich finde den Unterschied zwischen meiner neuen und alten Heimat nicht sehr groß. Natürlich ist es ein Unterschied, ob eine Stadt 300.000 oder drei Millionen Einwohner hat – Mannheim und Berlin teilen sich jedoch die Urbanität. Ich glaube, Berlin und Mannheim sind sich ähnlicher als Mannheim und Heidelberg – obwohl das direkt nebenan liegt. Dort gibt es die Altstadt, das Schloss; es ist ruhiger, touristischer, bürgerlicher. Mannheim lebt von seinem urbanen Zentrum, seiner lebhaften Kulturszene. Ich bin eine sehr anspruchsvolle Kulturliebhaberin und komme hier auf meine Kosten – ob in Oper, Theater oder Ballett.

Wowereit hat das Berliner Lebensgefühl verkörpert

In Berlin bin ich auch ab und zu; ich habe dort Familie und Freunde. Wenn ich dort bin, gehe ich rudern. Ich nutze auch die Kulturangebote, allein schon die tollen Ausstellungen.

Ich bin überzeugt, dass Michael Müller eine solide Politik für Berlin machen wird. Ich habe großen Respekt davor, dass er das Amt übernimmt – zumal es nicht einfach ist, in Klaus Wowereits Fußstapfen zu treten. Er hat das Lebensgefühl der Stadt sehr gut verkörpert und mitgeprägt. Aber es ist auch sehr klug von ihm, jetzt den Wechsel zu machen, bevor es zu einer Zerreißprobe gekommen wäre. Mich als Berliner Bürgermeisterin kann ich mir nicht wirklich vorstellen. Auf absehbare Zeit bleibe ich in Mannheim.

Kulturbürgermeister in Landsberg am Lech

Axel Flörke, 60, parteilos
Lieblingsort in Berlin: Auf dem Fahrrad durch die Altbauviertel in Prenzlauer Berg
Schönste Berlin-Erinnerung: Wenn der Leierkastenmann in den Innenhof gekommen ist und wir ihm einen Groschen in Zeitungspapier gewickelt zuwarfen
Berlin in einem Wort: Leben
Was ist in Landsberg besser als in Berlin? Das Gemütliche, Intime
Wie bestellen Sie Brötchen? Ich sage tatsächlich Semmeln
Landsberg verhält sich zu Berlin wie... David zu Goliath

Ich denke wahnsinnig gern an Berlin zurück: In Neukölln bin ich aufgewachsen, Mainzer Straße. Wir haben auf der Straße gespielt, wir beobachteten die Flugzeuge, die auf dem Tempelhofer Flughafen knapp über dem Boden zur Landung anflogen. Wir waren immer draußen; ich erinnere mich noch genau, wie ich mit sieben meine erste Freundin da auf der Straße geküsst habe. Nur wenige Meter entfernt lag der Schlittenberg, in der Hasenheide – jeden Winter waren wir da rodeln. Das waren damals Berge für uns. Im Vergleich zu heute komisch: Für Bayern ist das natürlich ein Witz.

Kurz nach dem Mauerbau, noch im Jahr 1961 sind wir weggezogen. Ich war sieben Jahre alt damals, meine Schwester ein Jahr älter. Meine Eltern sorgten sich um die Zukunft. Wie würde es mit West-Berlin weitergehen? Wir sind dann in den „echten Westen“ – nach Nürnberg – gezogen. In dem Neubauviertel dort sind wir auf offene Leute gestoßen. Wenn auch ein bisschen konservativer. Menschen von überall sind ja da hingezogen. Später bin ich dann nach Landsberg gezogen und jetzt hier fest verwurzelt und zuhause. Berlin habe ich aber keineswegs vergessen.

An der Friedrichstraße mit gebrochenem Bein

Ich bin oft in Berlin. Noch häufiger aber war ich in den achtziger Jahren da. Ein Freund und ich hatten in Prag zwei Mädels kennen gelernt, die in Jena wohnten. Die einzige Möglichkeit, sie zu sehen, war in Ost-Berlin. Also kamen wir regelmäßig. Das war manchmal auch eine Tortur: Die ganze Nacht sind wir durchgefahren, bis wir in Berlin angekommen sind. Zusätzlich hatte ich noch ein geschientes Bein, das ich mir zuvor gebrochen hatte. Dann an der Friedrichstraße haben die Grenzer mich nicht hinsetzen lassen und wir mussten stundenlang warten, bis wir rüber durften. Ich habe die DDR hautnah vom Westen aus erlebt.

In Landsberg bin ich seit Anfang des Jahres Bürgermeister, zuvor war ich aber schon lange Stadtrat. Hier ist man sehr nah dran an der Politik. Man kennt den Großteil der Leute, man wird angesprochen, wenn man durch die Innenstadt läuft. Das ist in Berlin anders. Mein Posten ist wohl eher wie der eines Bezirksbürgermeisters in einem überschaubaren Bezirk, der dort auch zu Hause ist. Wenn hier eine Bauentscheidung gefällt wird, will ich vor Ort gewesen sein. Das kann der Regierende Bürgermeister in Berlin natürlich nicht. Ich kümmere mich hier um Kultur und Tourismus, habe sehr viele repräsentative Auftritte. Von der Geschichte her ist Landsberg eine geniale Stadt. Kulturell auch, aber das kann noch besser werden. Ich bin sehr kulturaffin und denke, da kann noch mehr gefördert werden hier. Natürlich nie so wie in Berlin: Das ist für mich die Kulturstadt schlechthin.

In Landsberg die Heimat gefunden

Ich kann mir aber nicht vorstellen zurückzukommen. Ich bin so verwurzelt hier – seit 30 Jahren. Ich schätze das Intime. Ab einem gewissen Alter hat man auch seinen Kreis, seine Heimat gefunden. Ich bin aktiv in Vereinen, in der Politik, in meinem Beruf als Lehrer, das kann man sich woanders so nicht mehr so schnell aufbauen. Eine schöne Altbauwohnung, wie ich sie aus meiner Kindheit kenne, vermisse ich aber schon.

Ich kenne Michael Müller nicht persönlich, aber würde ihm trotzdem Folgendes mitgeben: Er sollte sich Zeit nehmen - soviel das in so einem Amt geht. Die Dinge, die an einen ran getragen werden, ernst nehmen, mit den Leuten ins Gespräch kommen und auch im Gespräch bleiben.

Baubürgermeisterin in Leipzig

Dorothee Dubrau, 59, parteilos
Lieblingsort in Berlin: Mein Sofa
Schönste Berlin-Erinnerung: Mein 50. Geburtstag im Café Moskau mit vielen Menschen aus meiner Berliner Zeit.
Berlin in einem Wort: dufte
Wie bestellen Sie Tafelbrötchen beim Bäcker: Ich esse Schwarzbrot, aber Schrippen sind Schrippen - auch hier
Leipzig verhält sich zu Berlin beruhigend, weil Berlin Großmannssucht signalisiert

Ich habe mein halbes – ja, dreiviertel – Leben in Berlin gelebt. Dort geboren, zur Schule gegangen, studiert, dann in der DDR-Verwaltung gearbeitet. Die letzten 26 Jahre habe ich in Mitte gewohnt, am Märkischen Museum, in diesem Bezirk war ich auch lange Baustadträtin. 2006 hat es mir dann gereicht. Ich war durch die Arbeit im Berliner Politikbetrieb kaputtgespielt.

Ich habe mich dann langsam nach anderen Orten im deutschsprachigen Raum umgesehen. Meine Kinder waren da schon aus dem Haus und ich hatte dadurch natürlich auch eine neue Freiheit. Ich war als selbstständig als Architektin tätig und als Dozentin und Gastprofessorin in mehreren Städten in Deutschlands tätig, aber Leipzig war für mich die erste Wahl. Als 2013 das Angebot kam, habe ich es natürlich sofort angenommen.

Mit den Kindern auf der Montagsdemonstration

Ich kannte die Stadt schon sehr gut, bevor ich hierher gezogen bin. Ich war oft in den achtziger Jahren da; eine Cousine lebte hier. Ich sah, wie sie zusammen mit ihren 6 Kindern auf die Montagsdemonstrationen ging. In Berlin habe ich mich das nicht mit meinen Kindern getraut – es schien mir zu gefährlich. Aber hier war es friedlich, das hat mich beeindruckt.

Leipzig war eine perforierte Stadt. Sie ist in den Neunzigern extrem geschrumpft: Rund 100.000 Menschen sind weggezogen. Das ist genau das gegenteilige Problem von Berlin-Mitte. Das macht es auch für mich beruflich so interessant. Unterschiedliche Probleme brauchen unterschiedliche Lösungen.

Es gibt hier noch die Freiräume, wie es sie in Berlin vor 13, 14 Jahren gab. Das ist unheimlich spannend. Die Euphorie, die Aufbruchstimmung steht hier auf der Tagesordnung. Es gibt noch Platz für Künstler, junge Familien, auch im innerstädtischen Bereich finden Otto-Normal-Verbraucher noch einen Ort zum Leben – in Berlin geht das ja kaum noch.

Widerwehr gegen Moschee war unerwartet

Es gibt natürlich auch negative Seiten. Die Angst vor Fremdartigkeit in der Diskussion um Flüchtlinge oder um den Bau der Ahmadiyya-Moschee hat mich erschreckt. Ich hatte Leipzig immer als freiheitliche, weltoffene Stadt erlebt – hier traf sich die Welt zur Messe! Menschen, die unsere Nachbarn sind – oder werden – wollen zu ihrem Gott beten, in ihrem Gotteshaus. Dass es da so viel Widerwehr gibt, hätte ich nicht erwartet.

Diese Probleme gibt es in Berlin natürlich auch, aber als Hauptstadt, als Stadt mit hohem Migrantenanteil und mit seiner historischen Bedeutung, ist das Ressentiment dort vielleicht nicht so ausgeprägt wie hier. Es gibt hier auch die andere Seite: Es gibt Initiativen, die sich solidarisieren, die Flüchtlingen Orientierungshilfe geben, die Menschen mit offenen Armen empfangen. Diese Gruppe muss die stärkere sein – auch dafür kämpfe ich.

Noch immer einen Koffer in Berlin

Ich wohne hier sehr zentral. Das Zentrum hier ist aber auch nur 800 auf 600 Meter groß. Man findet trotzdem alles, was man braucht: Gehe ich aus dem Rathaus, stehe ich nach wenigen Minuten vor der Oper, nebenan ist das Gewandhaus, auch das Schauspiel und zwei Kinos findet man im Zentrum. Ich nutze das Kulturangebot intensiv – wenn ich Zeit dafür finde. Demnächst schaue ich mir hier in der Oper Rachmaninow an: zwei Klavierkonzerte mit Ballett. Als nächstes bin ich verabredet mit einer Freundin an der Komischen Oper Berlin zu Don Giovanni.

Ich habe natürlich noch immer einen Koffer in Berlin: Alle ein bis zwei Wochen bin ich dort. Meine Tante lebt noch da, meine Kinder, meine Enkel – die möchte ich auch ja auch sehen. Ist ja auch nur einen Katzensprung entfernt. Von Haustür zu Haustür brauche ich mit der Bahn zwei Stunden. Mein Lebensmittelpunkt ist trotzdem in Leipzig. Das wird sich auch vor erst nicht ändern: Ich fühle mich wohl hier!

Ein Ratschlag für Michael Müller: Er muss sich – und das weiß er auch – mit dem Thema Wohnen beschäftigen. Das wird eines der wichtigsten Themen in seiner Amtszeit. Berlin braucht mehr Wohnraum – und nicht nur hochpreisigen. Ich traue ihm das aber zu – er hat ja auch gute Berater.

Integrationsbürgermeister in Heidelberg

Wolfgang Erichson, 59, Grüne
Lieblingsort in Berlin: Viktoria-Luise-Platz
Schönste Berlin-Erinnerung: Ich an der Hand von Willy Brandt am 1.Mai 1961
Berlin in einem Wort: authentisch
Was ist in Heidelberg besser als in Berlin? Der Wein
Wie bestellen Sie Brötchen? Schrippen – das müssen die hier lernen!
Heidelberg verhält sich zu Berlin wie... Stern- und Kreisschifffahrt zu Queen Mary

Einem echten Berliner – in Berlin geboren und aufgewachsen, immer in Berlin gelebt – fällt es natürlich schwer, wegzugehen. Ich war lange Zeit Kommunalpolitiker in Tempelhof-Schöneberg und wollte mich aus dem Politikbetrieb zurückziehen. Als aber 2007 der Anruf kam, ob ich mich für das Amt des Integrationsbürgermeisters von Heidelberg bewerben wolle, habe ich mir gedacht: Entweder mach’ ich es jetzt oder gar nicht mehr. Ich war ja schon 50 Jahre alt zu dem Zeitpunkt. Also sagte ich zu und bekam die Stelle.

Angesichts des Umzugs war meine Reaktion erst mal die typische Berliner Arroganz: Oh Gott, in die Provinz! Ich musste die eine oder andere Träne wegdrücken, als ich dann in meiner leeren Wohnung am Viktoria-Luise-Platz stand. Ich hatte ja auch keine Idee von Heidelberg und wusste, dass ich mich auf eine andere Mentalität einstellen musste und eine völlig andere Art Politik zu machen.

Der Unterschied ist das Tempo

Ich wurde bewusst ausgewählt, weil ich schon Erfahrung unter anderem mit Ausländerpolitik und Verwaltung in Berlin hatte. In Heidelberg ist das natürlich eine ganz andere Liga. Die Integrationsproblematik ist ja verglichen mit Berlin einfacher zu lösen. Der größte Unterschied ist das Tempo: Die Verwaltung war hier anfangs geschockt, wie schnell ein Berliner arbeitet. Die Menschen hier wissen dagegen, wie man genießt. Sie sind lockerer, langsamer, man weiß, wie man es sich gut gehen lässt und zeigen das auch. Eine bewundernswerte Eigenschaft. Mittlerweile finde ich Berlin manchmal anstrengend, wenn ich besuche.

Die Berliner Meckrigkeit kommt hier unterschiedlich an. Die einen finden es erfrischend, wenn mal jemand direkt ist. Die Kurpfälzer meckern zwar auch gern, sind aber subtiler. Man beschwert sich auf hohem Niveau. Die anderen – vor allem im Politikbetrieb – fanden das von Anfang an eher schwierig. Da kommt der Berliner und will was anders machen – da läuft man erst mal ins Leere.

Arbeitsintensität geringer als in Berlin; Terminfülle aber größer

„Alles so lassen“, sagen die Heidelberger. Es läuft ja alles. Man tut sich schwer mit Veränderungen. Die größte Herausforderung für mich ist dieses Beharrungsvermögen. Festgefahrenes lässt sich hier schwer verändern. Der Berliner hat da mehr die Angewohnheit, Neues zuzulassen.

Ich fühle mich wohl in Heidelberg. Ich kenne ja den Politikbetrieb in Berlin und merke: Die Arbeitsintensität ist hier geringer, die Terminfülle dafür größer. Das erklärt sich aus meiner Position, die man mit einem Bezirksbürgermeister vergleichen könnte. Ich kann mir auch vorstellen, so eine Position in Berlin zu besetzen – Regierender Bürgermeister will ich nicht sein.

Michael Müller rate ich, den Menschen näherzukommen und ihnen zu zeigen, dass er sich für sie interessiert. Ich kenne ihn ja noch aus meinen Zeiten in Tempelhof-Schöneberg und habe ihn als korrekten, peniblen, fleißigen Politiker kennengelernt. Zugleich hatte ich immer das Gefühl, ihm fehlt Empathie im Umgang mit Menschen. Er passt in das Merkel’sche Politikmodell: Hauptsache Stabilität.

Umweltbürgermeister in Leipzig

Heiko Rosenthal, 48, Die Linke
Lieblingsort in Berlin: Platz vor dem Roten Rathaus am Neptunbrunnen
Schönste Berlin-Erinnerung: Eislaufen im SEZ Friedrichshain
Berlin in einem Wort: Weltstädtisch
Wie bestellen Sie ein Brötchen? Na ja, Schrippe sag’ ich nicht. Brötchen.
Leipzig verhält sich zu Berlin wie... kleiner Bruder zu großer Schwester

Bis zu meinem sechsten Lebensjahr habe ich in der Glinkastraße in Mitte gelebt. Mein Vater war beim Forstamt tätig und wurde nach Frankfurt (Oder) versetzt. Mir wäre es lieber gewesen, meine Eltern wären nicht aus Berlin weggezogen. Vor allem als Jugendlicher war die Großstadt mein Sehnsuchtsort.

Bis heute bin ich gerne in Berlin und habe auch Familie da. Meine Kindheit dort nehme ich sehr intensiv wahr. Eine innere Haltung und Sehnsucht nach der Stadt ist daraus entstanden. Außerdem ist es mein Geburtsort und der wird nicht verleugnet – auch nicht in Sachsen, wo ich – mit Zwischenstation in Thüringen – seitdem lebe.

Das "icke" und das "ditte" abgewöhnen

Berliner zu sein, war nicht immer einfach. Allein schon die Sprache! Meine Lehrerin in Thüringen hat immer wieder versucht, mir das „ditte“ und das „kieke“ abzugewöhnen, das „wattn“ und das „icke“. Besonders im Gedächtnis geblieben ist mir das Wort „Erde“: In Berlin sagt man Erde – mit kurzem „e“. In Thüringen zieht man es: Eeeerde. Ich musste das vor der ganzen Klasse immer und immer wieder aufsagen.

Ich wohne mittlerweile in Leipzig, bin dort Bürgermeister für Umwelt, Ordnung und Sport. Für mich ist Leipzig eine besondere Stadt, war sie immer schon. Berlin war staatstragend, Leipzig freiheitlich, emanzipatorisch – über die ganze Historie hinweg. Ich glaube, der 9. Oktober hat so nur in Leipzig stattfinden können – weder in Berlin noch sonst wo in der DDR wäre das möglich gewesen.

Heute, glaube ich, teilen sich Leipzig und Berlin vieles: Beide sind freundlich wie unfreundlich. Aber immer menschlich. Bei vielen Menschen hat Berlin keinen besonders guten Ruf. Leipzig auch nicht zwangsläufig; der Unterschied ist, dass es dem Berliner egal ist, was die anderen denken, dem Leipziger nicht. Der Stadtpatriotismus hier ist sehr ausgeprägt.

"Politikinteressierte erkennen mich auf der Straße"

Das Pendant zu meinem Amt hier ist in Berlin wohl der Senator. Der Unterschied ist, dass ich bürgernah arbeiten kann – anfassbarer. Bevor sich die Landesregierung zu einer Versammlung runterbewegt, bin ich als Bürgermeister schon da. Wer sich für Stadtpolitik interessiert, erkennt mich auch auf der Straße. In Berlin verläuft sich das mehr. Meinen Job hier würde ich für die gleiche Stelle in Berlin nicht aufgeben. Leipzig ist meine zweite Heimat.

Herrn Müller gebe ich den Ratschlag, das Image Berlins nicht aus den Augen zu verlieren. Man nimmt die Stadt gerne als Bundeshauptstadt wahr, respektiert die positive Entwicklung, die sie durchgemacht hat und den guten Ruf, den sie bei jungen Leuten hat. Aber die Stadt muss aufpassen, dass sie nicht nur belächelt wird für ihre Projekte – und die Schnoddrigkeit. Bei aller Hipness und Coolness muss Berlin trotzdem eine Formalität und Seriosität ausstrahlen. Da kann er noch was machen; das traue ich ihm auch zu.

Oberbürgermeister in Weimar

Stefan Wolf, 53, SPD
Lieblingsort in Berlin: Die Philharmonie
Schönste Berlin-Erinnerung: Der Mauerfall; Ich war in der Oper und habe vom Mauerfall im Radio gehört. Bin dann zum Übergang Invalidenstraße gefahren und habe dort die Nacht verbracht.
Berlin in einem Wort: lebendig
Was ist in Weimar besser als in Berlin? Entschleunigung
Wie bestellen Sie Brötchen beim Bäcker? Brötchen! Schrippe versteht keiner
Weimar verhält sich zu Berlin wie... Dampflok zu D-Zug

Wie ich nach Weimar gekommen bin, ist eher ungewöhnlich: Ich bin in Berlin geboren – Schöneberg, nahe Bülowbogen. Bis ich 39 war, bin ich nie da rausgekommen. Lange Zeit habe ich kirchliche Jugendarbeit gemacht. Politisch war ich nicht aktiv, aber interessiert. Gearbeitet habe ich in der Zeit als Wirtschaftsstaatsanwalt.

2001 kam der Anruf von einem Beigeordneten der Stadt Weimar, den ich über unser gemeinsames kirchliches Engagement kannte. Er fragte mich, ob ich denn Wirtschaftsbürgermeister sein wolle. Ich habe das dann erst nicht ernst genommen, schließlich hatte ich bis dahin keine Erfahrung in der Politik. Einige Wochen später kam dann ein zweiter Anruf: Es sei jetzt so weit, am selben Abend noch wolle er meine Bewerbung abholen. Im Laufe des Tages habe ich die dann noch zusammengezimmert, fünf Wochen später war ich im Amt.

Nie Probleme mit der Umstellung von Berlin auf Weimar

Weitere fünf Jahre später wurde ich dann von den Weimarer Bürgern zum Oberbürgermeister gewählt. Ich hatte nie Probleme mit der Umstellung von Berlin auf Weimar. Als kulturinteressierter Mensch bin ich hier gut aufgehoben: Wir haben hier ein Mehrspartentheater, mehrere Orchester: ungewöhnlich viel Programm für eine Stadt dieser Größe.

Mein Abo bei den Philharmonikern in Berlin habe ich trotzdem nicht aufgegeben. Als OB hat man zwar viel zu tun; ich lasse mir das aber nicht nehmen, auch wenn es wahnsinnig wirkt: Manchmal fahre ich samstags um 4 Uhr los, gehe in die Philharmonie und bin nachts wieder in Weimar.

Geregelte Arbeitszeit gibt es nicht. Mehr Arbeit, weniger Freizeit und Familie. Es ist aber auch schön, in einer bedeutsamen Stadt wie Weimar gestalten zu können. In welcher Stadt dieser Größe könnte man sonst die Herren Obama oder Putin begrüßen dürfen? Obama hat sich bei seinem Besuch im KZ Buchenwald in das Goldene Buch der Stadt eingetragen; Putin war im Weimarer Rathaus bei seinem Vier-Augen-Gespräch mit Gerhard Schröder.

Das Beste an meinem Job ist aber die Möglichkeit, den Kontakt mit den Bürgern zu halten.

"Ich war fast immer der einzige gebürtige Berliner"

Die Thüringer nehmen mich schon als Berliner wahr; mein Dialekt ist aber nicht so stark ausgeprägt. In meiner Ausbildung und im Beruf war ich fast immer der einzige gebürtige Berliner – da habe ich mich wohl angepasst. Traditionell hat Berlin hier keinen besonders guten Ruf. Vor allem aus DDR-Zeiten bleibt da einiges übrig. Alle guten Produkte, guten Lebensmittel gingen ja damals in die Hauptstadt. In der Provinz war die Versorgung schlechter.

Ich habe mich gefreut, dass Michael Müller der neue Regierende Bürgermeister von Berlin wird: Ich hätte ihn auch gewählt, wenn ich noch in Berlin gewesen wäre.

Als Ratschlag für ihn habe ich nur: Gelassenheit und eine ruhige Hand bewahren. Berlin hat wie viele andere Städte ein Haushaltsproblem. Das muss gelöst werden, aber gleichzeitig die Lebensqualität ausgebaut werden. Das ist eine Herausforderung. Ich glaube aber, der Müller kann das.

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