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Postkapitalistische Idylle? In Prenzlauer Berg würde man die Regeln der Marktwirtschaft am liebsten außer Kraft setzen.

© Werner Nystrand/Mauritius

Wirtschaftsmythen: Die Ökonomie von Prenzlauer Berg

Im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg werden gerne gut gemeinte Bergpredigten gehalten: Bio-Produkte seien gesünder, regionale Waren besser für die Umwelt und die Mietpreisbremse soll vor Gentrifizierung schützen. Doch stimmt das?

Als bekennender Katholik weiß Alexander Dobrindt natürlich, dass Weltgeschichte von Hügel zu Hügel geschieht: Nach ihrer Irrfahrt durch 40 Tage und 40 Nächte Dauerregen strandete die Arche Noah am Berg Ararat. Auf dem Berg Sinai nahm Moses die Zehn Gebote entgegen. Die Verkündung seiner zentralen Lehre durch Jesus wird im Neuen Testament als Bergpredigt bezeichnet.

Prenzlauer Bergpredigten behagen Dobrindt offenbar weniger. Doch sein Glaube erinnert ihn daran, wie wirkmächtig sie sein können. Der CSU-Landesgruppenchef im Bundestag hält den Kiez gar für einen Hort von „Meinungsverkündern, selbst ernannten Volkserziehern und lautstarken Sprachrohren einer linken Minderheit“. So wie Jesus einst als Revoluzzer galt und von den Römern bekämpft wurde, sieht der CSU-Mann in den Lehren vom Prenzlauer Berg umstürzlerisches Potenzial, das es zu bekämpfen gilt. Leben die Revoluzzer von heute als Bürgerliche getarnt hinter Gründerzeitfassaden in einem Berliner Ortsteil, um von dort einen „Feldzug gegen das Bürgertum mit dem Ziel der Umerziehung der bürgerlichen Mitte“ zu führen? Das beklagte Dobrindt vor ein paar Wochen in der „Welt“. Höhepunkt seiner Streitschrift, die eine „bürgerlich-konservative Wende“ anmahnt: „Deutschland ist nicht der Prenzlauer Berg, aber der Prenzlauer Berg bestimmt die öffentliche Debatte.“

Soll heißen: Ein paar zentrale Glaubenssätze erlangten zunächst (und vom Rest des Landes eher belächelt) zwischen Helmholtz- und Kollwitzplatz und zwischen Bötzowviertel und Kastanienallee Gültigkeit. Nun sollen sie zu einer Ideologie gereift sein, die das Land umwälzt. Doch was hat es mit den ökonomischen Gesetzen des Prenzlauer Berg auf sich? Wir haben sie geprüft.

Bio schont die Umwelt, ist gesünder und schmeckt besser!

Bio-Produkte? Sind nicht unbedingt gesünder.
Bio-Produkte? Sind nicht unbedingt gesünder.

© Julian Stratenschulte/dpa

Aus Richtung Süden kommend wird der Besucher des Kollwitzkiezes von der liebevoll hergerichteten Attrappe einer Milchkuh empfangen. Das Tier wacht über die Lastenfahrräder, die Kunden vor einer Filiale der Biomarktkette LPG abgestellt haben. Auffällig: die Hörner. Sie sollen signalisieren, wie sensibel die Produzenten der Waren im Innern des Ladens mit den ihnen anvertrauten Geschöpfen umgehen. Auf der Homepage des ältesten Bioverbands Deutschlands, Demeter, steht geschrieben: „Biodynamische Bauern lassen den Tieren ihre Würde, wahren die Integrität der horntragenden Kühe und beobachten in ihren Herden, wie wichtig die Hörner für die Kommunikation der Tiere sind.“ Demeter ist quasi die Piusbruderschaft der Bio-Bewegung. Wo Demeter draufsteht, sind die Regeln noch schärfer und enger gefasst als sonst bei den Bios üblich – viel Esoterik ist ebenfalls dabei. Doch auch der gemeine Basis-Biokäufer geht davon aus, sich und der Umwelt nur Gutes zu tun, wenn er seinen Wocheneinkauf bei LPG oder einem der zahlreichen anderen Bioläden in Prenzlauer Berg tätigt.

„Die Jungfrauengeburt galt in meiner Jugend auch als Gewissheit“, sagt Udo Pollmer. Mit seinem „Lexikon der Ernährungsirrtümer“ zog der Lebensmittelchemiker bereits vor über einem Jahrzehnt den Unmut urbaner Überzeugungstäter auf sich. Auch heute weiß er noch genau, wie man Gläubige reizt. Mit Sätzen wie diesem: „Ich bin froh, wenn ich statt einer Bio- eine konventionelle Karotte bekomme.“

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Bio hält Pollmer sogar für Frevel. „Eine Landwirtschaft, die vorsätzlich aus ideologischen Gründen Missernten billigend in Kauf nimmt, ist keine ordnungsgemäße Landwirtschaft.“ Damit spielt Pollmer auf das größte Manko der Ökos an: Sie brauchen für die Erträge, die konventionelle Landwirte erzielen, bis zu doppelt so viel Fläche. „Es gibt nicht genug Dünger aus der Bio-Viehhaltung, es fehlen vernünftige Pflanzenschutzmittel“, sagt Pollmer und stellt fest: „Bisher gleichen die Konventionellen die Verluste aus. Wenn wir uns alle biologisch ernähren wollten, bräuchten wir eine zweite Erde.“

Aber es schmeckt doch besser? „Nein“, sagt der Physiker und Wissenschaftskabarettist Vince Ebert: „Regelmäßige Doppelblindstudien ergeben eindeutig, dass sich nichts ergibt. Wenn die Leute nicht wissen, was sie essen, können sie Bio nicht von konventionellen Produkten unterscheiden.“ Und was ist mit der Gesundheit? „Bekanntlich wird im Biolandbau hochgiftiges Kupfersulfat als Antipilzmittel eingesetzt.“ Und warum haben die Einwohner des Prenzlauer Bergs da keine Angst vor? Ebert: „Es kommt nicht von Monsanto.“

Regionale Produkte sind besser für die Umwelt!

Regionale Produkte sind besser für die Umwelt? Stimmt nicht!
Regionale Produkte sind besser für die Umwelt? Stimmt nicht!

© imago/Westend61

Auf dem Wochenmarkt am Kollwitzplatz verkauft ein junges Pärchen „Gemüsepaste – das Suppengrün im Glas“. Die natürliche Brühe schmeckt tatsächlich grandios. Fast genauso stolz sind Maja Linda Gérard und Swen Straßberger jedoch auf die regionale Herkunft ihrer Pastinaken, des Selleries oder der Zwiebeln, die sie von Hand verarbeiten: „Kurze Wege sparen CO2“, sagt Straßberger. Was im Fall der Brühe der beiden vielleicht noch stimmt, ist ansonsten grober Unfug. Physiker Vince Ebert: „Auf dem Weg vom Erzeuger bis zum Verbraucher verursachen Waren höchstens vier Prozent der Emissionen ihres gesamten Lebenszyklus.“ Wesentlich stärker fallen die Anbaumethode oder die Art der Tierhaltung ins Gewicht. „Eine Rose, die in einem Berliner Gewächshaus gezüchtet wird, hat eine sechsmal schlechtere Kohlenstoffdioxid-Bilanz als eine Rose aus Kenia, die dort unter der Sonne wächst“, sagt Ebert. So erklärt sich auch die bessere Ökobilanz von argentinischem Rindfleisch im Vergleich zu einem Steak vom Brandenburger Bio-Bauern. Während die Tiere in Südamerika einfach auf den Weiden grasen und dabei wachsen können, müssen sie hier mit importiertem Futter gemästet werden. Vince Ebert: „Und wenn Sie dann noch mit Ihrem Auto 30 Kilometer raus zum Bio-Bauern fahren ... Sie können es sich denken ...“

Mietpreisbremse und Vorkaufsrecht der Bezirke stoppen die Gentrifizierung!

Schützt die Mietpreisbremse vor Gentrifizierung? Nein, sagen Ökonome.
Schützt die Mietpreisbremse vor Gentrifizierung? Nein, sagen Ökonome.

© IMAGO

Bei aller Idylle ist der Prenzlauer Berg auch ein Haifischbecken. Wer eine Wohnung in der Gegend sucht, muss sehr gut verdienen. Der Kiez gehört mittlerweile zum Teuersten, was die Hauptstadt im sowieso limitierten Angebot hat. Politik und Verwaltung versuchen mit mehreren Instrumenten, den Markt in Schach zu halten und die Mietpreise wenigstens zu begrenzen. Von 13 sogenannten Milieuschutzgebieten des Bezirks Pankow liegen neun in Prenzlauer Berg. Modernisierungen, Luxussanierungen oder die Umwandlung von Miet- zu Eigentumswohnungen müssen dort von den Behörden genehmigt werden. Im Januar machte der Bezirk auch erstmals von seinem Vorkaufsrecht Gebrauch. Ein Gebäude an der Belforter Straße im Kollwitzkiez ging an die landeseigene Wohnungsgesellschaft Gewobag. Der potenzielle private Käufer wollte sich zuvor nicht verpflichten, das Haus nicht zu sanieren und die Mieten nicht zu erhöhen. Mit solchen Methoden soll in Kombination mit der Mietpreisbremse die Gentrifizierung gestoppt werden – hoffen jedenfalls die Theoretiker.

Und es wirkt – nur nicht im Sinne der Schöpfer. Michael Hüther, Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft aus Köln: „So ein Vorkaufsrecht bedeutet für den bisherigen Besitzer eine Preisgarantie.“ Wirklich? Tatsächlich! Kurze Nachfrage beim Baustadtrat des Bezirks, Vollrad Kuhn (Grüne): „Wir haben zum Marktpreis gekauft.“

Auch die Mietpreisbremse hilft. Im Zweifel jedoch solventen Mietern, die sich die Gegend sowieso schon leisten können. Zwar sind die Vermieter bei Neuverträgen theoretisch an die im Gesetz vorgesehene Deckelung der Preise auf maximal zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete gebunden, doch ob sie das einhalten, ist fraglich. Und da die Mietpreisbremse (noch) nicht vorschreibt, welchen Wohnungsbewerber Eigentümer als Vertragspartner akzeptieren müssen, werden sie auch weiterhin gut verdienende Bewerber nehmen: Der Eigentümer sichert das eigene Risiko durch den solventesten Mieter ab“, erklärt Hüther. So freut sich dann der sowieso solvente Neumieter über eine günstigere Miete. „Das bringt keinem Geringverdiener etwas“, sagt Hüther, der die Prämisse der Mietpreisbremse ablehnt: „Schon erstaunlich, dass Leute glauben, sie könnten Mengenprobleme durch Preisinstrumente lösen.“ Drei Maßnahmen würden jedoch helfen: bauen, bauen und bauen!

Kostenloser ÖPNV und Grundeinkommen lösen Probleme!

Kostenloser öffentlicher Nahverkehr? Eine Utopie.
Kostenloser öffentlicher Nahverkehr? Eine Utopie.

© imago/blickwinkel

Utopien sind schön. Doch der Weg in die Hölle ist mit guten Absichten gepflastert. Als Bezirksbürgermeister von Pankow steht Sören Benn (Linke) auch dem Prenzlauer Berg vor. Wenn man mit ihm über die gerade virulente Idee eines kostenlosen Nahverkehrs spricht, stößt erst mal der Begriff auf: „Ich nenne das lieber fahrscheinlosen Nahverkehr, weil ja dennoch Kosten entstehen.“ Man merkt Benn im Gespräch an, was den Idealisten vom Helmholtzplatz und den Pragmatiker im Rathaus voneinander unterscheidet: „Ich finde die Idee schon gut und denke auch, dass davon jeder profitieren würde, sogar Autofahrer, die dann in den Genuss leererer Straßen kämen“, sagt Benn. Aber: „Sie können das nicht einfach so umstellen.“ Erstens: Es fehlen Kapazitäten, zunächst müsste das Netz ausgebaut werden. Das würde dauern. Zweitens: Wie soll das Geld für den Nahverkehr an S-Bahn und BVG gehen? Benn: „Das geht nur steuerfinanziert oder über eine Nahverkehrsabgabe.“ Deshalb ist der Bürgermeister für eine schrittweise Einführung. „Was wäre“, fragt er, „wenn wir mit ganz jungen und ganz alten Menschen beginnen würden?“ Es könne ja schließlich nicht sein, dass jeder mehr Steuern oder eine Abgabe zahle und dann der Nahverkehr wegen Überlastung zusammenbreche.

Auch das Bedingungslose Grundeinkommen, eine der Lieblingsutopien von Linken- und Grünenwählern – der Parteien also, die sich im Kiez bei Wahlen ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern –, wird beim Bezirksbürgermeister von einem Herzensanliegen zu einer Verwaltungsfrage: „Ich tendiere da schon hin und finde, wir müssen uns das mal genau ansehen“, sagt Benn und erhofft sich eine Entlastung seiner Mitarbeiter: „Wir haben eine wahnsinnige Bürokratie, um die Berechtigung auf Grundsicherung zu prüfen.“ Doch noch sei das eine „unstrukturierte Debatte“. Gut möglich, dass die Strukturierung und Lösung dieser und vieler anderer Probleme gerade in seinem Sprengel erarbeitet werden. Denn nirgends leiden die Menschen mehr unter dem Markt und seinen Gesetzen als in Prenzlauer Berg. Bis sie den Kapitalismus abgeschafft und ihre Heilslehre über das ganze Land gebracht haben werden, klammern sich die Bewohner an Zaubertrank. Im LPG-Bioladen gibt es Mineralwasser, das bei Vollmond abgefüllt wurde und besonders rein sein soll. Das „lebendige Wasser“ kostet knapp zwei Euro pro Liter. Und bei Heiligtümern drücken die Anwohner auch schon mal ein Auge bei der CO2-Bilanz zu: Die Glasflasche wird aus Alexander Dobrindts Heimat importiert: Bayern.

Dieser Artikel erschien auf der wöchentlichen Sonderseite "Berliner Wirtschaft". Folgen Sie uns auf Twitter für Updates: @BRLNRwirtschaft

Jan-Philipp Hein

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