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Gegen die Ansiedlung von Google wurde heftig protestiert in Kreuzberg.

© Imago

Wirtschaft in Berlin: Von Investoren, Spekulanten und anderen Fieslingen

Drohungen, Vandalismus und Gewalt - Unternehmen in der Hauptstadt sind heftigen Anfeindungen ausgesetzt. Die Politik trägt eine Mitschuld. Ein Kommentar.

Claire D'Orsay ist durch die Hölle gegangen. Die Kreuzberger Gastronomin wurde auf der Straße beschimpft; die Scheiben ihres Restaurants „Vertikal“ wurden von vermummten Angreifern erst bespuckt – und später dann zerschlagen. Drei Angestellte befanden sich zu diesem Zeitpunkt im Lokal. „Einer meiner Mitarbeiter rief mich panisch aus dem Restaurant an, erzählte, was passiert war“, erinnerte sie sich damals im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Damit nicht genug, die Wand des Hauses wurde einige Wochen später besprüht: „Bonzen Ausländer raus“. Der Mob war erfolgreich: Im September des vergangenen Jahres stieg D'Orsay aus dem Restaurant aus. Sprechen möchte sie nicht mehr über diese Zeit: „Ich muss das letzte Jahr abschließen.“ Nach allem, was passiert sei, könne sie die Anfeindungen nicht mehr aushalten.

Dass Unternehmern in Berlin Hass entgegenschlägt, ist nichts Neues, der Fall von D'Orsay nur ein besonders krasser. Mit Drohungen, Vandalismus und bisweilen sogar Gewalt muss mittlerweile jeder rechnen, der es wagt, in einem der Hipster-Quartiere Umsatz zu machen. In der Hauptstadt hat sich in den vergangenen Jahren eine Wut entwickelt, die selbst vor körperlichen Angriffen nicht zurückschreckt.

Die Politik sieht zu

Nicht ganz unbeteiligt ist an diesem Klima der Wut die Politik. Nehmen wir das Beispiel D'Orsay. Als sich die Kreuzbergerin nach den Attacken um Hilfe und Unterstützung vom Bezirk bemühte, zeigte der ihr die kalte Schulter. Zwar habe sie versucht, Bezirksstadtrat Florian Schmidt (Grüne) zu kontaktieren, erzählte sie dem Tagesspiegel kurz nach dem Überfall. Doch Schmidt habe den Hilferuf der attackierten Frau ignoriert: „Wir haben nach einem Termin gefragt, um über die Vorkommnisse zu reden, wir haben aber nie eine Antwort erhalten.“

Nachfrage bei Schmidt: „Warum genau es nicht zum Gespräch mit ihr kam, weiß ich nicht“, sagt er. „Es wurde jedenfalls nicht direkt verweigert.“ Es habe „verschiedene Kontaktaufnahmen aus dem Umfeld“ D'Orsays gegeben, die er auch erwidert habe.

Attackiert. Die Unternehmerin Claire D’Orsay 2017 vor ihrem Restaurant.
Attackiert. Die Unternehmerin Claire D’Orsay 2017 vor ihrem Restaurant.

© picture alliance / Christophe Ga

Während das Treffen mit D'Orsay nicht zustande kam, fand Schmidt Zeit, sich mit den Aktivisten der linksradikalen „Interventionistischen Linken“ zu treffen. Im Dezember des vergangenen Jahres war er Gastredner bei einer Veranstaltung der Gruppierung, über die der Berliner Verfassungsschutz schreibt: „Die Einstellung zur Gewalt ist taktisch geprägt, sie wird nicht grundsätzlich abgelehnt“. Für den Berliner Wohnungsmarkt fordern die Linksradikalen eine „Enteignung von Immobilien-Konzernen“ und träumen von der „sozialistischen Stadt“. Auf die Frage, ob er es für legitim erachtet, dass der Bezirk mit gewaltbereiten Gruppen kooperiert, reagiert Schmidt ausweichend: Eine formale Kooperation habe nicht stattgefunden, schreibt er auf Anfrage. Und ergänzt: „Ob die Beobachtung des Verfassungsschutzes sinnvoll ist, kann ich nicht beurteilen“. Man tritt Schmidt wohl nicht zu nahe, wenn man ihm gewisse Überschneidungen im Weltbild mit den Aktivisten unterstellt. Einem Weltbild von spartanischer Simplizität: Auf der einen Seite stehen die Kapitalisten – ein finsteres Häuflein von Investoren, Spekulanten und anderen Fieslingen. Und auf der anderen Seite gibt es all jene, die mit ihm den Kampf gegen diese unheilbringende Gesellen des Kapitals kämpfen.

Und dieser Kampf beginnt schon mit der Sprache. Als sich im vergangenen Jahr der Internetkonzern Zalando anschickte, auf der Kreuzberger Cuvry-Brache ein neues Bürogebäude zu bauen, machte Schmidt sehr deutlich, was er von dem Plan hält: nichts. Es sei nicht nachbarschaftsverträglich, wenn ein Megakonzern mit 2000 Angestellten in ein so dicht besiedeltes Viertel „einbreche“, sagte er der „Zeit“. Und bewies damit zweierlei: einerseits, dass der Unterschied zwischen einem Unternehmer und einem Kriminellen in seiner Auffassung allenfalls marginaler Natur zu sein scheint. Andererseits, dass etwas, worüber sich im Rest der Republik jede Kommune freuen würde – neue Arbeitsplätze –, in Kreuzberg unerwünscht ist.

Schmidt schürt mit derlei Wortmeldungen den Hass all jener, die sich in den vergangenen Monaten mit tätlichen Attacken gegen die Umzugspläne verdient gemacht hatten. Etwa einer Gruppe von Berliner „AnarchistInnen“, die stolz per anonymen Bekennerschreiben die Stadt wissen ließ: „Mit Farbe und Steinen haben wir in der Nacht vom 22.03.18 den Zalando-Lounge-Standort in der Zeughofstraße angegriffen.“ Kurz zuvor hatte der Internetkonzern angekündigt, seine Baupläne für die Cuvry-Brache beerdigen zu wollen. Offiziell habe die Entscheidung nichts mit der Sorge vor gewalttätigen Protesten zu tun, sagte damals eine Unternehmenssprecherin. Wer sich aber im Unternehmensumfeld umhört, bekommt anderes zu hören: „Natürlich haben auch Sorgen über jahrelange Auseinandersetzungen mit den Anwohnern eine maßgeblich Rolle bei der Entscheidung gespielt“, heißt es.

Gemeinwohl gerät aus den Augen

Ein Einzelfall? Leider nicht, wie der Fall Google vor wenigen Wochen gezeigt hat. Auch hier wurde ein Unternehmen von radikalen Aktivisten bedroht; und auch hier unternahm die Politik wenig bis nichts, um ein wirtschaftspolitisches Fiasko zu verhindern. 2016 hatte der US-Konzern im Kreuzberger Umspannwerk den Aufbau eines Start-up-Campus angekündigt – eines Orts, an dem Unternehmer und Gründer aus der ganzen Welt aufeinandertreffen und Ideen austauschen sollen. Berlin hätte sich eingereiht in eine glänzende Gruppe von Standorten: Weltweit gibt es bereits sieben solcher Google-Einrichtungen. Mehr als 4000 Jobs sind dadurch an den Standorten in Warschau, London, Seoul, Tel Aviv, São Paulo und Madrid entstanden.

In Kreuzberg aber rottete sich ein Grüppchen radikaler Aktivisten zusammen, die in den folgenden Monaten mit Farbbeutel-Anschlägen und aggressiven Protesten die Pläne des Konzerns zu verhindern suchte. Mit Erfolg, vor wenigen Wochen kündigte der Suchmaschinenbetreiber an, auf seinen Campus in Kreuzberg zu verzichten. Stattdessen sollen nun gemeinwohlorientierte Organisationen wie die Spendenplattform Betterplace.de und die Sozialgenossenschaft Karuna auf dem Grundstück einziehen.

Und Stadtrat Florian Schmidt? Jubelte: „Ich begrüße diesen Schritt und hoffe, dass andere große und mittlere Unternehmen diesem Beispiel folgen.“ Der Bezirk werde die neuen Pläne am Umspannwerk begleiten und zudem eine Stelle für einen „bezirklichen Beauftragten für gemeinwohlorientierte Immobilienentwicklung“ schaffen.

Bezirksstadtrat Florian Schmidt (Grüne).
Bezirksstadtrat Florian Schmidt (Grüne).

© Kitty Kleist-Heinrich

Man muss sich die statistischen Zahlen für Kreuzberg vor Augen führen, um die Tragweite des Vorfalls zu verstehen. Der Bezirk zählt zu den ökonomisch schwächsten in der Hauptstadt, die Arbeitslosigkeit liegt hier so hoch wie an wenigen anderen Orten Berlins. Hunderte neue Jobs hätten hier entstehen können, stattdessen gibt es nun eine Verwaltungsstelle mehr. Ist das wirklich ein Grund zur Freude? Natürlich eine rhetorische Frage. Die Fälle Google und Zalando zeigen, dass das Gemeinwohl im Bezirk aus den Augen der Regierenden geraten – zugunsten einer kleinen, radikalen Minderheit. Statt die wirtschaftliche Entwicklung zu gestalten, erschöpft sich der Ehrgeiz darin, das Elend zu verwalten. Der Grünen-Politiker Schmidt mag Kreuzberg vor dem Zuzug Googles geschützt haben, aber wer schützt Berlin eigentlich vor Florian Schmidt?

Nun könnte man den Fall Schmidt als Beispiel eines wild gewordenen Bezirkspolitikers abtun. Aber leider gehört auch eine Verwaltungsebene höher, im Senat, die Überzeugung vom Unternehmer als Feind zum festen Repertoire. „Wir leben bis zum Hals im Kapitalismus. Das ist das Problem“, klagte die Bausenatorin Katrin Lompscher 2017 bei einer Veranstaltung, als es darum ging, Wege aus der Wohnungsnot zu finden. Einige Monate später dann klagte sie im Interview mit der „Zeit“, dass Teile von Berlin einer kapitalistischen Stadtentwicklung anheimgefallen seien, „da haben wir kaum noch Interventionsmöglichkeiten“.

Die Spekulanten-Schelte der Bausenatorin in allen Ehren – auf ein einziges freundliches Wort Lompschers müssen Berlins private Bauunternehmen hingegen bis heute warten. Dabei sind sie es, die das Gros aller neuen Wohnungen in der Hauptstadt errichten, während die landeseigenen Betriebe die Senatsziele Quartal für Quartal verfehlen. Der freie Markt – für die Stadtverwaltung scheint er vor allem ein Problem zu sein, das es zu maßregeln gilt. Der einzige Markt, den man in Berlin hingegen nicht regulieren möchte, diesen Eindruck gewinnt man bisweilen, ist der Drogenmarkt im Görlitzer Park.

IHK warnt vor den Folgen

Diese Stimmung der Feindseligkeit führt mittlerweile dazu, dass sich der Geschäftsführer der Berliner Industrie- und Handelskammer (IHK) – trotz glänzender Konjunkturdaten – dazu gezwungen sieht, vor den Folgen für den Standort zu warnen. „Eine florierende Wirtschaft benötigt auch wirtschaftsfreundliche Rahmenbedingungen“, sagte Jan Eder Anfang des Jahres vor Beginn einer Senatsklausur. „Beim Betrachten der aktuellen Debatte überwiegt manchmal der Eindruck, dass viele der Vorstellung von einer werbefreien, autofreien und sonntags leider geschlossenen Metropole anhängen. Aus Sicht der Wirtschaft ist das eine bedenkliche Entwicklung.“ Kurzum: Berliner Unternehmen schreiben derzeit gute Zahlen trotz der Politik – nicht wegen ihr.

Und darüber sollte auch die jüngste Ankündigung von Siemens nicht hinwegtäuschen, in der Hauptstadt 600 Millionen Euro in einen Innovationscampus zu investieren. Fairerweise muss man zwar sagen, dass Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) mit viel Engagement um die Ansiedlung des Konzerns warb. Ihr Einsatz wurde aber immer wieder aus den Reihen der eigenen Koalition torpediert. Denn anders als nun kolportiert ging dem Siemens-Entschluss keineswegs ein gemeinsames Bemühen des Senats voran.

Im Gegenteil: Bereits seit 2001 hatte der Konzern das denkmalgeschützten Magnus-Haus im Bezirk Mitte vom Land gekauft, um darin seine Hauptstadtrepräsentanz zu eröffnen. In den 17 folgenden Jahren bemühte Siemens sich dann darum, eine Baugenehmigung zu erhalten – vergeblich. Der Frust in der Siemens-Führung über die nicht vorhandene Willkommenskultur war daher hoch – die Stimmung zwischen der Siemens-Führung und dem Regierenden Michael Müller sei bisweilen „eisig“ gewesen, heißt es aus Konzernkreisen. Intern habe es daher einige Stimmen gegen, die heftig gegen die Großinvestition in der deutschen Hauptstadt opponiert hätten.

Der Senat als Konkurrent

Und diesem Unmut begegnet man immer wieder, wenn man sich mit Berliner Unternehmern unterhält. „Weiten Teilen des Senats fehlt das Verständnis dafür, welche Bedeutung Unternehmen für das gesellschaftliche Ökosystem haben“, sagt etwa Ronald Slabke, Vorstandschef des IT-Dienstleisters Hypoport. Das Unternehmen zählt zu den Erfolgsgeschichten, die in den vergangenen Jahren in dieser Stadt geschrieben wurden: In den letzten zwölf Jahren ist Hypoport bundesweit von 300 auf 1400 Mitarbeiter gewachsen. Ein Großteil der Mitarbeiter arbeitet in Berlin. Als das Unternehmen allerdings seine bislang angemietete Firmenzentrale in der Klosterstraße kaufen wollte, machte der Senat Slabke einen Strich durch die Rechnung.

Hypoport-Chef Ronald Slabke.
Hypoport-Chef Ronald Slabke.

© Doris Spiekermann-Klaas

Drei Monate nach Unterzeichnung des Kaufvertrages, dem jahrelange Verhandlungen vorangegangen waren, schnappte der Senat ihm das Gebäude per Vorkaufsrecht weg. Begründung der Senatsverwaltung für Finanzen: Man wolle das Gebäude nun lieber selber nutzen und fordere Hypoport zum Auszug auf. „Berliner Wirtschaftspolitik funktioniert für Unternehmer wie ein Hindernislauf im Nebel – man weiß nie, was einem als Nächstes bevorsteht“, stöhnt Slabke. Doch den Unternehmer kostete die Senatsintervention nicht nur die schon sicher geglaubte Immobilie, sondern auch eine ganze Stange Geld: „Insgesamt ist uns ein unmittelbarer Schaden von einer halben Million Euro entstanden.“ Die Gespräche mit dem Senat über eine geeignete Alternative ziehen sich nun schon ein Jahr hin. Unternehmer Slabke denkt deshalb weiterhin über Konsequenzen nach. „Auch eine Verlegung des Hauptsitzes weg aus Berlin ist noch nicht vom Tisch“, sagt er. Und fügt hinzu: „Leider.“

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