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Wer nicht stark und solvent genug ist, wird von der nächsten Generation verdrängt.

© Kitty Kleist-Heinrich

Wir Mütter vom Kollwitzplatz (III): Hier eine Wohnung zu finden, ist so aussichtslos wie als Frau Anfang 50 mit Kind einen neuen Partner

Der Ex-Mann zieht ins Loft, die Frau raus nach Britz. Irgendwann trägt das Finanz-Karussell so manche Mutter von Prenzlauer Berg nach außen.

Seit 1999 wohne ich am Kollwitzplatz und habe mit insgesamt drei Kindern hier etwa genauso viele Stunden auf dem berühmtesten Spielplatz Europas verbracht. Trotzdem würde ich mich niemals eine „Mutter vom Kollwitzplatz“ nennen. Ich lache über sie. Denn die Mütter vom Kollwitzplatz, das sind immer die anderen. Vermutlich macht mich genau das zu einer von ihnen.

Auch Ute gehört dazu. Der Vater des Kindes, das sie zu einer von uns macht, gehört nicht mehr zu Ute. Wir kennen uns von dem Elternabend, bei dem sie auf die Frage, ob sie also Alleinerziehende sei sagte: „Nein. Ich bin Halberziehende.“ Da wusste ich, dass ich mit ihr befreundet sein will.

Aline von Drateln, Mutter vom Kollwitzplatz.
Aline von Drateln, Mutter vom Kollwitzplatz.

© Christobal

Wenn ihre Kinder bei ihrem Ex waren, saßen wir oft in einer der letzten Kneipen, die es in Prenzlauer Berg noch gibt. Als die noch keine Kinderklamottenläden geworden waren, die dann Olivenölläden geworden sind. Und als sie noch auf hatten.

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Nicht erst seit Corona ist dieser Szenebezirk nur noch Bezirk. Als Ute überraschend erfuhr, dass ihr Mann sich von seiner Jugendliebe aus Sindelfingen irgendwie besser verstanden fühlt, war ihr erster Gedanke: „Ich darf die Wohnung nicht verlieren!“

Sie verlor beides. Mann und Wohnung. Rund um den Kollwitzplatz eine neue Unterkunft zu finden, ist heute so aussichtslos wie als Frau von Anfang fünfzig mit zwei Kindern einen neuen Partner.

„Danach wollen wir ins Ausland oder nach Dahlem“

In ihre alte Vier-Zimmer-Wohnung zog ein Paar aus Bayern, das Prenzlauer Berg immer noch wild findet, die Mieten hier aber nicht so wild. Wenn man aus München kommt, erwartet man ja nichts anderes und jetzt erwarten sie Zwillinge. Zum Kauf suchten sie trotzdem nichts. „Wir bleiben hier ja nur so lange die Kinder klein sind. Danach wollen wir ins Ausland oder nach Dahlem“, sagte ihr die werdende Mutter vom Kollwitzplatz bei der Besichtigung.

Sie glauben, dass sie die regionale Wirtschaft unterstützen, wenn sie auf dem Markt sieben Euro für ihr Glas Bio-Rosé bezahlen.
Sie glauben, dass sie die regionale Wirtschaft unterstützen, wenn sie auf dem Markt sieben Euro für ihr Glas Bio-Rosé bezahlen.

© Getty Images

Mit den Müttern vom Kollwitzplatz ist hier auch ein neues Phänomen entstanden: Gutbürgerliche Mietnomaden. Zahlungsfreudige junge Eltern aus dem ganzen Land, die ironisch vom Dorfleben in Prenzlauer Berg profitieren wollen, indem sie vorgeben, aus der behüteten Provinz jetzt in die große Stadt gezogen zu sein. Um dort den wohligen Schauer einer kriminellen Erfahrung zu spüren, wenn ihnen das Lastenfahrrad aus dem Keller geklaut wird.

Und es heimlich megacool finden, mit Jan Delay auf dem Spielplatz die Schaufel zu teilen. Auch wenn sie so tun, als kennten sie ihn nicht. Nur Dorfdeppen würden hier einen Promi nach einem Selfie fragen.

[Lesen Sie hier Folge II: Sie sind reich, ehrgeizig, egoistisch. Ihre größte Unverschämtheit: Sie sind Frauen.]

Was der kollektive Zuzug von Zugezogenen auf Zeit für den Kiez bedeutet, ist vielen von ihnen nicht klar. Sie meinen es sicher nicht böse. Sie glauben ja auch, die Berliner Wirtschaft anzukurbeln, wenn sie auf dem Kollwitzmarkt sieben Euro für ihr Glas Bio-Rosé zahlen.

Wer Geld hat, gewinnt. Das Spiel der Vermögenden ist grausam.
Wer Geld hat, gewinnt. Das Spiel der Vermögenden ist grausam.

© imago/Sven Ellger

Aber der Kollwitzplatz wird nicht nur von den Vermieter:innen ausgebeutet. Sondern auch von den Mieter:innen, die das grausame Monopoly-Spiel ab 18 mitspielen. Und dann weiterziehen.

Wie Easyjet-Tourist:innen, die für 29 Euro für ein Wochenende herkommen, bei McDonalds essen und das Hotel sparen, in dem sie im Club durchmachen, wird Prenzlauer Berg zur Kulisse eines Lebensabschnitts.

Andere mit Nachwuchs kommen nach

Eine Mutter auf der Durchreise auf dem Kollwitzplatz hinterlässt keine Leere. Denn andere mit Nachwuchs kommen nach. Aber sie versperren anderen Müttern vom Kollwitzplatz, wie zum Beispiel Ute, den Weg, hier weiter wohnen zu können.

Es ist ein Karussell entstanden. Ein schnell drehendes Karussell, und wer nicht stark und finanzkräftig genug ist, das Tempo mitzugehen, wird langsam nach außen getragen bis man schließlich von den Fliehkräften rausgeworfen wird, wenn sie nicht schon zuvor selbst fliehen.

Aus der behüteten Provinz ins Dorfidyll Prenzlauer Bergs: Diesen Weg werden immer neue Reiche mit Nachwuchs gehen.
Aus der behüteten Provinz ins Dorfidyll Prenzlauer Bergs: Diesen Weg werden immer neue Reiche mit Nachwuchs gehen.

© Jens Kalaene, picture alliance / dpa

Ute kennt diesen Vorwurf. Er wurde ihr selbst gemacht. Vor sieben Jahren, als sie die Vier-Zimmer-Wohnung von Mandy übernahm. Die wohnt seitdem in Britz.

Schwaben wie Ute gehören bereits zur zweiten Generation dieses Jahrtausends, die aus Prenzlauer Berg verdrängt wurde. Das Feindbild vieler ist schon längst veraltet.

Zwei Zimmer Erdgeschoss jenseits des S-Bahn-Rings

Der Vater von Utes Kindern ist in ein Loft nach Kreuzberg gezogen. Seit seine Jugendliebe ihn doch nicht mehr so gut verstanden hat, trifft er sich dort manchmal mit Easyjet-Touristinnen. Er hat sich bereits impfen lassen, weil er sich sehr nach dem Ende der Pandemie sehnt.

Ute hat jetzt auch was gefunden: Eine Zwei-Raum-Wohnung, Erdgeschoss und jenseits des S-Bahn-Rings, im Norden von Prenzlauer Berg. Einen Ehevertrag fand sie damals spießig. Irgendwie zu schwäbisch.

Aline von Drateln lebt am Berliner Kollwitzplatz. Alle 14 Tage prüft sie, was am öffentlichen Bild über Frauen in Prenzlauer Berg nicht stimmen kann. Lesen Sie hier Folge I: Allein gelassen – wenn nicht vom Kindsvater, dann von der Politik.

Aline von Drateln

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