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Berlin steckt fest. Dass die Verwaltung nicht richtig funktioniert, darüber sind alle Parteien einig. Nur die Lösungen sind unterschiedlich.

© Jörg Carstensen/dpa

„Wir haben eine Revolution vor!“: Wie Berlin dem Verwaltungschaos entkommen könnte

SPD, Grüne und Linke haben im Tagesspiegel einen Vorschlag für eine Verfassungsreform gemacht – nun antworten drei CDU-Politiker.

Drei Reformer der Koalition, Frank Nägele, Monika Herrmann und Sören Benn haben im Tagesspiegel ihre Vorstellung für eine Verfassungsreform zur Verwaltungsmodernisierung vorlegt.

Hier die Antwort von drei CDU-Politikern: Kai Wegner (48), ist Landesvorsitzender der CDU und seit zwölf Jahren Bundestagsabgeordneter. Er gilt als der kommende Spitzenkandidat der CDU für die Abgeordnetenhauswahl 2021.

Thomas Heilmann (56), war bis 2016 Justizsenator in Berlin und ist seit 2017 Bundestagsabgeordneter. Er ist Autor des Buches „Neustaat – Politik und Verwaltung müssen sich ändern“.

Cerstin Richter-Kotowski (58) war zehn Jahre Stadträtin und ist seit 2016 Bezirksbürgermeisterin in Steglitz-Zehlendorf und stellvertretende Landesvorsitzende der CDU Berlin.

Was wir am R2G-Vorschlag im Wesentlichen gut finden

Wegner: Wenn die Erkenntnis, unsere Verwaltung funktioniert zu schlecht, sich auch bei Rot-Rot-Grün durchsetzt, dann kann man nur zustimmen. Wir sagen das seit langem. Auch deren Analyse, die Aufgabenverteilung zwischen Senat und Bezirk muss sich ändern, teilen wir. Im Interesse unserer Stadt müssen wir das aufgreifen.

Es gibt genug Schnittmengen für eine Änderung unserer Verfassung. Wir wollen aber von Verwaltungsmodernisierung nicht nur reden, sondern jetzt den nächsten konkreten Schritt: Wir wollen mit einem Verfassungskonvent zur Reform der Berliner Verwaltung parteiübergreifend festlegen, wann was in welchen Schritten umgesetzt wird. So schaffen wir noch vor den nächsten Wahlen in 2021 eine gemeinsame Grundlage, mit der der neu zusammengesetzte Senat dann schnell mit der Arbeit beginnen kann.

Richter-Kotowski: Das Zusammenspiel von Senat und Bezirken ist gegenwärtig nicht zukunftsfähig und das geht zu Lasten aller Bürger, der Schulen, der Straßen, der Grünanlagen und so weiter. Im Tagesspiegel schreiben die drei Vertreter der Koalition drastisch und zu Recht, „wo Verantwortung nicht verortbar ist, verschwinden Impulse und Aufgaben in einem schwarzen Loch.“

Berlin sitzt in der Komplexitätsfalle

Heilmann: Rot-Rot-Grün hat zwar eine richtige Analyse und einen Appell vorgelegt, aber noch keine gemeinsame Lösung. Wir sind gedanklich weiter. Um die Verwaltung spürbar effizienter zu machen, brauchen wir völlig neue Prozesse, eine neue Gesetzestechnik, einen Kulturwandel in der innerbehördlichen Zusammenarbeit und auch einen neuen Umgang mit dem Personal. Eine echte Modernisierung muss also vieles berücksichtigen und wird sich nicht alleine durch eine Verfassungsreform einrichten lassen, die man nebenher mal eben beschließt. Aber ohne geht es eben auch nicht. Sonst bleibt es bei dem Behörden- Ping-Pong, das Benn, Herrmann und Nägele zu Recht beklagen und das für die Betroffenen unzumutbar ist.

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Wer immer in dieser Stadt eine Schule besucht, sein Auto anmelden will oder einen Reisepass benötigt, spürt die Unzulänglichkeiten. Berlin verspielt seine Zukunft, wenn wir weiter so langsam planen und noch langsamer umsetzen. Berlin sitzt in der Komplexitätsfalle.

Wegner: Die Folgen sind Wohnungsnot, verpasste Ansiedlungen, marode Schulen, Lehrermangel, eine magere Klimabilanz, schlechte Straßen, ungepflegte Parkanlagen, unzulängliche Fahrradwege und überlange Verfahren bei Gericht.

Warum eine Verfassungsreform so wichtig ist

Wegner: Weil wir drei Dinge brauchen: handlungsfähige Bezirke, klare Verantwortlichkeiten für Planung und Umsetzung von Veränderungen und einen Pfad für den Umbau der Verwaltung in das digitale Zeitalter. Der Umbau wird ja nicht von heute auf morgen klappen. Das muss der nächste Senat leisten – egal in welcher Konstellation. Dafür sollten wir noch vor den Wahlen eine gemeinsame Grundlage schaffen.

Die Bezirksbürgermeister brauchen ein Weisungsrecht

Richter-Kotowski: Mit der Direktwahl der Bürgermeister haben die Kommunen in den Flächenländern gute Erfahrungen gemacht. Auch das Weisungsrecht des Bürgermeisters an die fünf Stadträte, das Benn, Herrmann und Nägele vorschlagen, finde ich richtig. Anders als sie wollen wir weiter ein parteiübergreifendes Bezirksamt. Die meisten kommunalen Entscheidungen sollten nicht von Parteipolitik bestimmt sein.

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Wegner: Wir müssen festlegen: Für was genau sind die Bezirke zuständig, wie bekommen sie genug Geld, bekommen sie - wie andere Kommunen auch - Anteile am Steueraufkommen, und wie viel Personal dürfen sie einstellen.

Heilmann: Das Thema Personal ist absolut zentral, zumal auch noch über ein Drittel in den nächsten Jahren in Pension geht. Die Bezirksämter haben ja jetzt schon Probleme, geeignete Nachwuchskräfte zu finden. Das Problem wird sich in Zukunft noch drastisch verschärfen.

Wir brauchen einen völlig anderen Umgang mit Personal und neuen Talenten

Wegner: Thomas Heilmann hat mit 30 Bundestagskollegen ein bahnbrechendes Buch mit dem Titel „Neustaat“ geschrieben, das auch der Tagesspiegel zu Recht sehr gelobt hat. Es ist ein Gesamtkonzept, wie der Staat besser und effizienter wird. Der Umgang mit Personal ist da nur eine Säule von vielen, und die wollen wir auch auf Berlin anwenden.

Heilmann: Wir schlagen Konzepte vor, wie wir Talente schneller mit unterschiedlichen Kompetenzen einstellen, gerechter beurteilen und transparenter befördern, umfassender weiterbilden und – ganz wichtig – neue Formen der Zusammenarbeit in den Behörden einführen.

Das Parteibuch darf bei Beförderungen keine Rolle spielen

Wegner: Bei Beförderungen muss es ausschließlich um die Leistung gehen, nicht um Parteibücher. Der allergrößte Teil der Mitarbeiter ist hochmotiviert und engagiert und darf deshalb nicht zum Sündenbock verkrusteter und überkommener Strukturen gemacht werden. Wir wollen ein neues Klima in der Verwaltung, Wertschätzung, Verantwortung und bessere Möglichkeiten der Weiterbildung und Qualifikation.

Kai Wegner, Landesvorsitzende der CDU-Berlin und designierter Spitzenkandidat für die Abgeordnetenhauswahl 2021.
Kai Wegner, Landesvorsitzende der CDU-Berlin und designierter Spitzenkandidat für die Abgeordnetenhauswahl 2021.

© Christoph Soeder/dpa

Wir wollen, dass der Öffentliche Dienst einer der attraktivsten Arbeitgeber wird und dass der Servicegedanke für die Kunden der Verwaltung immer an erster Stelle steht. Hier müssen übrigens auch IT-getriebene Projekte in Zukunft eine noch größere Rolle spielen.

In der Verwaltung müssen Stationswechsel belohnt werden

Heilmann: Fast alle größeren Projekte haben jetzt schon eine starke IT-Basis. Wer in Zukunft leitende Funktionen übernehmen will, muss Erfahrungen mit IT-Projekten haben. Anders wird man den Erfolg von Projekten kaum gewährleisten können. Außerdem muss der Perspektivwechsel belohnt werden. Statt zwischen den Ebenen Bund – Land – Bezirk Talente gegenseitig abzuwerben, wollen wir eine Rotation für alle anbieten. Ich muss also auch mal woanders gearbeitet haben, wenn ich aufsteigen möchte. Das schafft Verständnis für die Anforderungen und Probleme der anderen Behörden. Dutzende Verwaltungsexperten und Personalvertretungen, mit denen wir gesprochen haben, unterstützen solche Maßnahmen ausdrücklich. Wir wollen diese Bedingungen ins Gesetz schreiben.

Richter-Kotowski: Wir sollten auch über Mindestqualifikationen für Bezirksstadträte nachdenken. Die sind ja nichts anderes als Leiter von Großprojekten.

Wir brauchen einen Kompetenzpool für alle

Wegner: Der Öffentliche Dienst kann grundsätzlich ein attraktiver Arbeitgeber sein. Er bietet Sicherheit und für junge Menschen hochspannende und relevante Themen. Wir müssen aber den Bewerbungsprozess viel schneller und transparenter gestalten. Vom Bewerbungseingang bis zur Entscheidung vergeht so viel Zeit, da sind die guten Bewerber schon wieder über alle Berge. Die Generalstaatsanwältin in Berlin schreibt ungeniert, dass nur Bewerbungen in Papier angenommen werden.

Richter-Kotowski: Außerdem ist der Bewerbungsprozess viel zu kompliziert. Wenn ich mich als motiviertes Talent bewerben möchte, muss ich das für jede Stelle einzeln tun, anstatt ein einziges Mal meine Kompetenzen darzulegen und mich damit sozusagen allgemein für den Öffentlichen Dienst zu bewerben. Dabei geht es den meisten doch gar nicht um bestimmte Stellen, sondern um den Arbeitgeber. Wir wollen deswegen einen einheitlichen Kompetenzpool. Dort bewirbt man sich einmal und die Behörden können sich dann Ihre Kandidaten rausziehen, am besten ebenenübergreifend.

Weg vom Silodenken der Behörden

Wegner: Wir müssen weg davon, dass Behörden in Silos denken und hin zu behördenübergreifender Zusammenarbeit. Dafür brauchen wir einen umfassenden Kulturwandel. Da muss eine Änderung in den Köpfen passieren. Das kann man natürlich nicht einfach verordnen, aber man kann Rahmenbedingungen schaffen, die eine bessere und effizientere Zusammenarbeit fördern. Was Brandenburg mit der Ansiedlung von Tesla mit großem Erfolg schafft, eine Zusammenarbeit im Team mit allen beteiligten Behörden, das muss der Regelfall in Behörden für alle wichtigen Veränderungen werden. Wir wollen dafür sorgen, dass Projektarbeit die Standard-Arbeitsform der Verwaltung wird.

Ohne eine einheitliche digitale Infrastruktur geht es nicht

Heilmann: Das alles müssen wir in die Verfassung schreiben, denn auch das Nebeneinander der einzelnen Senatsverwaltungen und genauso der Bezirksämter in Säulen hat seine Grundlage in der Verfassung. Eine neue Zusammenarbeit braucht eine neue Grundlage. Das geht übrigens nicht ohne die richtige digitale Infrastruktur.

Thomas Heilmann war bis 2016 Justizsenator in Berlin und ist seit 2017 Bundestagsabgeordneter.
Thomas Heilmann war bis 2016 Justizsenator in Berlin und ist seit 2017 Bundestagsabgeordneter.

© Kay Nietfeld/dpa

Nur wenn Behörden sich ohne Komplikationen austauschen können, werden sie effizient zusammenarbeiten können. Wir brauchen interoperable Systeme, also einheitliche Schnittstellen, über die unterschiedliche Software unterschiedlicher Behörden miteinander kommunizieren können. Automatisierte Entscheidungen würden alle entlasten, vor allem auch den Bürger. Er bekommt sein Wohngeld dann automatisch per Knopfdruck. Aber das setzt viel mehr voraus als eine neue Software.

Wegner: Nur wenn wir klug digitalisieren, fördern wir die Zusammenarbeit untereinander. Heute arbeiten alle nacheinander und wenn der fünfte dran ist, hat sich das Ergebnis des Ersten schon überholt. Wir brauchen vernetztes Zusammenarbeiten mit sogenannten Kollaborationstools. Dann funktioniert auch unser Föderalismus wieder besser.

Automatisierte Entscheidungen machen das Amt schneller und bürgerfreundlicher

Richter-Kotowski: Die Union schlägt ein Anrecht auf automatisierte Entscheidungen vor. Beantragung von Kindergeld oder Kfz-Zulassung, das sind Angelegenheiten, die eigentlich automatisiert entschieden werden können, weil sie in den meisten Fällen eindeutig sind. Wer ein Kind bekommen hat, bekommt Kindergeld.

Cerstin Richter-Kotowski (58) ist seit 2016 Bezirksbürgermeisterin in Steglitz-Zehlendorf und stellvertretende Landesvorsitzende der CDU Berlin.
Cerstin Richter-Kotowski (58) ist seit 2016 Bezirksbürgermeisterin in Steglitz-Zehlendorf und stellvertretende Landesvorsitzende der CDU Berlin.

© imago/IPON

Punkt. Nach unserer Vorstellung sollen Verwaltungsakte künftig vollständig automatisch erlassen werden, sofern dies durch Rechtsvorschrift zugelassen ist. Das spart dann auch Ressourcen der Mitarbeiter, die dann mehr Zeit für komplexere Fälle verwenden können. Alles würde schneller gehen.

Heilmann: Und wenn Sie Zweifel an der automatisierten Entscheidung bekämen, hätten Sie ein Recht darauf, dass diese durch einen Menschen nachgeprüft wird.

Neue Gesetze müssen Ziele erfüllen – sonst werden sie ungültig

Heilmann: Bei neuen Gesetzen wollen wir besser monitoren, was funktioniert und was nicht. Wir schlagen vor, dass mit einem Gesetz auch immer Ziele verabschiedet werden, an denen der Erfolg des Gesetzes gemessen wird. Wenn ein Gesetz das Ziel hat, die Bearbeitungszeit von Elterngeldanträgen drastisch zu reduzieren, muss das auch nach in harten Zahlen erkennbar sein. Wenn ein Gesetz seine Ziele nicht erfüllt, muss es so lange nachgebessert werden, bis es das tut, oder es verliert sonst seine Gültigkeit

Wegner: Ich wünsche mir eine Politik, die datenbasiert und differenziert Entscheidungen trifft. Gerade in Berlin macht Rot-Rot-Grün viel zu viel Politik nach persönlichem Gusto. Da geht es um ideologische Debatten um ein generelles Tempolimit, um Radwege oder um Wohnungsenteignungen. Wenn wir uns genau anschauen, wo etwa ein Tempolimit oder geschützte Radwege wegen objektiv erhöhter Unfallgefahr Sinn ergeben und wo nicht, könnten wir uns so manchen undifferenzierten Aktionismus sparen.

Wie dieses Mammutprojekt umgesetzt werden kann

Wegner: Dafür müssen wir in Berlin eine klare Zuständigkeit für die Verwaltungsmodernisierung schaffen. Verwaltungsmodernisierung schafft man nur, wenn sie zusammen mit Personal und Digitalisierung gesteuert wird. Die gegenwärtige Konstruktion mit einem Koordinator Nägele in der Senatskanzlei, der keine eigene Umsetzungskompetenz besitzt, und daneben mehrere Zuständigkeiten in verschiedenen Senatsverwaltungen hat sich als untauglich erwiesen.

Heilmann: Wir haben eine kleine Revolution vor. Im Bund und auch im Land. Unsere Welt verändert sich extrem, da können wir nicht mit dem bisherigen Tempo und den bisherigen Instrumenten weiter machen. Ich denke, wir haben gemeinsam das Potenzial, unser Land auf eine neue Stufe zu heben.

Kai Wegner, Thomas Heilmann, Cerstin Richter-Kotowski

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