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Ein Mann wird bei einem Protest gegen die Corona-Maßnahmen vor der Siegessäule von Polizisten abgeführt.

© Christoph Soeder/dpa

Update

„Wir brauchen ein Lagebild“: Grüne wollen Straftaten von Corona-Skeptikern als politische Kriminalität einordnen

Der Berliner Innenpolitikexperte Benedikt Lux will, dass die Sicherheitsbehörden ein Lagebild erstellen. Unterstützung kommt von der Gewerkschaft der Polizei.

Die fortschreitende Radikalisierung der Gegner der Corona-Maßnahmen beschäftigt zunehmend Politik und Sicherheitsbehörden. Fälle von Drohungen im Internet, Angriffe auf Sicherheitskräfte bei Demonstrationen oder aggressive Maskenverweigerer nehmen im Gefühl vieler zu. Auch hinter dem Angriff auf ein Gebäude des Robert-Koch-Instituts oder einem Brandsatz an der Berliner Invalidenstraße werden in Sicherheitskreisen radikale Gegner der Regierungspolitik vermutet.

Bislang gibt es allerdings keine wirkliche Übersicht über die Straftaten der Corona-Skeptiker. Der innenpolitische Sprecher der Berliner Grünen-Fraktion, Benedikt Lux, fordert deshalb: „Wir brauchen ein Lagebild über Straftaten der Gegner der Corona-Maßnahmen, um die gefühlte Radikalisierung mit Fakten unterlegen zu können.“

Dazu müsste es allerdings erstmal eine zentrale Erfassung dieser Taten geben, meint Innenexperte Lux. „Die Taten passieren in den unterschiedlichsten Lebensbereichen: Es sind Maskenverweigerer, die in Bus und Bahn ausrasten, Drohungen gegen Herrn Drosten oder Politiker, schlichte Graffitis oder Angriffe auf Polizeibeamte bei Demonstrationen.“

Die Polizei müsse für den besonderen Hintergrund dieser Taten sensibilisiert werden, schon bei der Aufnahme der Straftaten vor Ort. Lux schlägt vor, die Straftaten der radikalen Corona-Skeptiker ebenso wie rechtsextremistische, linksextremistische und islamistische Straftaten in den Bereich der politisch motivierten Kriminalität einzuordnen.

Zustimmung dafür kommt von der Berliner Gewerkschaft der Polizei (GdP). Landeschef Norbert Cioma sagte dem Tagesspiegel: „Es ist klar zu erkennen, dass die Radikalisierung im Zusammenhang mit den Anti-Corona-Demos zunehmend wächst.“ Deshalb sei es auch vollkommen richtig, ein Lagebild zu erstellen, um genau zu sehen, wer dafür verantwortlich sei.

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Cioma schränkt allerdings ein, dass nicht alle Verstöße als politisch motivierte Kriminalität zu bewerten seien, „denn wir haben es mit sehr heterogenen Teilnehmenden und einer diffizilen Situation zu tun“. Er kritisiert, dass die Berliner Politik mit dem neuen Versammlungsfreiheitsgesetz auf Demonstrationen „nahezu alles ermöglichen will, gleichzeitig aber das einschränken möchte, was nicht in die eigene politische Agenda passt.“

Benedikt Lux, innenpolitischer Sprecher der Berliner Grünen-Fraktion, bei einer Aktuelle Stunde zum Thema Gewalt gegen Polizei und Feuerwehr.
Benedikt Lux, innenpolitischer Sprecher der Berliner Grünen-Fraktion, bei einer Aktuelle Stunde zum Thema Gewalt gegen Polizei und Feuerwehr.

© imago images/Joko

Kritisch äußerte sich der fraktionslose Abgeordnete Marcel Luthe zu dem Vorstoß. "Ein Lagebild macht nur Sinn, wenn es alle Aspekte umfasst: sowohl die Straftaten durch als auch die Straftaten gegen bestimmte Gruppen", sagte er. "Wir müssen hier viel stärker differenzieren: zwischen denen, die schlicht nicht wollen und denen, die weder müssen noch können."

In Sachsen würden Menschen, die gar nicht von der Maskenpflicht betroffen sind, durch klare Regelungen vor Diskriminierung geschützt - dies sei in Berlin nicht so. "Wir brauchen auch in Berlin eine solche Regelung in der Verordnung - und dringend verbale Abrüstung", meint Luthe.

Inzwischen geraten allerdings auch Polizisten in das Visier radikaler Corona-Skeptiker. Ein Einsatzleiter der Berliner Polizei, der einen Corona-Proteste am Brandenburger Tor auflöste, wird seit mehr als einem Monat bedroht. Über Wochen wurde seine Familie einem Telefonterror mit Beschimpfungen und Drohungen ausgesetzt, wie seine Frau dem Tagesspiegel berichtet. Sie zählte an einem Tag allein 71 Anrufe.

In einem „Krisendepesche“ genannten Blog schrieb jemand: „Ich persönlich hoffe einfach, dass man ein Exempel an diesem Wixer statuiert und ihn an ein Kirchentor nagelt.“ Der Einsatzleiter sei mit seiner Durchsage am 1. August „vom deutschen Polizisten zum Genossen der Volkspolizei“ geworden.

Innensenator Andreas Geisel (SPD) sagte zu der Debatte am Donnerstag im Abgeordnetenhaus: „Wir schauen genau hin, um welche Straftaten es sich handelt.“ Die Sicherheitsbehörden schätzen ein, dass die „Aggressivität“ der Teilnehmer der Anti-Corona-Demonstrationen erheblich gestiegen sei.

Aber die Herausforderung bestehe darin, Menschen im Dialog zu überzeugen, warum diese Maßnahmen notwendig sind. „Das Gesprächsangebot muss da sein“, sagte Geisel.

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