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In Pyeongchang beginnen am 9. Februar die Olympischen Winterspiele.

© REUTERS/Fabrizio Bensch

Winterspiele in Pyeongchang: Berlin und Korea sind für immer verwoben - durch Olympia

Dort, wo er 1936 Marathon-Gold gewann, erinnert eine Bronzestatue an ihn. Sohn Kee Chung lief unter japanischer Flagge - aber gab den Koreanern Hoffnung.

Von Ronja Ringelstein

Wenn am Freitagmittag im fernen südkoreanischen Pyeongchang der Nordische Kombinierer Eric Frenzel die deutsche Flagge ins Olympiastadion trägt, wird es unterm Glockenturm in Charlottenburg wohl still zugehen. Kein Olympialüftchen weht hier. Berlin ist kein Ort für Wintersport und auch die Sommerspiele wollen die Berliner nicht. Berlin ist ein Olympiamuffel.

Das stimmt so natürlich nicht ganz: Berlin, Korea, Olympia. Die drei sind seit dem Jahr 1936 für immer miteinander verwoben, wer olympischen Wind in Berlin spüren will, der gehe dieser eisigen Tage vom Glockenturm in Richtung Horst-Korber-Sportzentrum. Dort wird er ihn finden, den koreanischen Nationalhelden, der dort seit etwas über einem Jahr seinen Platz hat, überlebensgroß in Bronze gegossen. Er gab unter den Augen Adolf Hitlers seiner Nation den Stolz zurück.

Oftmals weiß einer zu Lebzeiten noch nicht, dass er ein Held wird. Weiß, während er Heldenhaftes tut, noch nicht, dass ihn Generationen nach ihm zum Symbol machen werden. So ging es wohl dem Koreaner Sohn Kee Chung, der 1936 im Berliner Olympiastadion Marathon-Gold gewann. Er war ein trauriger Gewinner. Sohn musste unter der Flagge der Kolonialmacht Japan und unter dem japanischen Namen Son Kitei antreten.

Falsche Flagge. Der Koreaner Sohn musste 1936 für die Japaner antreten.
Falsche Flagge. Der Koreaner Sohn musste 1936 für die Japaner antreten.

© AFP

1910 hatte Japan die koreanische Halbinsel annektiert und sie zur Kolonie erklärt. Es begann eine Zeit wirtschaftlicher Ausbeutung und Unterdrückung, seine eigene Flagge durfte Korea nicht mehr zeigen.

Marathonläufer Sohn kommt 1936 nach einer langen Reise mit der transsibirischen Eisenbahn aus Seoul am Bahnhof Friedrichstraße an. Knapp sieben Wochen wird er in Berlin bleiben. Leni Riefenstahl, die Hitlers Athleten wie griechische Götter in Szene setzt, nimmt sich auch den damals 23-jährigen Sohn vor die Kamera, der unter der Flagge der verhassten Besatzungsmacht schließlich über 42 Kilometer als Gewinner durch das Ziel läuft. Zum ersten Mal gewinnt Korea olympisches Gold – und auch Bronze. Der Koreaner Sung Yong Nam wurde Dritter. Angerechnet wurden beide Erfolge Japan.

Kann Korea zusammenwachsen wie Deutschland?

Dieser Schmerz sitzt noch heute tief. Es ist ein Berliner Wintertag, da versammeln sich ein paar gut gekleidete Männer um die Bronzestatue von Sohn Kee Chung. Eine Delegation aus Südkorea – Politiker der konservativen Bareun-Partei – ist auf Einladung der Konrad-Adenauer-Stiftung nach Berlin gekommen. Nach Diskussionen zur aktuellen Sicherheitslage auf der koreanischen Halbinsel, angesichts der Bedrohung durch den Diktator im Norden des Landes, stehen die Männer nun vor Sohns Abbild und lachen. Einer macht die laufende Haltung nach, ein anderer berührt andächtig den kalten glatten Arm der Statue. Alle machen Selfies. Schon in Kinderbüchern ist die Geschichte Sohn Kee Chungs aufgeschrieben.

Die Statue des Marathonläufers Sohn Kee Chung auf dem Gelände des Horst-Korber-Sportzentrums.
Die Statue des Marathonläufers Sohn Kee Chung auf dem Gelände des Horst-Korber-Sportzentrums.

© LSB/Engler

„Herr Sohn hat den Leuten damals Hoffnung gegeben. Er ist unser Held“, sagt einer der Delegierten. Und er erzählt, wie die koreanischen Zeitungen nach dem Sieg 1936 auf den Fotos die rote japanische Sonne auf dem Trikot einfach wegretuschierten. Daraufhin wurden die Redaktionen geschlossen. Japan befürchtete, dass das Streben nach Unabhängigkeit der Koreaner wieder aufleben würde.

Sohn wurde bei seiner Rückkehr nicht gefeiert. Inzwischen ist ein Sportzentrum in Seoul nach ihm benannt. „Aber so eine große Statue haben wir nicht“, sagen die Delegierten. Ein Selfie noch, dann wird wieder über Politik gesprochen. Denn eigentlich sind die Herren hier, zu Besuch beim Landessportbund (LSB), der auf dem Gelände des Olympiastadions seinen Sitz hat, um sich eine andere Geschichte erzählen zu lassen: die deutsche. Ein geteiltes Land hat Vertreter geschickt, um in seine – vielleicht – potenzielle Zukunft zu sehen: Kann Korea zusammenwachsen, wie Deutschland zusammengewachsen ist?

Olympia als Friedensbringer

„Gemeinsamer Sport war ein Bedürfnis der Deutschen zu DDR-Zeiten, aber die allgemeinen politischen Verhältnisse haben den Rahmen für den Sport vorgegeben – und ihn eingegrenzt“, sagt Klaus Böger, Chef des LSB. Bis 1964 hatten die BRD und die DDR eine gesamtdeutsche Olympiamannschaft. Doch schon mit Beginn des Mauerbaus 1961 wurde der sportliche Austausch immer schwieriger. Sport könne nur dann ein Antriebsmotor gegen die Teilung eines Landes sein, wenn die Politik gleichzeitig Schritte der Entspannung betreibe, meint Böger.

Nord- und Südkorea machen inzwischen vorsichtige Annäherungen. Neben dem südkoreanischen Team werden bei dieser Eröffnungsfeier auch Athleten Nordkoreas ins Stadion einlaufen. Es kann ein Anfang sein. Die Charta der Olympischen Spiele orientiere sich an Völkerverständigung und Frieden, sagte Böger. „Es ist eine Utopie, aber es wäre wunderschön, wenn die Spiele in Pyeongchang dazu führen könnten, Korea friedlich zu vereinen.“

Unweit der Stelle, wo Son Kee Chungs Statue heute steht, auf dem Grün des Olympiastadions, gab es 1989, zwei Tage nach dem Mauerfall, ein Fußballspiel. Hertha BSC empfing SG Wattenscheid 09. Rund 60 000 Besucher strömten zu dem Zweitliga-Spiel – es war das erste Fußballspiel nach der Teilung Deutschlands, zu dem wieder alle Berliner gehen konnten. Denn auch wenn Sport die Politik nur schwer beeinflussen kann: Die Menschen bewegt er, ob in Berlin oder in Pyeongchang.

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