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BVG und S-Bahn wollen die Preise anheben - obwohl der Senat im Koalitionsvertrag beschlossen hatte, die Preise einzufrieren.

© Kitty Kleist-Heinrich

Update

Wieder Krach bei Verkehrspolitik: Berliner Senat streitet über Tariferhöhungen bei BVG und S-Bahn

Linke und Grüne streiten über die VBB-Tariferhöhung. SPD-geführte Senatskanzlei und Finanzverwaltung stimmten zu - trotzdem kommt Kritik von Sozialdemokraten.

Nachdem sich zuletzt vor allem SPD und Grüne bei der Verkehrspolitik ineinander verhakt hatten und sich gegenseitig vorwarfen, die von der Koalition als gemeinsames Ziel verabredete Verkehrswende gegen die Wand zu fahren, schaltet sich nun auch die Linkspartei in den Streit ein. 

Anlass ist die am Mittwoch vom Aufsichtsrat des Verkehrsverbundes VBB mit Zustimmung der Berliner Mitglieder beschlossene Erhöhung der Ticketpreise. Ab 2021 kostet das Einzelticket im Tarifbereich AB drei Euro statt wie bislang 2,90 Euro, der Preis für das Monatsabo AB steigt von 84 auf 86 Euro. 

Gleich bleibt allein der Preis für die Berliner Abo-Karten mit monatlicher oder jährlicher Abbuchung. Das gilt auch für das Jobticket. Laut VBB liegt die verbundweite durchschnittliche Steigerungsrate bei rund 1,9 Prozent.

Während der Verkehrsverbund die Preiserhöhung mit gestiegenen Kosten und weniger Fahrgästen vor allem in der Fläche Brandenburgs begründet, sieht sich die Linkspartei in Berlin erstens düpiert und zweitens hält sie den Koalitionsvertrag für gebrochen. 

Darin heißt es im Abschnitt „ÖPNV-Tarife sozialverträglich gestalten“, die Fahrpreise würden „eingefroren“, bis eine Facharbeitsgruppe die zukünftige Fahrpreisgestaltung erarbeitet hat. Statt Erhöhungen sollte „eine Änderung der Tarifstruktur und eine Senkung der Fahrpreise“ geprüft werden, damit über neue Fahrgäste zusätzliche Einnahmen gewonnen werden können.

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Weil eine Erhöhung der Fahrpreise dieser Zielsetzung explizit widerspricht, erklärte Kristian Ronneburg, verkehrspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, kurz nach Bekanntwerden der Entscheidung des Aufsichtsrates: „Wir halten die Tariferhöhung im VBB für falsch.“ 

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Sie belaste vor allem diejenigen Menschen zusätzlich, die in sogenannten systemrelevanten Berufen tagtäglich auf den ÖPNV angewiesen sind. Zusätzlich werde die „notwendige Verkehrswende“ und damit der angestrebte Umstieg der Menschen vom Auto auf Busse und Bahnen erschwert.

[Die Übersicht der neuen VBB-Tarife ab 1. Januar 2021 kann hier als pdf-Datei heruntergeladen werden.]

Hinzu kommt: Im Juni hatten sich die Bund und Länder geeinigt, die coronabedingten Verluste der Verkehrsunternehmen zu kompensieren - fünf Milliarden Euro bundesweit sollen es sein. Auch das Land Brandenburg müsste für einen Teil aufkommen.

Ein Insider schätzt, dass diese Zahlungen die Verluste der Unternehmen locker ausgleichen müssten, weil in der Modellrechnung vom Worst Case ausgegangen worden sei. Diese Verluste dürften demnach kein Argument für die Preisanhebung sein, ergänzt der Verkehrsexperte.

Politischen Sprengstoff für die zuletzt ohnehin häufig zerstritten wirkende Koalition aus SPD, Linken und Grünen birgt der Vorwurf der Linkspartei, die grün-geführte Senatsverwaltung für Umwelt und Verkehr – mit einem von vier Berliner Sitzen im 26-köpfigen Aufsichtsrat vertreten – habe die Tariferhöhung an den Koalitionspartnern vorbei mitgetragen. 

„Besonders verstörend“ nannte es Ronneburg, „dass es über die Zustimmung der Vertreter*innen des Landes Berlin im Aufsichtsrat des VBB vorab keine Verständigung innerhalb der rot-rot-grünen Koalition und auch nicht im Senat“ gegeben habe. 

Seine Fraktion habe „von Anfang an erklärt, dass wir die Tarife für das Berliner Tarifgebiet stabil halten wollen, so wie es auch im Koalitionsvertrag vereinbart wurde“, ergänzte Ronneburg.

Ex-Wirtschaftssenator Harald Wolf, der diesen Teil des Koalitionsvertrages mitverhandelt und die Fraktion inzwischen verlassen hat, erklärte dem Tagesspiegel: „Wenn man von den Koalitionsvereinbarungen abweichen will, muss das abgesprochen werden und im Konsens passieren. Alles andere geht eigentlich nicht.“

Linke wollen Thema zum Koalitionsausschuss bringen

Tatsächlich hatte Tagesspiegel-Informationen zufolge Linken-Fraktionschefin Anne Helm noch am Dienstag im Senat Senatskanzlei und Verkehrsverwaltung – beide mit je einem Sitz Teil des Aufsichtsrates – auf die anstehende Preiserhöhung hin angesprochen. 

Reaktionen oder gar eine Diskussion darüber blieben dem Vernehmen nach aus, weshalb führende Vertreter der Linkspartei noch am Mittwoch ankündigten, der Fall werde den Koalitionsausschuss beschäftigen.

Harald Moritz, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, verteidigte die von Linken und später auch SPD direkt attackierte Verkehrssenatorin Regine Günther gegen Kritik. Moritz erklärte: „Wir Grüne hatten schon immer ein Problem mit Tariferhöhungen.“ Es könne nicht sein, dass jährlich die Fahrpreise stiegen und trotzdem das Geld für den ÖPNV nicht ausreiche. 

Grüne wollen Tarife umfassend reformieren

Moritz erklärte, Schuld daran sei die einzig auf Landesmitteln und Ticketeinnahmen fußende Finanzierung des ÖPNV und brachte stattdessen eine „umfassende Tarifreform“ ins Spiel, „die Bus- und Bahnfahren günstiger macht, indem Kosten solidarisch mitfinanziert werden“. 

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Als Teil einer solchen sogenannten „dritten Säule“ zur Finanzierung des ÖPNV führte Moritz einmal mehr die Idee einer City-Maut in die Diskussion ein. Dieser wiederum hatten zuletzt führende Vertreter der Sozialdemokraten eine klare Absage erteilt und erklärt: „Eine City-Maut wird es mit uns nicht geben.“

Aus deren Reihen wiederum kam am Donnerstag ebenfalls Kritik an der Preiserhöhung auf, obwohl die SPD-geführte Senatskanzlei sowie Finanzverwaltung dieser zugestimmt hatten. Daniel Buchholz, stellvertretender Vorsitzender des Verkehrsausschusses, erklärte, die Senatsverkehrsverwaltung habe die Erhöhung „unzureichend abgestimmt, sie wird von uns nicht mitgetragen“. (mit jb)

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