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Wie sollen die Berliner noch bezahlbar wohnen?: Das müssen die Parteien nach der Wahl ändern, damit Wohnraum nicht Luxus wird

Rot-Rot-Grün hat selbst gesteckten Ziele im Wohnungsbau verfehlt. Dazu wurden noch 30 Prozent weniger Wohnungen genehmigt. Acht Vorschläge für einen neun Kurs.

Der Wohnungsmarkt stellt die Berliner Politik vor gewaltige Herausforderungen. Einerseits sollen die Mieten für Bestandsmieter niedriggehalten werden, andererseits durch Neubau dem Wachstum der Stadt Rechnung getragen werden. Mit dem Mietendeckel ist in diesem Jahr das wichtigste rot-rot-grüne Projekt gescheitert.

Die Berliner ächzen weiter unter steigenden Mieten. Seit 2016 sind die Angebotsmieten um 42 Prozent gestiegen - so sehr wie nirgendwo sonst in Deutschland. Gleichzeitig verschreckt die Politik mit ihren Eingriffen in den Markt Investoren. Nach Einführung des Mietendeckels brach das Wohnungsangebot in der Stadt um die Hälfte ein.

Das sind die drängendsten Probleme im Bereich Bauen und Wohnen. Ein Überblick und Teil drei der Tagesspiegel-Wahlserie. Alle bisher erschienenen Teile finden Sie auf unserer interaktiven Wahlseite.

1. Hemmnisse ausräumen
15 Prozent günstiger bauen wäre möglich, wenn die Feuerleitern der Löschzüge ausgetauscht würden. Weil diese zu kurz sind, dürfen viele Dachgeschosse gar nicht ausgebaut werden oder nur, wenn zusätzliche Rettungswege geschaffen werden. Das ist teuer.

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Würde der Senat – notfalls nur in der Innenstadt – den Feuerwehren zeitgemäße Leitern finanzieren, könnten laut der Eigentümergemeinschaft Haus+Grund im S-Bahn-Ring bis zu 80 000 Wohnungen in Dachgeschossen günstiger geschaffen werden.

Ähnliche Hemmnisse gibt es in Bauordnung und Vorschriften zuhauf. Der neue Senat muss dazu eine Landesarbeitsgruppe gründen, die Vorschläge zu deren Abbau oder zur zeitweiligen Aussetzung vorlegt. Das spart Zeit und Geld.

2. Zielvereinbarungen in den Bezirken.
20 000 Wohnungen müssen jährlich gebaut werden, damit Wohnraum für neu Zuziehende entsteht sowie für Familien mit Raumnot. Noch mehr Bedarf besteht, wenn der zusätzliche pandemiebedingt Platze für Home Offices eingerechnet würde.

Senat und Bezirk müssen deshalb Senat und Bezirk müssen deshalb gemeinsame Ziele zum Bau neuer Wohnungen festlegen und die Realisierung der Neubauten durch regelmäßig Updates kontrollieren.3 Masterplan für Groß-Berlin.

3. Masterplan für Groß-Berlin
Die Wirtschaft Berlins wächst stärker als im Rest der Republik. Das ist ein anhaltende Entwicklung. Dafür spricht die Ansiedlung von Start-ups sowie durchgestarteter Tech-Konzerne wie Tesla.

Weitere Impulse werden die Gründerzentren „Tegel Projekt – TXL“ sowie „Siemensstadt 2.0“ geben. Die geplanten „Neuen Stadtquartiere“ des Senats reichen aus, um den zurzeit fehlenden Wohnungsbedarf zu decken. Nicht berücksichtigt ist die wachsende Wirtschaft, die Sogkraft auf Arbeitskräfte von außerhalb entfaltet.

[In unseren Leute-Newslettern aus den zwölf Berliner Bezirken befassen wir uns regelmäßig unter anderem mit Wohnungspolitik. Die Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]

Daher braucht es einen Masterplan für Berlin, der Wachstum plant, auch über die Grenzen hinaus. Eine Grundlage dafür legte die Initiative des Architekten- und Ingenieurvereins mit 21 anderen Verbänden.

Sie schlagen eine Verdichtung entlang der „Radialen“ vor, der Verkehrsachsen, die ins Umland führen. Not tut ein Masterplan auch wegen des Trends zum Fortzug von Berlinern ins Umland. Berlin verliert dadurch Steuereinnahmen und das Umland wird zersiedelt. Ökologische Ziele werden verfehlt.

4. Bezahlbar wohnen, Umwelt schützen
Deutschland muss seine Klimaziele erreichen, um die Erderwärmung aufzuhalten. Dazu müssen die Häuser weniger CO2 ausstoßen. Altbauten müssen saniert und Neubauten stärker gedämmt und mit neuer Klimatechnik ausgestattet werden.

Das kostet Geld. Wer dafür zahlt, ist offen. Modernisierungskosten können dem Gesetze nach teilweise auf die Mieten umgelegt werden. Diese würden dann steigen. Dagegen protestieren aber schon heute viele Berliner.

Bisher für Wohnungs- und Baupolitik verantwortlich: Sebastian Scheel (Die Linke), Stadtentwicklungssenator von Berlin, sitzt bei der 82. Plenarsitzung des Berliner Abgeordnetenhauses auf der Regierungsbank.
Bisher für Wohnungs- und Baupolitik verantwortlich: Sebastian Scheel (Die Linke), Stadtentwicklungssenator von Berlin, sitzt bei der 82. Plenarsitzung des Berliner Abgeordnetenhauses auf der Regierungsbank.

© Christoph Soeder/dpa

Beim Neubau haben Öko-Auflagen höhere Baupreise zur Folge. Sollen bezahlbare Wohnungen entstehen, müssen Senat und Verbände eine faire Aufteilung und mögliche Förderungen aushandeln.

5. Das Ende der Ideologie
Trotz und Blockade warfen Immobilien- und Bauwirtschaft den Stadtentwicklungssenator:innen der Linken – Katrin Lompscher und Sebastian Scheel – regelmäßig nach gemeinsamen Treffen vor.

Am Anfang der Legislaturperiode sagten private Bauherren im Tagesspiegel voraus, dass die Branche unter diesen Umständen nicht mehr bauen werde. Das ist eingetreten: Im ersten Halbjahr 2021 wurden fast ein Drittel weniger Genehmigungen für den Wohnungsbau erteilt als im Vorjahreszeitraum.

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Gebaut wird weit überwiegend von landeseigenen Firmen. Das reicht nicht aus, um den akuten Mangel an Wohnungen zu beheben. Der neue Senat muss die private Bau- und Wohnungswirtschaft einbeziehen und in der Stadt ein Bewusstsein für die Notwendigkeit von Neubau schaffen. Sonst werden die Privaten weiterhin allenfalls luxuriöse Eigentumswohnungen in Bestlagen schaffen – und Mietwohnungsbau im Umland.

6. Sozialer Wohnungsbau, auch privat
Knapp 60 Prozent aller Bewohner Berlins haben einen Anspruch auf eine geförderte Sozialwohnung, weil ihr Gehalt nicht ausreicht, um die teuren Angebotsmieten zu bezahlen. Doch es gibt nur rund 120 000 Sozialwohnungen in der Stadt – auf eine Sozialwohnung kommen rund 30 Berliner, die einen Anspruch auf dieselbe hätten.

Mehr als 130 000 Sozialwohnungen fehlen Experten zufolge. Der Neubau reicht gerade noch aus, um die älteren aus der Förderung und damit zugleich aus der sozialen Bindung herausfallenden Wohnungen zu kompensieren. Und bisher bauen nur die landeseigenen Unternehmen subventionierte Objekte.

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Hier muss mit allen, insbesondere auch den privaten Bauherren eine Vereinbarung für eine Bauoffensive im geförderten Wohnungsbau getroffen werden. So kann der größte Mangel am Markt, im Angebot von Mietwohnungen zu mittleren Preisen (sieben bis elf Euro), begegnet werden.

7. Digitale Bauakte in der Smart City
Bauämtern und Verkehrsplanung von Bezirk und Senat sollten Pilote für eine Digitalisierung der Verwaltung werden. Hier ist der Austausch von Daten und Unterlagen zwischen Bauherren und Verwaltung intensiv.

Läuft das digital, ist der Aufwand geringer und Bearbeitung einfacher. Zur Beschleunigung des Umbaus Berlins zur Smart City braucht es einen Beauftragten, der etwa den Ausbau der Ladeinfrastruktur für E-Autos beschleunigt, da immer mehr Quartiere autoarm oder autofrei sein sollen.

8. Personalmangel in Bauämtern
Der Personalmangel in Bau- und Genehmigungsämtern ist die wichtigste Ursache für jahrelange Genehmigungs- und Bearbeitungszeiten. Die Fristen zur Bearbeitung in den Ämtern werden oft umgangen, beklagen Betroffene. Die lange Planung macht Bauen teuer. Bauträger sagen, das vorhandene Personal sei willig, aber überlastet. Da hilft nur mehr Personal.

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