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Treten für das weibliche Recht auf Rap auf die Bühne: Schülerinnen aus Wedding

© Fabienne Karman /promo

Wie sich Mädchen in der Musik behaupten: „Sisterhood“ bringt feministischen Rap nach Kreuzberg

Mädchen aus Wedding erobern Kreuzberg: Im Hau 1 wird am Mittwoch „Sisterhood“ gezeigt, ein Projekt zu feministischem Rap.

Mädchen hören Rap, gehen auf Schulen, an denen die Musik und die vom Rap transportierte Attitüde den Schulhof bestimmen und damit zumindest anteilig auch ihren Platz in der Welt. Dass Mädchen oder Frauen selbst auf der Bühne rappen ist allerdings die Ausnahme. Doch das soll sich ändern, zumindest, wenn es nach einer Gruppe von Weddinger Mädchen zwischen acht und vierzehn Jahren geht. Die feiert diesen Mittwochabend im ausverkauften Kreuzberger Theater „Hebbel am Ufer“ unter dem Titel „Sisterhood“ das weibliche Recht auf Rap.

Das Konzert bildet den Abschluss einer knapp zehn Monate währenden Arbeit des Hau mit dem Partner „Ongoing Project“, einem Theater-Kollektiv, das gesellschaftlich relevante Themen auf Bühnen bringen will, sowie den drei Berliner Rapperinnen Alice Dee, Haszcara und Leila A. und dem interkulturellen Zentrum für Mädchen und junge Frauen Mädea in Wedding.

Die Mädchen, die einen großen Teil ihrer Freizeit in den Räumen von Mädea verbringen, wachsen auf in einer Rap-zentrierten, vorwiegend männlich dominierten Kultur. Zwischen traditionellen Mädchenrollen einerseits und dem – im Unterricht und medial vermittelten – Gleichheit verheißenden Versprechen einer aufgeklärten Gesellschaft, in der die Gleichberechtigung von manchen schon als verwirklicht dargestellt wird.

Zwischen diesen widersprüchlichen Welterfahrungen ist die innere Zerrissenheit von Anfang an programmiert.

Zwischen traditionellen Rollenbildern, Gleichberechtig und Männerdomänen

Sie sind vom Rap umgeben, von einem Gestus, der Ungerechtigkeiten anprangert, das marginalisierte Ich in den Mittelpunkt stellt und mobilisiert. Aktiv daran teilnehmen dürfen sie aber nicht, werden von Jungs von der Bühne gedrängt, übertönt und „gedisst“, wie Alma Wellner Bou, Mitbegründerin des „Ongoing Project“ erzählt. Wer auf der Bühne steht, macht sich verletzbar.

Wenn man als Mädchen gelernt habe, dass die Bühne sowieso den Jungs gehört, entstehe eine noch größere Hemmschwelle: Denn damit ist das Scheitern auf der Bühne für Mädchen schon vorbestimmt, wie im Übrigen auch für Kinder aus armen Haushalten oder Menschen mit Migrationshintergrund – bei den Weddinger Mädchen kommen nicht selten alle diese Narrative zusammen.

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Die vielleicht subtilste und zugleich mächtigste Form der Frauenfeindlichkeit findet sich in der internalisierten Misogynie, zu Deutsch verinnerlichter Frauenfeindlichkeit. Gemeint ist damit, dass das gut erzogene Mädchen weiß, was sich für ein Mädchen ziemt. Höflichkeit, Einfühlsamkeit, Anmut etwa. Wann es drauf ankommt, den Vater, Bruder, Mann sprechen zu lassen.

Immer Haltung zu wahren, nie den Verdacht der Hysterie aufkommen lassen. Wenn also ab einem gewissen Punkt der Verinnerlichung seines Rollenbildes gar kein Druck mehr von außen nötig ist, sondern sich das Mädchen selbst reguliert und maßregelt. Sich in seiner Haut unwohl fühlt, wenn es mal laut wird. Wenn also die Erziehung zum braven, domestizierten Mädchen zu dessen zweiter Natur wird.

Schwesterlichkeit muss erarbeitet werden

Was Mädea den Mädchen im Alltag bietet, sagt Wellner Bou, nämlich einen Schutzraum, in dem sie die Rollen verlassen und sich untereinander austauschen können, biete das Projekt „Sisterhood“ gleichsam als Verlängerung. Es sei gelungen, ein großes Team aus Rapperinnen, Kostümbildnerinnen, Bühnen-, Licht- und Tontechnikerinnen, DJ und nicht zuletzt den jungen Protagonistinnen ausschließlich weiblich zu besetzen.

Was ihr dabei auffiel war, dass der Zusammenhalt, die spontane, zielorientierte Netzwerkbildung, die „Brüderlichkeit“ unter den Frauen stärker und bewusster gefördert werden musste. So kam auch der Begriff „Sisterhood“ ins Spiel, den die Mädchen ihrem Projekt selbst verliehen haben. Schwesterlichkeit also, die nicht nur als Label für ein interessantes Abendprogramm fungiert, sondern den Entstehungsprozess des Programms beschreibt.

Brüderlichkeit ist nicht erst seit Schillers Gedicht „An die Freude“, das stumm in der Europahymne mitschwingt, etwas Selbstverständliches. Schwesterlichkeit sei dagegen ein Begriff, der in der Praxis erst erschlossen werden müsse, sagt Wellner Bou. Zusammenarbeit sollte auch bedeuten, dass nicht die Rapperinnen oder Kuratorinnen den Mädchen Rollen aufgeben, sondern jedes Mädchen seine eigene Rolle entwickelt.

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So gebe es auch Zeilen in den Texten der Stücke, die wirklich der Innenwelt der Mädchen entsprängen und für Außenstehende kaum nachvollziehbar seien. Genau das zuzulassen sei ein wesentliches Prinzip in diesem Projekt gewesen. Zusammenarbeit auf Augenhöhe bedeute, machen zu lassen – auch und gerade bei Unverständnis.

Etwas Vergleichbares geschieht schließlich auch auf der Bühne, wenn die Weddinger Mädchen in einer ihnen fremden Theaterwelt auf fremdes Publikum mit ihnen unbekannten Werten, Geschmäckern und Ansprüchen treffen. Es bedarf einer Dosis Mutes, sich dem Auszusetzen.

Der Clash zwischen dem Kreuzberger Theaterpublikum und Wedding sei schon in vergangenen Publikumsdiskussionen offenbar geworden, erzählt Wellner Bou. Wenn Kreuzberger den Weddingerinnen mit Selbstverständlichkeit mitleidig begegnen, weil Wedding als härter und rauer gilt, ärmer, rückständiger. Die schwesterliche Solidarität zeigt sich hier, wenn die Mädchen sich und ihre Umwelt verteidigen. Wer aus Wedding kommt, muss schließlich Kreuzberg, Berlin, die Welt nicht fürchten.

Es geht nicht darum, dagegen zu sein

Die Atmosphäre sei bei der Produktion aber keine des großen Dagegen gewesen, betont Wellner Bou. Nicht auf Verteidigung, sondern auf die Eroberung der Bühne, der Sprache und der eigenen Stimme haben die Mädchen hingearbeitet. Das betont auch Stella Konstantinou, die das Projekt ans Hau geholt hat: Internalisierte Frauenfeindlichkeit? Ein wichtiger Begriff, klar.

Aber nicht das Kernthema hier. Es gehe eigentlich um das genaue Gegenteil, eine externalisierte Philogynie, also ausdrückliche Frauenliebe, Freundschaft und Schwesterlichkeit. Frauen, die sich organisieren und Bündnisse eingehen, sich gegenseitig den Rücken stärken.

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