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Wie romantisch ist ein Provisorium, wenn seine Zeit abgelaufen ist?: Es war einmal ein Zwischenraum ...

Tempodrom, Tacheles, East Side Gallery: Übergangsprojekte sind nichts für die Ewigkeit. Berlin sollte sie nicht zwanghaft erhalten.

„Meine Sehnsucht ist groß: Frei zu sein, frei von Zwängen, frei von Druck, frei für die Kunst.“ So steht es an der berühmten Kaufhausruine. Wenn Berlin ein Hafen ist, der Sehnsüchtige lockt, und ein Spielplatz, der Sehnsüchte wahr werden lässt, dann liegt das auch an der verklärten Brache: Vorläufiges Terrain symbolisiert den Status der Zwischennutzung. Zwischen versiegelten Parzellen soll es hier noch letzte unfertige Freiräume geben, die sonstwem gehören, sich für Abenteuer anbieten. Die Fixierung solcher Projektionsflächen ist manchmal populär; die Politik reagiert darauf gern populistisch. War das immer so?

Vor gut hundert Jahren, als in dieser Stadt allerlei gebaut wurde, was bis heute seltsamerweise hält, hat ein Wahlberliner vom Stuttgarter Platz mit surrealistischen Zeilen die Romantik des Übergangs veräppelt. „Es war einmal ein Lattenzaun, mit Zwischenraum, hindurchzuschaun“, reimte Christian Morgenstern 1905. „Ein Architekt, der dieses sah, stand eines Abends plötzlich da – und nahm den Zwischenraum heraus und baute draus ein großes Haus. Der Zaun indessen stand ganz dumm, mit Latten ohne was herum, ein Anblick gräßlich und gemein. Drum zog ihn der Senat auch ein. Der Architekt jedoch entfloh nach Afri- od- Ameriko.“ Die finale Verwirrung deute auf überstürzten Aufbruch hin, kommentierte der Dichter. Seine romantische Sympathie gehörte dabei trotzdem wohl dem inspirierenden Zwischenraum, ohne den alles zum ästhetischen Debakel wird.

Es war mal ein kriegszerstörtes Kaufhaus, das nach langem Leerstand als Kulturzentrum mit Kneipen, Ateliers, Theater und Kino auflebte. Die Ruine wurde für fünf Millionen Euro Patina-schonend gesichert, musste aber, da die Besetzer- Künstler sich intern und mit Investoren zankten, von den Kreativen geräumt werden, die ihr Paradies nun anderorts ansiedeln wollten ... Es war mal ein Veranstaltungszelt in einem Park, für Musiker von nah und fern. Als dieser Multikulti-Treff Regierungsbauten weichen sollte, wurde er anderswo neu erfunden, wie ein Mix aus Neuschwanstein und Mehrzweckhalle ... Es war mal eine Gefängnismauer, die eine große Stadt teilte, bis der sie umgebende Knaststaat zerfiel: Worauf Künstler die Mauer bemalten und nostalgische Bürger sie als Heiligtum konservieren wollten ...

Die East Side Gallery, deren Fans eine Überschattung des Bauwerks durch nahe Neubaufassaden ablehnen, erinnert, pardon, ein wenig an den Mega-Jumbo von Paris. Dieses Rüsseltier hatte Napoleon errichten wollen: auf dem Platz der Kerkerfestung, die vom wütenden Volk gestürmt und später geschleift worden war. Als der Kaiser stürzte, war auf dem Platz der Bastille nur ein monumentales Gipsmodell realisiert, das dort bröselnd verblieb, über drei politische Systeme hinweg: von Ratten zernagt, geliebt als Wahrzeichen für irgendwas, bis zum umstrittenen Abriss 1846. Die East Side Gallery – kein authentisches Schandmal, ein Souvenir des Übergangsglücks – ist zwar kein Rattenfutter. Wird aber vielleicht trotzdem die 33 Pariser Elefantenjahre nicht erreichen. Wäre das so schlimm?

Eine Stadt ändert sich. Die Kaufhausruine an der Oranienburger Straße florierte während der Nachwende-Jahrzehnte als Schaufenster der Veränderung. Und, mit ihrem jiddischen Namen, als Marketing-Flagschiff der Touri-Meile zwischen Synagoge und Straßenstrich. Den Konflikt aller Avantgardisten, die ihren schönsten Augenblick gern profitabel institutionalisieren würden, bringt eine Schrift an der Brandmauer auf den Punkt: „HOW LONG IS NOW“.

Vom einstigen Atelier-Gewusel im Tacheles-Gehäuse ist jetzt nur noch hinterm Haus ein Rest Skulpturengarten übriggeblieben. Da werden Besucher eingeladen, die eben geplatzte Verpflanzung des Projektes an den Nordbahnhof zu unterstützen: „To create a democratic space for free art and culture in the city.“

Wie absurd solch eine Verpflanzung enden kann, hatte nach dem Umbruch bereits die „Umsetzung“ des Tempodrom- Zeltes gezeigt. Weil damals im Tiergarten eine Koexistenz freakiger Zuschauermassen mit dem Kanzleramt unmöglich schien, wurde der Besitzerin die betonierte Neuerfindung ihres Projektes am Anhalter Bahnhof angeboten. Erst als Senator Peter Strieder wegen der Kostenexplosion des Baus zurücktrat, dämmerte dem Publikum, dass es da weniger um Naturschutz für ein Unikat gegangen war als um Gefälligkeiten unter West-Berliner Freunden. Das Tempodrom heute, ein Multifunktionskomplex samt Wellness- Oase für Events von Atze Schröder über Lord of the Dance bis zu Bibi Blocksberg, hat mit dem historischen Schummer-Biotop zwischen Mauer und Spree so viel gemein wie der goldbestuckte Kaisersaal des morbiden Niemandsland-Hotels Esplanade mit der gleichnamigen Ausstellung architektonischer Fragmente unterm Dach einer Kino- und Museums-Mall am heutigen Potsdamer Platz.

Zwischenraum-Installationen sind befristet attraktiv. Darum sollte man Tschüss sagen, wenn ihre Frist abläuft. Im Berlin der Provisorien, wo die Halbwertzeiten staatstragender Pfuschbauten sowieso schrumpfen, wirkt es absurd, ausgerechnet Übergänge zu verewigen.

Mit der Ideologie jener „Internationalen Situationisten“, die zwischen 1957 und 1972 Konzepte für eine von Kommerz-und Funktionszwang befreite Spielwiesenstadt propagierten, haben unsere Utopie-Nostalgiker wenig zu tun. Wenn Artenschutz für unfinanzierbare Provisorien eingefordert wird, geht es ihnen eher um den Forever-young-Traum: Als ließen sich Highlight-Erlebnisse topografisch einbalsamieren! Als würde die Stadt dröge, wenn es ein paar selbstverliebte Experimente weniger gibt!

Die bescheidene Alternative zum urbanen Narzissmus wäre: Aktuelle Übergangsnischen entdecken, genießen. Dazu beitragen, dass sie ökonomisch funktionieren. Bleibendes und den Wandel vernünftig gestalten; zur Not darum streiten. Das nennt man wohl Bürgerlichkeit.

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